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"Dieser Blick auf die Menschen mit Genauigkeit und mit Liebe"

Es gebe niemanden, der den Deutschen so einen Reichtum an Figuren zur Verfügung gestellt hat wie Loriot, sagt Theater-Regisseur Harald Clemen über seinen Freund Vicco von Bülow. Bei der Erwähnung des Namens Loriot leuchteten die Augen bei Menschen zwischen 8 und 80.

Harald Clemen im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Die erste Eilmeldung kam gestern um 12:09 Uhr von der Nachrichtenagentur DPA. Die Schlagzeile lautete kurz und knapp, "Diogenes-Verlag: Loriot ist tot". Damit war klar: Hier geht eine Ära zu Ende, gehörte Vicco von Bülow doch über Jahrzehnte mit seinen Zeichentrick-Figuren mit der Knollennase und seinen Fernseh-Sketchen zu so etwas wie dem Inventar bundesrepublikanischer Kulturgeschichte, und zwar mit Sketchen wie dem "Kunstpfeifer". Vicco von Bülow Alias Loriot wie man ihn kennt. – Am Telefon begrüße ich den Theater-Regisseur Harald Clemen, Professor für szenischen Unterricht an der Universität der Künste in Berlin, Freund von Vicco von Bülow, und er hat ihn auch als Gastdozenten erlebt. Guten Morgen, Herr Clemen.

    Harald Clemen: Guten Morgen.

    Heckmann: Herr Clemen, wenn Sie die Augen schließen und an Vicco von Bülow denken als Privatmann, was fällt Ihnen dann ein?

    Clemen: Wenn ich die Augen schließe, sehe ich einen liebevollen zugeneigten Herrn, der mit leisem Schmunzeln auf die Welt blickt und mit einer solchen Liebe an den Figuren hängt, die er für die Deutschen wie kein anderer Mensch – ich muss das wirklich so absolut superlativisch sagen ... Es gibt niemanden, der den Deutschen so einen Reichtum an Menschen zur Verfügung gestellt hat, über die man lachen, aber auch fast weinen muss, weil sie alle in ihrer Gefangenheit, in ihrer, und wenn es nun Knollennase ist, Verunstaltung so der Welt gegenüberstehen, dass man denkt, diese Menschen will man näher kennenlernen und mit denen will man eigentlich leben.

    Heckmann: Wo kam diese Liebe zu den Menschen her? Was denken Sie?

    Clemen: Ja, das ist eine lange Entwicklungsgeschichte bei ihm in seiner eigenen Biografie, wo er eben in sehr frühen Jahren an der Akademie studiert hat und, glaube ich, dann irgendwann in seiner Entwicklung sich auf eine wie unter dem Mikroskop betrachtete Blickweise auf den Menschen geworfen hat und merkte, dass er mit diesen - also es ist ja reduziert bis auf den Strich; diese ersten Zeichnungen sind ja Strichzeichnungen -, dass man also ohne Drumrum und viel Illustration drumrum sieht das Wesen des Menschen in seinem. Und wenn man sagt, das ist ja eigentlich manchmal nichts anderes als "Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Angesicht", aber was das für ein Angesicht ist, es ist ein Antlitz, ein Antlitz des Menschen in seiner Pein, in seinem Glück, in seiner Verzweiflung, und das ist eben das Wunder, was da entstanden ist, durch diese ganz reduzierten Zeichnungen von Loriot.

    Heckmann: Die Sketche und die Zeichnungen von Loriot, die funktionieren ja in häufigen Fällen zumindest heute noch. Sie sind im besten Sinne zeitlos und dennoch einer ganz bestimmten Zeit zuzuordnen. Wie hat er das erreicht, dass das immer noch funktioniert?

    Clemen: Ja, das ist ein Wunder. Das ist das Wunder, glaube ich, das hinter all dieser Kunst und diesem Können steckt, was er einfach sowohl in den Sketchen, wie auch in den Zeichnungen, wie auch in den Prosa-Werken zeigt. Das Können ist eine ganz, ganz große Besonderheit bei ihm, aber es ist eben nie ein rein technisches Können, sondern wenn ich mich reduzieren müsste, auch weil wir jetzt zeitlich ja sehr begrenzt sind, würde ich diese zwei Worte sagen, die sind es gewesen: Es ist Genauigkeit und Liebe. Und dieser Blick auf die Menschen mit Genauigkeit und mit Liebe ist das, was es zu diesem außerordentlichen Werk gemacht hat, was man in allen Phasen findet. Und das, was Sie gesagt haben, zeitlos, ist für mich: Als ich ihn damals mit Andreas Wirth an die Universität holen durfte und dieses größte Geschenk, was die Universität bekommen hat, das bewegt mich zutiefst, dass wir das haben durften, war, bei der Antrittsrede konnte ich eigentlich nur sagen, ich weiß von niemandem in Deutschland, wenn man dessen Namen erwähnt, ob es nun Vicco von Bülow ist, oder ob es der Name Loriot ist, dass die Augen leuchten bei Menschen zwischen 8 und 80. Es gibt keinen, wo nicht beim Nennen dieses Namens die Augen erst mal leuchten, und das hat mich natürlich dann so froh gemacht, dass ich diesen Menschen zu uns an die Universität holen durfte.

    Heckmann: Vicco von Bülow war Gastdozent an der UDK. Was hat er versucht, den Studentinnen und Studenten zu vermitteln?

    Clemen: Er hat in mehreren Seminaren, die wir ... Auf seinen Wunsch waren das eben auch immer kleinere Gruppen, wo er intim und ganz direkt und ganz intensiv mit einzelnen Leuten arbeiten konnte. Er hat ihnen vermittelt sowohl eine ja fast erbarmungslose Genauigkeit, indem er gesagt hat, nein, so nicht, nein, so. Wenn wir an seinen Texten gearbeitet haben, oder auch manchmal an Shakespeare, er war sehr, sehr, sehr präzise, um nicht fast zu sagen penibel und pedantisch in bestimmten Punkten. Aber auf der anderen Seite hat er in seinem Unterricht – und der Unterricht hat den Studenten in einer Weise Freude und tiefen Eindruck gemacht; ich habe jetzt von vielen Studenten auch die Mitteilung, es waren die schönsten Stunden, die wir verbracht haben an der Universität – eben auch gezeigt, wie es eben nicht nur durch technische Präzision, sondern auch das Gefühl, was man da mehr über den Menschen erzählen kann, als nur dadurch, dass man sagt, jetzt kommt der Satz so, oder kommt der Satz so, also dass während ein Gespräch über ein Ei abläuft das ganze Thema, das weltumwebende Thema Ehe verhandelt wird und man diesen Hintergrund immer hinter dem Vordergrund der Präzision sieht.

    Heckmann: Der Theater-Regisseur und Freund Vicco von Bülows, Harald Clemen von der Universität der Künste. Herr Clemen, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

    Clemen: Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.