Samstag, 20. April 2024

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Digitale Münchner Sicherheitskonferenz
"Die Pandemie hat zu einer Lähmung der internationalen Diplomatie geführt"

Dass seit einem Jahr nahezu keine vertraulichen Zwiegespräche möglich seien, habe der Diplomatie sehr geschadet, sagte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, im Dlf. Dialog werde dringend benötigt, denn die Welt sei gefährlicher geworden.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 19.02.2021
Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, spricht auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020.
Auf der Konferenz im vergangenen Jahr konnte der Leiter, Wolfgang Ischinger, direkt zu seinen Gästen sprechen, dieses Jahr findet die Veranstaltung digital statt (picture alliance/dpa/Sven Hoppe)
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz kommen normalerweise über 400 Staatschefs, Spitzenpolitiker, hochrangige Militärs und Diplomaten sowie führende Personen aus Wirtschaft und Forschung aus aller Welt zusammen. In diesem Jahr findet die Konferenz allerdings wegen der Pandemie digital statt und dauert nur drei Stunden statt zwei Tage.
Digital seien allerdings wichtige Elemente diplomatischer Gespräche nicht möglich, sagte der Leiter der Konferenz, Wolfgang Ischinger, im Deutschlandfunk. Zu Diplomatie gehörten vertrauliche und persönliche Zwiegespräche, sich auch mal etwas zuraunen zu können.
Die Welt sei gefährlicher geworden, sagte Ischinger im Interview. Die regelbasierte internationale Ordnung mit starken Institutionen sei in ihren Grundfesten erschüttert. In dieser Zeit sei es enorm wichtig, Dialog zu führen und Dialog zu fordern. Die Münchner Sicherheitskonferenz versuche, das unter den gegebenen Einschränkungen möglich zu machen. Dass US-Präsident Joe Biden seine Teilnahme zugesagt habe, mache ihn stolz, sagte Ischinger. Unter anderem werden daneben Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, UN-Generalsekretär Antonio Guterres, der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, und der Milliardär und Microsoft-Gründer Bill Gates teilnehmen.
Gerissene Fahnen von den USA und EU, Symbolfoto für drohenden Handelskrieg 
Trumps schwieriges transatlantisches Erbe
US-Präsident Donald Trump hat die transatlantischen Beziehungen mit seiner Politik auf eine harte Probe gestellt. Verständigung über den Atlantik hinweg gab es dennoch, etwa durch eine Vernetzung auf lokaler Ebene. Mit Joe Biden könnte sich das Verhältnis auch auf der großen politischen Bühne verbessern.

Christoph Heinemann: Herr Ischinger, welche Herausforderung bedeutet Corona für die Münchner Sicherheitskonferenz?
Wolfgang Ischinger: Wie in allen anderen Lebensbereichen hat die Pandemie zu einer Lähmung der internationalen Diplomatie geführt mit aus meiner Sicht noch gar nicht wirklich überschaubaren Konsequenzen. Schauen Sie mal: Das Gespräch, auch das Gespräch zwischen zwei Personen, das kann ja nicht mehr stattfinden. Wenn, sagen wir mal, Präsident Macron mit Wladimir Putin sprechen will, dann geht das nicht so, dass man sich gegenseitig auch mal etwas zuraunen kann, sondern man muss telefonieren oder gar per Zoom oder mit anderen technischen Hilfsmitteln kommunizieren, und dann hören auf beiden Seiten ganze Heerscharen von Leuten zu. Das heißt, das vertrauliche Element, auch mal der kleine persönliche Punkt, beweg dich doch mal in der Sache, dann komme ich dir an einer anderen Ecke entgegen, ist nicht möglich seit fast einem Jahr. Das ist eine schwere Beeinträchtigung der Diplomatie.
Wir versuchen, wir als Plattform für Dialog, wir versuchen, jetzt das Beste daraus zu machen mit diesem Event heute Nachmittag, aber das ist natürlich auch nicht das, was normalerweise meine Kundschaft, nämlich die Entscheidungsträger der internationalen Politik, von der Münchner Sicherheitskonferenz erwarten, nämlich dass sie in zwei Tagen zehn, 15, 20 Einzelgespräche führen können mit ihren Kollegen, zum Teil aus völlig anderen Erdteilen. Aber es ist uns gelungen, Joe Biden zu bekommen, und das ist der entscheidende Punkt.
Heinemann: Unser Korrespondent Klaus Remme hat gesagt, der Mann gehört zum Mobiliar der Konferenz. Wie leicht oder schwer war das?
Ischinger: Es war natürlich nicht leicht. Richtig ist, Joe Biden kennt und schätzt die Konferenz. Wir kennen uns. Die Konferenz kennt ihn, er kennt uns. Er kennt auch mich persönlich aus meiner Zeit als Botschafter und er war ja als Vizepräsident mehrfach unser Stargast in München.
Es ist richtig, dass es da eine lange Tradition gibt. Er war als ganz, ganz junger Senator mit knapp 30 Jahren 1980 bereits einmal schon dabei und dann immer wieder. Aber er hätte natürlich – und deswegen bin ich tatsächlich auch ein bisschen stolz darauf –, er hätte natürlich auch entscheiden können, dass er seine erste Ansprache an ein ausländisches Publikum, ich weiß nicht, in Singapur oder in Tokio macht. Oder, wenn er Europa ansprechen wollte: Bestimmt gab es auch Ideen, warum nicht eine virtuelle Rede vor dem Europäischen Parlament oder vor den NATO-Chefs.
Nein, er hat sich dafür entschieden, unsere Einladung anzunehmen. Das war nicht so einfach. Ich bin mit meinem Team seit November da Tag für Tag dran gewesen und die endgültige Zusage haben wir erst seit einer guten Woche.

"China wird zentrales Thema transatlantischer Zusammenarbeit"

Heinemann: Herr Ischinger, ein zentrales Thema der nächsten Jahre werden die Beziehungen zwischen den USA und China sein. Präsident Biden hat jetzt mit seinem chinesischen Kollegen Xi telefoniert. Er hat unfaire, auf Zwang setzende wirtschaftliche Praktiken angeprangert, auch die Menschenrechtslage, übrigens genauso wie sein Vorgänger. Worin unterscheidet sich Joe Biden von Donald Trump?
Ischinger: Na ja. Die amerikanische China-Politik wird sich jetzt von Biden nach Trump in der Sache nach meinem Eindruck nicht wesentlich ändern. Sie wird nicht von hart plötzlich zu weich werden. Warum nicht? – Schon deswegen nicht, weil in der Frage China beide Häuser des amerikanischen Kongresses, die Republikaner genauso wie die Demokraten, einen härteren Kurs seit längerem fordern.
Wir dürfen nicht erwarten, dass jetzt so eine Art amerikanischer Schmusekurs gegenüber China stattfindet. Deswegen wird das Thema China auf der transatlantischen Tagesordnung einen ganz prioritären Platz einnehmen müssen in den kommenden Monaten und Jahren. Das wird neben Russland, neben klassischen NATO-Themen, das zentrale Thema transatlantischer Zusammenarbeit oder transatlantischer Friktion werden, nach meinem Dafürhalten.
Joe Biden unterschreibt ein Dokument
Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung:
Nach der Amtsübernahme des neuen US-Präsidenten Joe Biden, hat Peter Beyer, eine schnelle Reparatur des transatlantischen Beziehungen gefordert. Allerdings müsse man diese neu denken und dürfe nicht zurück zu alter Nostalgie, forderte er im Dlf.

"Die Welt ist gefährlicher geworden"

Heinemann: Stichwort Friktion. Australiens Ministerpräsident Rudd spricht von einer "dekade of living dangerously", einem Jahrzehnt, in dem es gefährlich werde. Rechnen Sie mit einer Verschärfung der Spannungen?
Ischinger: Wir leben in der Tat – da hat Kevin Rudd recht – in einer Welt wieder zunehmender Großmacht-Rivalitäten. Das treibt viele meiner Kollegen, viele der Beobachter um, mich selbst auch. Wir erleben, dass eine regelbasierte internationale Ordnung mit starken Institutionen – denken Sie an die Vereinten Nationen, denken Sie an die WHO – in ihren Grundfesten erschüttert werden, dass sie nicht funktionieren, dass sie blockiert werden. Missverständnisse werden dann häufiger. Man redet aneinander vorbei. Man rüstet militärisch auf, übrigens vor allen Dingen in Asien, noch viel stärker als in unserem Teil der Welt. In der Tat: Die Welt ist gefährlicher geworden. Deswegen ist es so wichtig, dass wir auf allen Ebenen und zu allen Themen versuchen, so gut es geht Dialog zu führen und Dialog auch zu fordern. Einen kleinen Beitrag können wir ja vielleicht dazu heute jedenfalls im transatlantischen Verhältnis leisten.
Heinemann: Stichwort Aufrüstung. Ist militärische Abschreckung erforderlich zum Schutz von Taiwan, von Japan oder der gesamten Region des Südchinesischen Meeres?
Ischinger: Abschreckung ist dann erforderlich, wenn die betroffenen Länder und ihre Bevölkerungen sich bedroht fühlen – zurecht oder zu Unrecht. Wenn Sie mit Japan reden, wenn Sie mit japanischen Politikern reden, dann werden die Ihnen sagen, wir sind ein nicht nukleares Land, übrigens genauso wie die Bundesrepublik Deutschland, wir brauchen einen Schutz, wir brauchen Abschreckung, wir haben einen möglicherweise nicht wirklich berechenbaren Nachbarn, der sich jetzt nuklear aufgerüstet hat, Nordkorea, um mal von China ganz zu schweigen, deswegen brauchen wir den amerikanischen Verbündeten, genauso wie wir hier in Europa, und wir brauchen die Abschreckung. Ja! – Kommt darauf an, wie die Bedrohungsgefühle sind. Und wenn Sie unsere östlichen Nachbarn, die Polen, die Balten und andere fragen, dann werden die ganz ähnliche Antworten geben. Selbst wenn wir hier in Deutschland uns gelegentlich glauben, daran erfreuen zu können, dass um uns herum ja nur noch EU-Partner, Freunde sind – ja, aber wenn man über diese Grenze der Freunde hinausschaut, dann sieht es, wirklich salopp gesprochen, sehr düster aus.

China und USA: "Notwendigkeit noch viel engerer Zusammenarbeit beim Klimaschutz"

Heinemann: Herr Ischinger, der geopolitische Wettbewerb zwischen den USA und China wird sich verschärfen, der technologische mit Sicherheit auch. Auf welchen Feldern können beide denn zusammenarbeiten?
Ischinger: Bei dem kürzlichen Telefonat zwischen Joe Biden und Präsident Xi Jinping sind die Felder möglicher Zusammenarbeit ja schon angesprochen worden. Das Herausragendste, das Wichtigste – übrigens auch aus europäischer Sicht – ist die Notwendigkeit noch viel engerer Zusammenarbeit beim Klimaschutz, bei der Klimapolitik, bei der Energiepolitik, und natürlich auch im Bereich der Innovation, der Technologie. Für uns Deutsche ist die Zusammenarbeit mit China, ist der Handel mit China, ist der Export nach China ja zu einem ganz, ganz wichtigen Bestandteil unserer Wirtschaftskraft geworden. Hier gibt es wesentliche Zusammenarbeitsinteressen, aber natürlich auch Konfliktbereiche, die wir heute klarer ansprechen, als das vielleicht noch vor fünf Jahren der Fall gewesen wäre: Menschenrechte, Hongkong, das Schicksal der Uiguren, das Südchinesische Meer und so weiter.
Heinemann: Herr Ischinger, Joe Biden muss rasch eine weitere Entscheidung treffen. Die Trump-Regierung hatte vor einem Jahr in einem Friedensabkommen mit den Taliban einen Abzug aller Truppen aus Afghanistan bis Ende April zugesagt. Rechnen Sie damit, dass die US-Truppen Afghanistan in zwei Monaten räumen werden?
Ischinger: Die Nato-Verteidigungsminister haben sich ja in den letzten zwei Tagen gemeinsam über diese Frage gebeugt. Nach meinem Eindruck ist eine schlussendliche Entscheidung der amerikanischen Seite noch nicht getroffen. Aber ich denke, es deutet alles darauf hin – und ich finde das absolut richtig –, dass es nicht zu dem kategorischen kompletten Abzug jetzt in den kommenden Wochen kommen wird, weil man natürlich riskieren würde, die Arbeit der letzten 20 Jahre damit tatsächlich komplett aufs Spiel zu setzen. Ich rechne damit, dass es zu einem graduellen, gestaffelten Vorgehen kommen wird, natürlich auch in Abstimmung mit den Alliierten und den Verbündeten, vor allem auch der Bundesregierung, die sich nun auch seit 20 Jahren mit unseren Bundeswehrsoldaten in Afghanistan aufhält und ja abhängig ist vom Verhalten der amerikanischen Großmacht. Ich glaube, es kommt zu einem vernünftigeren allmählicheren Verfahren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.