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Dirigent Herbert Kegel
Vorkämpfer des Neuen in der DDR

Der Dirigent Herbert Kegel wollte in seinen Konzerten mehr neue Musik als Klassik aufführen. Mit dem Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchester und dem Rundfunkchor wurde Kegel, der am 29. Juli 1920 geboren wurde, zum Vorkämpfer der zeitgenössischen Musik.

Von Albrecht Dümling | 29.07.2020
    Zwei Hände dirigieren ein Orchester.
    Herbert Kegel förderte die neue Musik in der DDR (picture-alliance/ dpa / Hermann Wöstmann)
    So beginnt die 1. Sinfonie von Friedrich Goldmann, die 1974 mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig unter Herbert Kegel zur Uraufführung kam. Unter den Dirigenten der DDR war Kegel der wohl wichtigste Pionier neuer Musik. Erste Impulse dazu erhielt er als Musikstudent in Dresden.
    "Ich hatte einen fantastischen Kompositionslehrer: Boris Blacher. Der hat mich in meiner Studienzeit mit all dem bekannt gemacht, was verboten, auch ihm verboten war, zu lehren. Und dazu gehörte Bartók und dazu gehörte Strawinsky, ach, was haben wir nicht … die Kongresshalle war ein Stück Kulturgeschichte."
    Die Beschränkung auf klassisch-romantische Standardwerke gefiel Kegel nicht.
    "Deswegen bin ich bewusst etwas von der gewohnten Linie abgegangen, habe viel Modernes und, wie man so sagt, Ausgrabungen gemacht. Noch dazu konnte man sich bei der modernen Musik als junger Dirigent manuell sehr vervollkommnen."
    Manuskript für Klavier und Orchester von John Cage aus dem Jahr 1958. 
    Endlich mal erklärt: Was ist so neu an Neuer Musik?
    Im Fall der Neuen Musik liegt die Antwort im Auge beziehungsweise im Ohr des Rezipienten. Dennoch galt Neue Musik einst als ideologischer Kampfbegriff.
    Förderung junger DDR-Komponisten
    Gegen oft heftige Widerstände des Publikums förderte Kegel auch junge DDR-Komponisten. Zu ihnen gehörten Friedrich Goldmann, Georg Katzer, Reiner Bredemeyer, Udo Zimmermann sowie Friedrich Schenker. Dessen Entwicklung konnte Kegel aus nächster Nähe beobachten, denn er war Soloposaunist seines Orchesters. Neben provokativeren Werken Schenkers hat Kegel auch dessen Komposition "Landschaften" aufgeführt.
    Herbert Kegel, am 29. Juli 1920 bei Dresden geboren, hatte sich eine Pianistenkarriere erträumt. Nach dem Krieg, in dem er als Soldat eine Schussverletzung erlitt, musste er diesen Traum allerdings aufgeben. So verlegte er sich aufs Dirigieren. Schon 1949 wurde ihm die Leitung des Rundfunkchors Leipzig übertragen, den er in unerbittlicher Probenarbeit zu einem der besten europäischen Vokalensembles entwickelte.
    "Man soll einen Chor erziehen, soll eine gewisse Perfektionierung erreichen, die allerdings niemals Selbstzweck sein darf."
    Rhythmische Genauigkeit und Textverständlichkeit
    Als Antwort auf die Erfahrungen mit dem Nazi-Regime brachte Kegel Werke wie Benjamin Brittens "War Requiem", die Gemeinschaftskomposition "Jüdische Chronik" oder die Oper "Die Verurteilung des Lukullus" seines Freundes Paul Dessau zur Aufführung.
    Rhythmische Genauigkeit und Textverständlichkeit waren für Herbert Kegel oberstes Gebot. Von seinen Ensembles forderte er in den Proben 130 Prozent an Leistung, soll er einmal gesagt haben, damit im Konzert oder bei der Plattenaufnahme 100 Prozent geboten werden könnten. Sein Leipziger Dirigentenkollege Kurt Masur bestätigt dies:
    "Ich weiß von Herbert Kegels enormer Aktivität in dieser Zeit. Er hatte mit dem Funk natürlich enorme Möglichkeiten mit dem hervorragenden Chor, mit dem Orchester, mit dem er so viele Proben machen konnte, dass jedes zeitgenössische Werk wirklich auch fundiert erarbeitet werden konnte."
    Für Bela Bartóks "Cantata Profana" hatte Kegel nicht weniger als 60 Proben angesetzt.
    "Verdammt viele Proben! Beim Rundfunk war das aber möglich. Und wir haben sie genutzt, die Proben."
    "Ich habe Kegels Beständigkeit bewundert, mit der er sich für die Rundfunk-Sinfoniekonzerte ein Publikum erzogen hat. Man muss das Publikum dahin bringen, dass es neugierig wird auf Zeitgenossen. Man muss es mit Leistungen und mit einer guten Auswahl überzeugen." (Kurt Masur)
    Dank seines hartnäckigen Einsatzes für das Neue wurde 1974 die von Herbert Kegel geleitete Uraufführung von Friedrich Goldmanns 1. Sinfonie zu einem großen Erfolg. Das Werk wurde zu einer Art Frühlingserwachen für eine DDR-spezifische Moderne.