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"Dieses Ministerium ist nicht effizient"

Der Verteidigungsexperte der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, kritisiert den doppelten Planungsstab im Verteidigungsministerium und spricht von durchorganisierter Verantwortungslosigkeit. Er vermutet, dass Minister zu Guttenberg der Mut zur Umsetzung der geplanten Bundeswehr-Reformen fehle. Er äußerte sich auch zur Sinnhaftigkeit des Bonn-Berlin-Gesetzes.

Omid Nouripour im Gespräch mit Jasper Barenberg | 26.10.2010
    Barenberg:Einen schönen guten Morgen, Omid Nouripour.

    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!

    Barenberg: Herr Nouripour, es ist ein vernichtendes Urteil über Organisation und Arbeitsweise des Ministeriums. Nun reden wir ja nicht erst seit heute über Missstände dort, auch im Bundesverteidigungsministerium. Hat Sie das Zeugnis in dieser Schärfe dennoch überrascht?

    Nouripour: Eigentlich nicht. Es ist sehr erfreulich, dass diese Kommission das in dieser Deutlichkeit auch aufschreibt. Wir müssen aber feststellen, dass es sehr, sehr lange schon Doppelstrukturen gibt, Ineffizienzien gibt in diesem Ministerium und teilweise eine durchorganisierte Verantwortungslosigkeit. Es kann mir bis heute niemand erklären, warum es einen Einsatzführungsstab gibt, für den Generalinspekteur zuarbeitend, und einen Planungsstab. Eigentlich müsste ein Stab reichen, der allen zuarbeitet, und wir haben es teilweise mit Strukturen zu tun, bei denen es darum geht, dass man sich gegenseitig abschottet. Also die Missstände sind da schon eher dramatisch und Dr. Weise hat aus der Warte, finde ich, recht.

    Barenberg: Nun werden die Details ja erst heute Vormittag vorgestellt. Aber so viel scheint sich abzuzeichnen: Im Grunde handelt es sich bei dem Ministerium einen nicht steuerbaren, ineffizienten bürokratischen Apparat. Würden Sie so weit gehen?

    Nouripour: Das ist ein bisschen - - "Nicht steuerbar" ist gerade beim Militär hochgefährlich und deshalb ist das eine doch sehr waghalsige Äußerung. Ich würde sagen, dass dieses Ministerium intransparent ist, ich würde sagen, dass dieses Ministerium nicht effizient ist, und ich würde sagen, dass ich als Parlamentarier – und wir haben es mit einer Parlamentsarmee zu tun – jetzt immer wieder erlebt habe in den letzten Jahren, dass Informationen nicht herausgegeben worden sind, widersprüchlich herausgegeben worden sind. Also das ist schon ein großes Problem gewesen. Es gibt teilweise Staaten im Staat, es gibt Abteilungen, von denen man nicht ausgehen kann, dass ein Wort des Ministers oder das Wort der politischen Leitung dort überhaupt Widerhall findet. Wir haben immer wieder erlebt, zum Beispiel dass Vorlagen gegeben worden sind, die öffentlich zugänglich sind, die man im Internet finden kann, die dann geheim klassifiziert waren, und wenn man nachgefragt hat, hat sich herausgestellt, dass die politische Führung davon überhaupt nichts wusste. Also es ist schon ein Haus – die Überschrift ist jetzt möglicherweise austauschbar -, das nicht wirklich "leistruiert".

    Barenberg: Nun hat die sogenannte Weizsäcker-Kommission ähnliche Missstände schon vor zehn Jahren an den Pranger gestellt. Warum ist in der Zwischenzeit nichts geschehen, auch nicht in der Regierungszeit von Rot-Grün?

    Nouripour: Es war ja nicht nur die Weizsäcker-Kommission; hier hatten ja noch andere Reformvorschläge. An Erkenntnissen hat es nichts gemangelt in den letzten Jahren, sondern immer an Umsetzungsfragen. Gilt auch für die Minister Struck und Scharping, die unter Rot-Grün dort am Werke waren. Das ist so! Man muss sagen, es hat an der Umsetzung gemangelt. Die Frage ist jetzt: Wird Guttenberg den Mut haben, diese Einschnitte auch vorzunehmen, wird Guttenberg diese Umsetzungsfragen tatsächlich auch angehen, und da muss ich jetzt ein Fragezeichen dahinter machen. Wenn man eine so große Reform beginnt, dann kann man nicht erst die Zahlen und die Absichten darlegen und dann in zwei Jahren erst anfangen damit, sondern man muss sofort da rangehen. Wenn ich mir den Einzelplan anschaue, den Wehretat, den wir jetzt zu verabschieden haben im Deutschen Bundestag, dann findet sich darin nichts wieder, dann finden wir diese Reformen darin nicht. Der Minister sagt selber, er wird im Januar erst genaue Entscheidungen treffen, wahrscheinlich, wenn ein Stückchen der Rauch auch sozusagen weg ist, weggeblasen ist von den Reformen von der Weise-Kommission. Aber dann wird er erst mal 2011 die Hände in den Schoß legen, oder wie will er das eigentlich machen?

    Barenberg: Aber nun hat die Kommission ja Monate recherchiert. Ist es nicht nötig, jetzt die Zeit abzuwarten, sich das in Ruhe auch anzuschauen?

    Nouripour: Ich finde, dass man damit eigentlich sofort beginnen muss. Wir wissen, dass zum Beispiel Abbau von Personal wirklich gerade kurzfristig sehr viel Geld kostet, aber das Geld ist jetzt nicht im Haushalt eingestellt. Der Haushalt wird jetzt in den nächsten vier Wochen durch den Bundestag gehen, und wie man das danach umsetzen will, was der Minister, was die Führung des Hauses überhaupt vorhat, das ist ein wenig unklar, das ist völlig unklar, und vor dem Hintergrund befürchte ich, dass auch Minister Guttenberg den Mut nicht hat, diese großen Reformen anzupacken.

    Barenberg: Ein anderes Thema sorgt für Aufsehen: die vorgeschlagene Verlegung des Hauptsitzes des Ministeriums nach Berlin. Da ist das alte Bonn-Berlin-Gesetz davor. Muss das gekippt werden für diese Reform?

    Nouripour: Dass wir 20 Jahre nach der deutschen Einheit aus politischen Gründen, also was Reibungen innerhalb von Ministerien betrifft, aus ökonomischen, auch aus ökologischen Gründen – wir reden ja über eine wöchentliche Völkerwanderung von Beamten -, dass wir da mal darüber nachdenken müssen, ob das Gesetz noch sinnhaft ist, das ist eine Binsenweisheit. Die Frage ist: Wie packt man das an. So was kann man nicht gegen die Belegschaft, sondern nur mit der Belegschaft machen, aber dafür muss man das Gespräch mit denen suchen. Das geht aber nicht, wenn die Belegschaft seit Monaten auch vom Minister selber durch die Zeitung erfährt, dass man solche Absichten habe, sondern da muss tatsächlich in einem Haus selbst, im Verteidigungsministerium auch eine offenere Sprache gesprochen werden und mit der Belegschaft, auch mit den Gewerkschaften und Verbänden das Gespräch gesucht werden. Das ist in den letzten Monaten nicht geschehen. Ich befürchte, dass das ein Stückchen die Tür auch zugemacht hat.

    Barenberg: Und ich verstehe Sie richtig, die Musik, sie spielt inzwischen längst in Berlin? Das heißt, die Konsequenz sollte auch sein, dass nicht nur das Verteidigungsministerium, sondern auch die anderen fünf Ministerien auf Zeit dann gänzlich nach Berlin umziehen sollen?

    Nouripour: Ich bin der verteidigungspolitische Sprecher meiner Fraktion, ich kann nur über diesen Bereich reden. Aber ich glaube, dass wir uns das Bonn-Berlin-Gesetz mal anschauen sollten und überlegen sollten, wie man der Region Bonn auch ohne diese Ministerien helfen kann.

    Barenberg: Ein weiterer Aspekt noch der Vorschläge der Weise-Kommission: weniger Mitarbeiter, dafür mehr Truppen. So versteht es jedenfalls der Bundeswehrverband und sein Vorsitzender Ulrich Kirsch. Ist das auch die richtige Richtung?

    Nouripour: Darum geht es nicht. Die Frage ist, was tun diese Leute, und da wiederum muss ich sagen, dass der Prozess jetzt ein Stückchen auf den Kopf gestellt wurde. Wenn ich eine Organisation habe, gerade eine so große Organisation wie die Bundeswehr, die reformbedürftig ist – und das sieht man -, dann ist doch als Erstes die Frage gestellt, welche Aufgaben wollen wir, dass die Bundeswehr erfüllt. Die Aufgabenkritik gehört an den Anfang, dann rede ich über die Strukturen, über die Gesamtgröße, über die Standorte et cetera pp. Im Falle von Guttenberg ist das anders herum: erst macht er eine Strukturkommission, dann will er die Vorschläge überprüfen und dann möglicherweise umsetzen, inwieweit werden wir ja sehen, wie gerade gesagt, und am Ende will er ein neues Weißbuch machen, in dem die Aufgaben stehen. Aber dann sind die Fakten längst geschaffen! Also die Frage, wofür die Beamten eingesetzt werden, wofür die Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden, ist eine, die ans Ende gestellt worden ist. Das ist ein Stückchen absurd. Fakt ist, dass wir bisher eine Armee haben von 252.000, und Fakt ist, dass bei den neuen Aufgaben, die die Bundeswehr seit etwa 15, 16 Jahren, nämlich in erster Linie Stabilitätseinsätze im Ausland, angeht, wir größere Probleme haben, nicht nur Personal aufzustellen, sondern auch das durchzuorganisieren. Wenn ich daran denke, wie viele Probleme es immer wieder gibt, dass Soldaten bei ihren Übungen nicht genug Munition haben, dann wird klar, dass tatsächlich dort einiges im Argen liegt.

    Barenberg: Die Einschätzung von Omid Nouripour, Mitglied des Bundestages bei Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch, Herr Nouripour.

    Nouripour: Danke Ihnen.