Bundesverfassungsgericht
"Diffamierend" und "realitätsfern": SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf äußert Unmut über Berichterstattung

Wenige Tage nach der gescheiterten Richterwahl im Bundestag hat sich die von der SPD vorgeschlagene Rechtsprofessorin Brosius-Gersdorf zu Wort gemeldet. In einer ausführlichen Erklärung, die dem Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio vorliegt, nennt Brosius-Gersdorf es diffamierend und realitätsfern, wenn sie als "ultralinks" oder "linksradikal" eingeordnet werde.

    Die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf spricht in der Bundespressekonferenz.
    Die Wahl von Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht ist zunächst gescheitert. (picture alliance / Metodi Popow / M. Popow)
    Eine eingehende Befassung mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zeige vielmehr, dass ihre Positionen im Ganzen betrachtet der demokratischen Mitte zuzuordnen seien. Die Berichterstattung über sie und ihre Standpunkte sei in Teilen der Medien unzutreffend, unvollständig, unsachlich und intransparent gewesen, kritisierte die Juristin. So sei etwa die Behauptung verunglimpfend, sie habe sich für eine Legalisierung und eine Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt ausgesprochen. Auch ihre Positionen zu einem Kopftuchverbot und zu Paritätsmodellen für die Wahl des Bundestags seien häufig falsch dargestellt worden, betont Brosius-Gersdorf in der von einer Bonner Anwaltskanzlei verbreiteten Erklärung.

    Zahlreiche Rechtswissenschaftler verteidigen Brosius-Gersdorf

    Rund 300 Rechtswissenschaftler übten Kritik am öffentlichen Umgang mit der Kandidatin Brosius-Gersdorf. In einem offenen Brief heißt es, dass man dagegen nachdrücklich protestiere. Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeuge zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung. Brosius-Gersdorf sei eine hoch angesehene Staatsrechtslehrerin. Das sei in Fachkreisen völlig unstreitig. Alle Äußerungen, die ihre wissenschaftliche Reputation infrage stellten, seien schlicht unzutreffend und unsachlich.

    Unions-Fraktionschef Spahn räumt Mitverantwortung ein

    Unions-Fraktionschef Spahn räumte eine Mitverantwortung für die gescheiterte Richterwahl ein. In einem Brief an seine Fraktion schreibt Spahn, es ärgere ihn, dass die gute Bilanz der schwarzroten Regierung nach 70 Tagen von den Ereignissen überschattet werde. Ihm sei bewusst, dass er als Fraktionsvorsitzender dafür eine Verantwortung trage. Er werde nun alle Energie darauf verwenden, dass die Unionsfraktion "verlässlicher Stabilitätsanker" der Koalition bleibe. Spahn fügte hinzu, er sei überzeugt, dass man gemeinsam mit der SPD eine Lösung finden werde.
    Bayerns Ministerpräsident Söder (CSU) forderte die SPD-Spitze auf, ihren Personalvorschlag zurückzuziehen. Auf der umstrittenen Kandidatin liege kein Segen, sagte der CSU-Vorsitzende der Bild-Zeitung.

    Trotz Übereinkunft der Fraktionsspitzen wurde die Wahl abgesagt

    Weil nach Kritik aus der Union die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für die von der SPD nominierte Jura-Professorin Brosius-Gersdorf trotz vorheriger Übereinkunft der Führungsspitzen und zuständigen Gremien nicht sicher war, waren am Freitag alle drei Richterwahlen abgesagt worden. Wie die Nachrichtenagentur Reuters nach Angaben aus der SPD-Fraktion meldet, will die Juristin an ihrer Kandidatur für das Amt als Verfassungsrichterin festhalten.

    Koalition durch abgesagte Richterwahl beschädigt?

    Bundeskanzler Merz sieht die schwarz-rote Regierung nicht durch die verschobene Richterwahl für das Verfassungsgericht beschädigt. "Das war am Freitag nicht schön. Aber das ist nun auch keine Krise, keine Krise der Demokratie, keine Krise der Regierung", sagte Merz am Sonntag im ARD-Sommerinterview. Bundespräsident Steinmeier hatte hingegen gesagt, wenn man einen Blick in die Zeitungen vom Wochenende werfe, lerne man sofort, "die Koalition hat sich jedenfalls selbst beschädigt".

    Hörtipp: Deutschlandfunk-Politik-Podcast

    Verfassungsrichterwahl: Abstimmung abgeblasen, Vertrauen verspielt
    Diese Nachricht wurde am 15.07.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.