Donnerstag, 25. April 2024

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Digitalstrategie der Bundesregierung
"Wir laufen nur hinterher"

Digital-Experte Tobias Kollmann hat die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Digitalstrategie kritisiert. Es sei beschämend und für eine Wirtschaftsnation längst nicht mehr tragbar, im Jahr 2019 noch immer über den Ausbau der digitalen Infrastruktur zu sprechen.

Tobias Kollmann im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 18.11.2019
Die Aufschrift «Kein Netz» auf dem Bildschirm eines Mobiltelefons.
Immer noch Realität: Das Funkloch in Zeiten der Smartphones (Inga Kjer / dpa)
Ann-Kathrin Büüsker: Vor dieser Sendung habe ich darüber mit Tobias Kollmann gesprochen. Er ist Professor für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen. Einer seiner Schwerpunkte ist E-Business. Ich habe ihn zunächst nach einer Bewertung des Ganzen gefragt, denn bisher hatte man ja darauf gesetzt, dass die Telekommunikationsanbieter das schon machen. Die haben aber wegen mangelnder Rentabilität Funklöcher gelassen.
Nun springt der Staat hier ein. Meine erste Frage an Tobias Kollmann daher: Sehen wir hier ein Marktversagen?
Tobias Kollmann: Hier sehe ich nicht nur ein Marktversagen; ich sehe hier vor allen Dingen ein Ausschreibungsverfahren. Weil wenn man sich vor Augen führt, dass die Lizenzen für die entsprechenden Mobilfunkbandbreiten hier versteigert wurden, dann hat der Staat das Heft des Handelns in der Hand. Man hat es zumindest mal bei 4G versäumt, die entsprechenden Ausbauverpflichtungen mit in die Lizenzen hineinzugeben.
Das ist zwar bei 5G anders, aber offensichtlich scheint es auch hier so zu sein, dass wir nicht damit rechnen können, dass hier tatsächlich die volle Netzabdeckung bundesweit erreicht wird, und hier ist dann wieder der Staat gefragt, um die entsprechenden Lücken zu füllen. Das kann eigentlich nicht sein, das darf eigentlich nicht sein, und wenn man sechs Milliarden einnimmt und davon eine Milliarde schon wieder ausgeben muss, um die Lücken zu schließen, dann ist das sicherlich nicht so, wie man sich das ursprünglich gedacht hat.
"Wir sind immer am Hinterherlaufen"
Büüsker: Selbst Olaf Scholz hat ja heute Versäumnisse zugegeben, eingeräumt. Wie erklären Sie sich das, dass der Staat hier in Sachen Infrastrukturausbau die ganze Sache so lange hat schleifen lassen?
Kollmann: Es ist schon traurig und ein Stück weit auch beschämend, wenn wir uns vor Augen führen, dass wir 2019 haben und immer noch über eine digitale Infrastruktur sprechen. Wir haben mit unseren Breitbandzielen einerseits und mit der zugehörigen Technologie andererseits immer das Ziel verfehlt. Wir sind immer am Hinterherlaufen, und das ist eigentlich für eine Wirtschaftsnation längst nicht tragbar.
Wir kennen alle die Statistiken, wo wir bestenfalls in der Versorgung im Mittelfeld liegen. Das kann einfach nicht sein und ich verstehe selber persönlich auch nicht, inwieweit so ein wichtiges Themenfeld in der Politik offensichtlich immer noch nicht so verankert ist, dass man hier diese Grundversorgung von Gesellschaft, aber auch von Wirtschaft so ernst nimmt, um die entsprechenden Maßnahmen zu treffen.
Das kann eigentlich nicht sein und es muss daran liegen, dass das Thema Digitalisierung insgesamt auch in einer Bundesregierung nicht den Stellenwert hat, gleichberechtigt am Kabinettstisch sitzt, bestenfalls auch mit dem eigenen Ressort, dass hier die Dringlichkeit und Notwendigkeit auch im politischen Apparat abgedeckt wird.
"Wir haben ein klares Umsetzungsproblem in Deutschland"
Büüsker: Aber jetzt scheint das ganze Kabinett ja erkannt zu haben, dass sich was tun muss. Die Pläne von heute sind ja ambitioniert und klingen erst mal so, als würde sich da in den nächsten Jahren richtig viel tun.
Kollmann: Ich bin natürlich erst mal skeptisch, weil wir hatten schon oft diese Ankündigungen. Wir hatten auch die Ankündigung, dass wir 2018 flächendeckend 50 MBIT hätten. Das haben wir nicht erreicht. Die aktuellen Ziele sind auch wieder aktuell außerhalb der Legislaturperiode definiert worden. Da kann man jetzt schon die Uhren danach stellen, dass wir auch diese Ziele nicht erreichen werden.
Eine Kuh weidet auf einer Wiese neben einer Mobilfunkantenne in Unterthingau.
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Nein, ich glaube, das alles reicht nicht, und wir haben so viele Ankündigungen im Digitalbereich gehabt in den letzten Jahren, aber die Taten sind nicht eingetreten, und wir müssen mal weg kommen von Ankündigen. Wir müssen hinkommen zu konkreten Umsetzungen. Das ist das Entscheidende. Wir haben kein Erkenntnisproblem in Deutschland, was die Digitalisierung angeht. Wir haben ein klares Umsetzungsproblem und das ist in der Politik immer noch klar erkennbar.
Büüsker: Wenn Sie sagen, es fehlt an der konkreten Umsetzung, was würden Sie denn vorschlagen? Was muss genau jetzt passieren, damit das mit der digitalen Infrastruktur in Deutschland klappt?
Kollmann: Jedenfalls nicht nur das Geld bereitstellen, weil den Fehler haben wir schon oft gemacht. Da wird mit irgendwelchen Milliardenbeträgen gewunken. Die konkrete Umsetzung in entsprechende Richtlinien und dann auch in die Unterstützung zum Abrufen der Gelder, das funktioniert nicht. Wir haben ja auch für den Breitbandausbau Milliarden zur Verfügung gestellt. Davon ist nur ein Bruchteil abgerufen worden, weil es den Gemeinden vor Ort nicht gelingt, die entsprechenden komplizierten Anträge auszufüllen.
Ich glaube, dass wir hier eine ganz klare Erkenntnis haben müssen, dass wir neben einer politischen Struktur für das Thema Digitalisierung auch eine konkrete Umsetzungshilfe brauchen. Da denkt man natürlich auch an so etwas wie Digitalagenturen, die konkret dabei helfen, dass tatsächlich vor Ort etwas passiert, die Gelder abgerufen werden, abgerufen werden können, um dann auch die Maßnahmen hier stattfinden zu lassen. Das ist alles aus meiner Sicht noch nicht final gut durchdacht und da muss man noch eine ganze Menge machen.
"Wir laufen ja nicht vorneweg, sondern nur hinterher"
Büüsker: Digitalagenturen klingt jetzt aber auch erst mal nach Institutionen, in denen viel Geld versickern könnte. Das Bundeskabinett hat jetzt aber auch auf den Weg gebracht, dass zum Beispiel vor Ort die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern gesteigert werden soll, wenn es um Masten geht. Das war ja lange ein Problem, auch die Genehmigungsverfahren an dieser Stelle oft lang und kompliziert. Auch das soll jetzt besser werden. Man versucht, da auch schon praktisch was anzugehen.
Kollmann: Ja, aber noch mal: Die Akzeptanz alleine als solches reicht ja nicht. Damit steht noch kein Mast. Nur weil jemand etwas gut findet, ist noch keine Umsetzung in einer konkreten Infrastrukturmaßnahme vollzogen worden. Auch die Gemeinden hätten gerne Breitband vor Ort, auch für die vielen, vielen Gewerbegebiete, die im ländlichen Gebiet beheimatet sind. Sie kriegen nicht die entsprechenden Anträge und damit die Gelder abgerufen, um dann letztendlich diese Infrastruktur vor Ort auch stattfinden zu lassen.
Das sind aus meiner Sicht konkrete Unterstützungsleistungen, die es hier seitens des Staates geben muss, und da glaube ich, dass wir auch die entsprechenden Institutionen brauchen. Ich glaube nicht, dass wir bei Digitalisierung einfach nur mit irgendwelchen Strategien weiterkommen, sondern wir müssen darauf achten, dass die auch konkret umgesetzt werden können und dass sie im Hinblick auf die Umsetzung eine Unterstützungsleistung des Staates bekommen.
Das ist aus meiner Sicht nur mit den entsprechenden Strukturen möglich und das ist nicht über einzelne Ministerien, sondern bestenfalls über ein eigenes Digitalministerium für die politische Ebene und dann in dem entsprechenden Anhang einer Digitalagentur, politisch zugeordnet zu einem solchen Ministerium, dann in der Umsetzungskomponente der Fall. Das wäre eine sinnvolle Struktur, die wir in Deutschland brauchen, um endlich mal große Sprünge zu machen und die ehrgeizigen Ziele auch wirklich tatsächlich umzusetzen, denn wir laufen ja nicht vorneweg, sondern nur hinterher.
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"Internet ist mit Sicherheit keine Grippe, die wieder vorbeigeht"
Büüsker: Wir reden jetzt ja von der Schaffung der digitalen Infrastruktur. Aber was hilft die beste digitale Infrastruktur, wenn die Bürgerinnen und Bürger damit gar nicht umgehen können, zum Beispiel digitale Anträge gar nicht stellen können?
Wenn künftig mehr digital abgewickelt werden soll, zum Beispiel Behördengänge, müssen wir dann nicht auch irgendwie sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger damit tatsächlich umgehen können?
Kollmann: Das ist vollkommen richtig. Ich glaube, dass die Infrastruktur die notwendige, aber nicht die hinreichende Bedingung ist, um den Digitalstandort Deutschland nach vorne zu bringen. Da denke ich jetzt nicht nur an die Behördengänge, sondern da denke ich an Wirtschaft allgemein. Natürlich brauche ich hier die entsprechenden Spieler, die auf die Infrastruktur aufsetzen und das einmal von der behördlichen Seite im Rahmen des E-Governments auch konsequent spielen, so dass tatsächlich die zugehörigen Prozesse online stattfinden können und dann nicht wie oftmals vielleicht bei dem, was der Bürger am ehesten kennt, nämlich Wunschkennzeichen im Internet sich auszusuchen und anschließend aber den Zettel auszudrucken und damit zum Kraftfahrzeugamt zu gehen.
Das sind natürlich alles Aspekte, die dann am Ende eine vollkommene Digitalisierung ad absurdum führen. Ich glaube, dass da die Grundvoraussetzung erst einmal geschaffen werden muss in den Strukturen, aber auch in den Köpfen der handelnden Akteure, was das zugehörige Wissen angeht, und das kann man in der Wirtschaft fortsetzen. Auch da haben wir im Rahmen des Mittelstandes noch viel zu viele Hemmungen und Unkenntnisse in Bezug auf Digitalisierung, digitale Geschäftsprozesse, und wenn das nicht vorhanden ist, dann nutzt auch die beste Infrastruktur nichts. Das ist ein logischer Schritt und das zeigt einmal mehr, wie größer Digitalisierung eigentlich gedacht werden muss. Es wird immer nur in Einzelaspekten gedacht und nie in einem großen Ganzen, wo die verschiedenen Komponenten miteinander Hand in Hand gehen müssen.
 gibt am 19.09.2014 im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin ein Statement ab. Zuvor hatte Kollmann zusammen mit dem Bundeswirtschaftsminister an der Beiratssitzung Junge Digitale Wirtschaft teilgenommen. 
Professor Tobias Kollmann von der Universität Duisburg-Essen (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm )
Büüsker: Wie erklären Sie sich denn die mangelnde Bereitschaft vieler Menschen, sich mit diesen digitalen Prozessen auseinanderzusetzen, im Prinzip noch dem Glauben anzuhängen, das Internet, das wird schon irgendwann wieder weggehen?
Kollmann: Internet ist mit Sicherheit keine Grippe, die wieder vorbeigeht. Das haben wir inzwischen längst gelernt. Ich glaube, das hängt mit vielen Komponenten zusammen. Das eine ist natürlich, dass man aus den gewohnten Erkenntnissen und Verfahren heraus sich ein Stück weit rausbewegen muss. Wir sind gegenüber Veränderungen generell erst mal negativ eingestellt. Wir möchten gerne bei dem bleiben, was wir einmal gelernt haben, und uns nicht so groß umstellen.
Das ist natürlich bei einer Digitalisierung nicht möglich, weil Digitalisierung einmal die Spielregeln von außen, aber auch von innen geändert hat, im Rahmen der Erwartungshaltung und natürlich auch im Rahmen von Wettbewerb und wie das Thema dieser Technologie von anderen eingesetzt wird. Da müssen wir uns ein Stück weit annähern. Das gelingt uns im privaten Bereich eigentlich ganz gut. Viele von uns sind es gewohnt, ihre Reise online zu buchen, und das machen sie inzwischen auch ohne Hemmungen und mit voller Akzeptanz.
Im entsprechenden beruflichen Leben dieses Thema auch einzusetzen, das ist schon deutlich schwieriger, weil man da die bisherigen Arbeitsweisen ändern muss. Deswegen haben wir hier auch eine große Aufgabe, insbesondere die Mitarbeiter in Unternehmen so an das Thema Digitalisierung heranzuführen, dass sie verstehen, was dort passiert, dass sie verstehen, was es heißt, digitale Geschäftsprozesse und Modelle aufzubauen. Da muss man sie mitnehmen und da brauchen wir auch entsprechend genauso viele Investitionen in Weiterbildung beispielsweise wie in Infrastruktur, weil sonst werden die entsprechenden Möglichkeiten gar nicht erst genutzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.