Donnerstag, 28. März 2024

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Die Wirkung medialer Affekte
Faszination "Germany's Next Topmodel"

Die Casting-Show "Germany’s Next Topmodel" ist fast schon ein Veteran im deutschen Fernsehen. Auch 2021 waren die Quoten wieder hoch, obwohl es immer wieder heftige Kritik an dem Konzept gibt. Was macht die Faszination dieses Formats aus?

Von Christoph Sterz | 27.05.2021
Die Models Trixi Giese (l-r), Toni Dreher-Adenuga und Klaudia mit K bei der exklusiven Kino-Preview zur 15. Staffel "Germany's next Topmodel - by Heidi Klum" von ProSieben im Kino Zoo Palast vor Fotos von Heidi Klum.
Die große Gefühlsdusche bei GNTM: Heidi Klum und ihre "Mädels" (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Kalaene)
"Ich bin hergekommen, nicht um meine Persönlichkeit zu ändern, sondern um sie nochmal zu stärken. Und ich hoffe damit auch, dass ich jungen Frauen, Kindern die Möglichkeit geben kann, auch an sich selbst zu glauben und in sich zu vertrauen." Die ganz große Gefühlsdusche gibt's bei "Germany's Next Topmodel" jede Woche. Und wer da besonders gerne und viel mit den Gefühlen spielt, ist Moderatorin Heidi Klum. Zum Beispiel, wenn sie den Kleiderschrank ihrer Kandidatinnen aufräumt:
"Wir sagen immer: Zieh dich cooler an, zieh dich cooler an. Aber das Problem ist echt: In deinem Schrank ist einfach nichts da, um es cooler zu machen."
"Nee."
"Siehst du das auch?"
"Ja."
"Ich möchte einfach nur versuchen, es für dich einfacher zu machen. Und fang jetzt nicht zu weinen an. Ich möchte auch nicht, dass du dich schämst. Ich möchte dir helfen. Ich gehe morgen mit dir einfach, okay? Du musst nicht weinen deswegen. Warum weinst du deswegen?"

Spiel mit Enttäuschungen und Hoffnungen

Dieses Fokussieren auf Emotionen passiert nicht zufällig. Hinter "Germany's Next Topmodel" und den anderen Casting-Shows stecken echte Dramaturgie-Profis. Menschen wie Kai Tilgen. Tilgen war jahrelang Regisseur bei Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "The Biggest Loser", hat aber über die Jahre zunehmend Gewissensbisse bekommen – und über seinen Bruch mit den Casting-Formaten ein Buch geschrieben.
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"Du spielst ja immer mit der Enttäuschung, oder auch mit der Bestätigung der Erwartung. Und das kannst du ja mit beeinflussen. Auf alle Fälle. Also du hast Kameras, du hast Ton. Und ganz wichtig, du hast den Schnitt. Durch Hinzufügen und Weglassen erzählst du natürlich Geschichten. Du hast die Musik, das sind viele Sachen, die da einfach zusammenspielen – und die man im Schnitt zusammenmischen kann."

Geschichten erzählen, die es gar nicht gegeben hat

Es geht also nicht um die Realität, meint der Regisseur. Es gehe ganz einfach darum, die Zuschauerinnen und Zuschauer zu halten – über die Werbeblöcke hinaus: "Wenn man sich diesen Job aussucht, dann macht man den ja auch, weil man sich für Menschen interessiert, weil man Geschichten erzählen will. Und beim Privatfernsehen erzählt man manchmal halt auch Geschichten, die es gar nicht gegeben hat. Oder die es mit diesem Ende nicht gegeben hat, oder die es mit der Konnotation nicht gegeben hat. Das kann man prima machen."
Trotz allem haben Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Germany's Next Topmodel" immer noch Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Und denen dürfte inzwischen bewusst sein, dass dort nicht immer das echte Leben zu sehen ist, meint Margreth Lünenborg, Journalistikprofessorin an der FU Berlin. Sie beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Frage, wie genau Casting-Shows viele Menschen in ihren Bann ziehen:
"Wie der Zoff zwischen denen wohl ausgeht? Ob die da noch mal so giftig reinspritzt? Wie kann die sich das erlauben? Alles das sind Reaktionen, die wir auf Seiten der Zuschauenden erleben. Und die Lust, sich das immer wieder anzuschauen, sich dem auszusetzen, hat was damit zu tun, dass das sozusagen die emotionale Dynamik in einen selbst hineinspült oder einem zur Verfügung stellt, an der wir ja eine bestimmte Klaviatur erproben können, beobachten können, ohne dem selber eben ausgesetzt zu sein."
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Zuschauende fiebern mit

Es geht also um das Ausleben der eigenen Gefühle. Um das soziale Event mit der ganzen Familie, um's Lästern mit den Kumpels und Freundinnen. Und, was Lünenborg besonders spannend findet: Bei Videobeobachtungen sind sie und ihre Kolleginnen immer wieder auf Affekte gestoßen - auf reflexhafte, unterbewusste Reaktionen - sowas wie ein überraschtes Woops. Etwas, das tief in unseren Körpern drinsteckt – und von den Fernsehmachern rausgekitzelt wird.
"Da finden wir ganz besonders starke Formen des Mitjubelns, des sich Mitfreuens, also, wo man tatsächlich dieses Überspringen von Affekten sehen kann, auch wirklich verkörpert. Wir finden auch die Form des Lästerns, des Abwertens, also wo Zuschauende quasi zu Co-Juroren werden und sich in diesem wechselseitigen Kommentieren, Bewerten, Abwerten sozusagen gegenseitig auch als Team konstituieren auf der anderen Seite des Bildschirms."

Vorab-Gefühle vor dem Bildschirm

Was Lünenborg bei ihrer Forschung besonders verblüfft hat: Dass sich Shows wie "Germany's Next Topmodel" bei ihren Fans so fest eingebrannt haben, dass sie manchmal schon losjubeln, noch bevor das die Models auf dem Bildschirm tun.
"Das heißt, das Wissen, wie man sich zu freuen hat, wie man sich in die Arme zu fallen hat, ist so tief auf der Zuschauerinnenseite verankert, dass die sich sozusagen schon ein paar Sekunden vorher in die Arme fallen."
Diese tiefe Prägung – bis hinein in unsere Köper – und dann noch das professionelle Spielen mit unseren Gefühlen, sorgen am Ende dafür, dass Shows wie "Germany's Next Topmodel" immer noch funktionieren. Sodass auch heute Abend wieder Millionen Menschen mitfiebern und mitjubeln werden.