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"Diese Gesinnung bleibt ja, ob die Partei verboten ist oder nicht"

Der stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, sieht ein NPD-Verbotsverfahren skeptisch. Sie kritisiert, dass der Bundestag das gesammelte Material gegen die NPD noch nicht sichten konnte. Für wichtiger als ein Verbotsverfahren hält sie es, sich allgemein mehr gegen rechtsradikale Ideologien zu engagieren.

Gisela Piltz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.12.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Um eine Partei verbieten lassen zu können, muss ihr nachgewiesen werden: nicht nur, dass sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht; es muss auch eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung belegt werden, ihren Willen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Im Fall der NPD ist das der Fall, jedenfalls sind sich die Innenminister und Ministerpräsidenten inzwischen offenbar weitgehend einig. Sie glauben, dass dieser Nachweis mit Hilfe der Stoffsammlung gelingt, die angeblich keine Informationen von V-Leuten enthält. Daran war das erste Verbotsverfahren bekanntlich gescheitert.

    Am Telefon dazu jetzt Gisela Piltz, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Frau Piltz.

    Gisela Piltz: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Frau Piltz, auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Friedrich skeptisch sind - der Zug Richtung NPD-Verbotsverfahren hat Fahrt aufgenommen. Tappen wir da nach 2003 möglicherweise in die nächste Falle?

    Piltz: Das wird man am Ende sehen müssen. Aber erst mal ist es ja so, dass jetzt die Innenminister der Länder entscheiden, die Ministerpräsidenten. Der Bundestag selbst hat ja diese Materialsammlung noch gar nicht sichten können. Und ich glaube, dass es schon Aufgabe von gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentariern ist, dass sie sich eine solche Sammlung dann auch erst mal selber anschauen und sich dann selbst ein Bild machen. Ich glaube jedenfalls, dass ein Verbotsverfahren heute besser vorbereitet ist, als es damals war. Aber es ist völlig richtig, dass der zuständige Bundesinnenminister darauf hinweist, dass es Risiken gibt, die man auch durch Gutachten natürlich nicht sozusagen endgültig bewerten kann.

    Heckmann: Haben Sie persönlich denn Zweifel daran, dass die NPD verfassungsfeindlich ist?

    Piltz: Dass die NPD verfassungsfeindlich ist und eine Partei ist, die ich zutiefst widerlich in ihrer Propaganda finde, daran besteht überhaupt gar kein Zweifel. Die Frage ist aber erstens: Ist es das politisch richtige Signal, dass man sich auf ein Verbotsverfahren vorm Bundesverfassungsgericht stürzt, oder ob man nicht diese Kraft auch sozusagen in die inhaltliche Bekämpfung der NPD steckt. Und die zweite Frage ist immer noch eine, ob man das für verfassungsfeindlich hält, oder ob das Bundesverfassungsgericht die zurecht sehr, sehr hohen Hürden, die es an ein Verbot von Parteien stellt, dann auch umsetzt.

    Heckmann: Lorenz Caffier, der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzender der Innenministerkonferenz, der hat gesagt, das Material reiche aus, um die aggressiv-kämpferische Haltung der NPD zu belegen. Sie sagen gerade eben zurecht, sie hatten noch nicht die Möglichkeit, das Material zu sichten. Wie finden Sie das denn eigentlich, dass Sie das Material noch nicht einsehen konnten, denn es handelt sich ja immerhin um eine Stoffsammlung einer Bund-Länder-Gruppe?

    Piltz: Das Leben ist manchmal anders, als man sich das persönlich wünscht. Es wäre natürlich gut gewesen, der Bundestag hätte parallel sich damit beschäftigen können, aber es ist so wie es ist. Am Ende des Tages hat der Bundesinnenminister uns gesagt, dass 85 Prozent dieser Materialsammlung vom Bund und zwei Ländern kommen. Bisher hat keiner der Landesinnenminister oder gar Ministerpräsidenten selbst die politische Verantwortung auch für dieses Material übernommen, dass es so zu Stande gekommen ist, dass das Bundesverfassungsgericht das auch akzeptiert. Diese Erklärung hat bisher kein Innenminister abgegeben und insofern sind wir sehr gespannt.

    Heckmann: Aber die Innenminister sagen, Frau Piltz, dass in dieser Stoffsammlung kein Material von V-Leuten enthalten sei. Trauen Sie dieser Bekundung?

    Piltz: Also ich habe gelernt, dass es gut ist, wenn man sich selbst ein Bild macht, wenn man entscheidet. Und erst recht, wenn es um eine solche wichtige Sache geht, und deshalb, glaube ich, ist der Bundestag gut beraten, die Entscheidung der Landesinnenminister zur Kenntnis zu nehmen. Und der Bundesinnenminister ist dann auf Bundesebene im weiteren Verfahren zuständig. Und wir werden dann natürlich sehr genau das sichten und prüfen und uns dann selbst ein Bild machen. Ich glaube, dafür sind wir gewählt.

    Heckmann: Innenminister Friedrich hatte ganz offenbar auch mit einem Nein zu einem solchen Verbotsverfahren geliebäugelt, den Widerstand dann aber aufgegeben, weil der Zug sich in eine andere Richtung bewegte. Müsste er nicht entschiedener Position beziehen, wie das auch der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Jäger, gefordert hat?

    Piltz: Ich glaube, er hat schon sehr eindeutig Position bezogen, indem er sehr, sehr klar auf die rechtlichen Bedenken hingewiesen hat. Und dass es auf der einen Seite natürlich leichter ist, in dem Zug zu sitzen, der fährt, und auf der anderen Seite ein bisschen schwieriger ist, draußen zu stehen - um in dem Bild zu bleiben - und zu sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante, Vorsicht was ihr macht, das ist naturgegeben. Aber ich habe den Bundesinnenminister schon als sehr warnenden und skeptischen Menschen hier wahrgenommen.

    Heckmann: Sind Bundesregierung und Bundestag jetzt eigentlich praktisch gezwungen, sich einem Verbotsantrag der Länder anzuschließen, weil alles andere schon ein fatales Signal wäre?

    Piltz: Also es ist natürlich so, wenn die Innenminister und Ministerpräsidenten ein Verfahren seitens des Bundesrates beschließen, dass das eine oder andere Argument, was wir auch immer hatten, sich dann natürlich erledigt hat, weil das Verfahren dann ja ohnehin beim Bundesverfassungsgericht liegt und wir immer gesagt haben, das ist nicht nur eine Frage der politischen Auseinandersetzung - vor allen Dingen, weil so ein Verfahren ja auch ungefähr eineinhalb Jahre dauert. Es ist ja nicht so, dass der Staat jetzt zuschauen kann und die Hände in den Schoß legen kann beim Rechtsextremismus - ganz im Gegenteil! Das ist natürlich ein Präjudiz. Aber in Deutschland ist es so, dass jede Ebene für sich die Entscheidung trifft, und dann werden wir das prüfen und gegebenenfalls auch zu einer eigenen Entscheidung kommen.

    Heckmann: Was wäre es denn für ein Signal, wenn allein die Bundesländer diesen Antrag stellen würden?

    Piltz: Am Ende des Tages, glaube ich, ist es entscheidend, wenn sie sich entscheiden, dass dann am Ende das Gerichtsverfahren auch die NPD verbietet. Alles andere wäre natürlich noch quasi ein Werbeblock für die NPD, den wir uns in unserer Demokratie nicht leisten können. Aber ich glaube, dass umgekehrt es darauf ankommt, die NPD mit anderen Mitteln als den rechtlichen auch weiterhin zu bekämpfen, und das werden wir in Berlin tun und das erwarte ich auch von den Landesinnenministern. So gesehen wäre das keine Katastrophe.

    Heckmann: Darauf hat ja auch Hans-Peter Friedrich noch einmal hingewiesen. Er hat gesagt, die NPD verliere an Zuspruch, liege praktisch am Boden, und die Partei könnte jetzt im Wahljahr durch dieses Verbotsverfahren Zulauf bekommen. Erweisen wir uns oder die anderen demokratischen Parteien sich mit einem solchen Verbotsverfahren nicht einen Bärendienst?

    Piltz: Es ist wie immer im Leben auch eine Frage der persönlichen Einstellung. Ich kann auch verstehen, wenn Kollegen sagen, es ist unerträglich, dass diese verfassungsfeindliche Partei sich mit Staatsmitteln aus Steuergeldern finanziert, weil sie bei Wahlen gewählt werden. Das ist auch etwas, was mir natürlich im Magen liegt. Auf der anderen Seite: Diese Gesinnung bleibt ja, ob die Partei verboten ist oder nicht. Und wir sehen ja in manchen Städten insbesondere auch in NRW, dass sich andere Strukturen bilden, die natürlich dann diese Menschen übernehmen, wo sie dann hingehen und weiterhin diese widerliche Gesinnung verbreiten. Und deshalb glaube ich ist es auch ein Vorbild, dass wir noch mehr Geld zum Beispiel für die Bundeszentrale für politische Bildung im Bundeshaushalt eingestellt haben, damit sie gerade rechtsradikale Ideologien bekämpfen kann, und ich glaube, das ist am Ende der richtige Weg und mir wäre es lieber, alle gemeinsam würden sich da mehr engagieren und nicht so sehr nur über dieses Verbotsverfahren das als Symbol vor sich hertragen.

    Heckmann: Die Hürden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die könnten noch höher sein als die in Karlsruhe. Könnte also ein Verbot der NPD am Ende in Straßburg scheitern?

    Piltz: Das ist natürlich auch eine Möglichkeit und das wäre eine ähnliche Katastrophe aus meiner Sicht, wie wenn man in Karlsruhe scheitern würde. Da gibt es ja jetzt angeblich ein Gutachten, habe ich gehört, das sagt nein, das ist nicht so. Wir alle wissen aber, dass ein Gutachten erstens nicht die eigene Meinung ersetzt und zweitens erst recht nicht die Rechtsfindung vor einem Gericht. Deshalb bin ich nach wie vor sehr skeptisch, was ein solches Verbotsverfahren angeht, weil die Risiken doch sehr hoch sind, nicht zum Erfolg zu kommen. Deshalb, glaube ich, wären wir besser beraten, wenn wir das politisch regeln würden.

    Heckmann: Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Gisela Piltz, war das. Frau Piltz, danke Ihnen für die Zeit, die Sie sich genommen haben.

    Piltz: Ich danke Ihnen, einen schönen Tag noch.

    Heckmann: Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.