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Diskriminierung an Berliner Schulen
"Es geht um eine Frage der Schulkultur insgesamt"

Die Diskriminierung an Berliner Schulen sei kein Problem, das man dem Klassenlehrer allein überlassen könne, sagte die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch im Dlf. Auch Hilfsprojekte, die man punktuell in den Unterricht holt, würden wenig bringen. Man könne das Problem nur strukturell und systematisch lösen.

Bettina Jarasch im Gespräch mit Stephanie Gebert | 25.07.2019
Mädchen lehnt sitzend am Treppengeländer in einer Schule.
Seit 2016 hat sich die Zahl der gemeldeten Fälle von Diskriminierung an Berliner Schulen verdoppelt (Petra Sorge)
Stephanie Gebert: Diese Stelle gibt es so nur in Berlin – seit drei Jahren arbeitet dort eine Antidiskriminierungsbeauftragte für Schulen. Bei ihr können sich Schüler oder Lehrer melden, die negative Erfahrungen wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder sexuellen Orientierung gemacht haben. Das werden offenbar immer mehr, denn die Zahl der gemeldeten Fälle hat sich verdoppelt seit 2016. Insgesamt gab es fast 280 Vorfälle, das geht aus einer Antwort der Bildungsverwaltung hervor, auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus. Bettina Jarasch ist Sprecherin für Integration und Flucht der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, schönen guten Tag!
Bettina Jarasch: Guten Tag!
Gebert: Die Zahlen dürften Sie jetzt nicht überraschen, Sie wollen seit Langem mehr gegen Diskriminierung an den Berliner Schulen tun. Warum tut sich denn die rot-rot-grüne Koalition trotz dieser Fallzahlen jetzt offenbar so schwer?
Jarasch: Erst mal haben wir was begonnen, was es so noch nie gab. Dass die Zahlen so steigen, zeigt zum einen, dass es tatsächlich zeigt das Ausmaß der Problematik natürlich, ist aber auch zuerst mal ein Vertrauensbeweis in die Arbeit der Antidiskriminierungsbeauftragten, denn das stellen wir auch bei anderen ähnlich gelagerten Fällen fest: Menschen melden sich erst, wenn sie Vertrauen haben, dass mit ihrem Problem seriös umgegangen wird und dass es auch ernst genommen wird.
Gebert: Jetzt sind es ja vor allem die Beschwerden über Lehrkräfte, die da zugenommen haben, die Zahl hat sich verdoppelt. Welche Konsequenzen sollten denn daraus gezogen werden? Braucht es zum Beispiel mehr Schulungen für das Lehrpersonal?
Jarasch: Diese Zahlen zeigen zumindest eines: Es gibt eben auch diese strukturelle Dimension bei Diskriminierung. Das Thema wird gerade in den Medien oft sehr verkürzt dargestellt, so als ob es immer drum ginge, dass sich Schüler auf dem Schulhof streiten, so ungefähr. Das wäre eine sehr verkürzte Sicht auf die Dinge. Es gibt Diskriminierung durch Lehrkräfte, wobei ich dazusagen muss, die muss gar nicht immer böse gemeint sein. Da geht es um Schubladen in den Köpfen, die eben meistens oft auch unbewusst sind und trotzdem diskriminierend sind. Wir glauben, dass es dabei um eine Frage der Schulkultur insgesamt geht. Wo es Diskriminierung gibt, haben wir es nicht mit Einzelfällen zu tun, sondern meistens geht es um eine Schulkultur, die insgesamt keine Kultur des Respekts und so weiter ist. Und deswegen setzen wir nicht nur auf Fortbildungen, das auch, sondern wir setzen auch auf einen gemeinsamen Prozess in den Schulen, so eine Art Organisationsentwicklung, und dabei wollen wir die Schulen auch unterstützen.
"Die Schulleitung hat da eine Verantwortung"
Gebert: Und mitnehmen müssen Sie die auch. Die bisherige Antidiskriminierungsbeauftragte für Schulen in Berlin hatte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk schon mal berichtet, dass es da oft ans Eingemachte geht und Schulleitungen durchaus auch mal blockieren und Vorfälle an ihren Schulen gerne als Einzelfälle abtun. Fehlt es da am Problembewusstsein?
Jarasch: Ja, das ist – sagen wir es so: Erstens zeigt es, das ist tatsächlich meine feste Überzeugung, dass man dieses Problem auch vom Kopf her anpacken muss, sprich von der Leitung, von der Schulaufsicht und von den Schulleitungen her. Das ist kein Problem, das man dem Klassenlehrer oder noch besser der Sozialstation oder so allein überlassen kann oder Projekten, die man von außen dann zur Hilfe ruft und die mal punktuell im Unterricht sind. Man muss es tatsächlich strukturell und systematisch angehen, und die Schulleitung hat da eine Verantwortung. Dass ein System, wenn sozusagen Vorwürfe kommen, erst mal dichtmacht, das ist gerade auch in Schulen leider weit verbreitet und ist tatsächlich eine Erfahrung, die eben auch die bisherige Beauftragte Saraya Gomis oft gemacht hat, von der sie auch oft berichtet hat. Umso wichtiger finde ich es, dass allen in Schule klar wird, dass so ein Prozess, wo man eben für eine andere Schulkultur in der Schule sorgt, dass das ja auch eine Entlastung sein kann, und zwar für alle, denn die Lehrkräfte sind mit Konflikten, die dann plötzlich aufpoppen … fühlen sich ja auch oft sehr alleingelassen. Und wenn es so eine Schulkultur gibt, in der alle anständig miteinander umgehen, aber auch wissen, wo die Grenzen sind, die roten Linien, die man nicht überschreiten darf, dann hilft es allen in Schule.
Gebert: Jetzt haben Sie aber schon gesagt und erzählt auch, dass es da eben Schulleitungen, ganze Schulen gibt, die sich dem erst mal skeptisch gegenüber stellen. Wie wollen Sie die denn mitnehmen, wie wollen Sie denen zeigen, dass sie nicht unter Generalverdacht geraten, wenn sie da Schulungen machen?
Jarasch: Erstens, weil wie gesagt, wir alle haben solche Schubladen in den Köpfen, und deswegen hat das gar nichts mit Generalverdacht zu tun, wenn die Menschen, die Führungsverantwortung haben, da auch besonders sensibilisiert sind. Die Bildungsverwaltung hat, angeregt von der bisherigen Beauftragten, ja auch tatsächlich mit entsprechenden Schulungen für die Schulaufsicht, also erst mal für die Ebene über den Schulleitungen quasi begonnen. Und wir fordern als Konsequenz im nächsten Schritt nicht nur, dass das zu Ende geführt wird, jetzt auch bei dem Nachfolger von Frau Gomis, sondern dass der nächste Schritt ist, dass es auch solche Fortbildungen für die Schulleitungen gibt. Und dann müssen sich eben Prozesse anschließen, an der alle in Schule beteiligt sind, also die Elternvertretungen, die Schülervertretungen, die Lehrkräfte, die Schulleitung und sonstiges Personal.
"Nicht immer so dramatische Dinge"
Gebert: Lassen wir das nicht mehr bei diesem schwammigen Begriff Prozesse, sondern versuchen wir das mal mit Leben zu füllen: Was könnten Sie sich da genau vorstellen?
Jarasch: Das kann von Schule zu Schule unterschiedlich sein, deswegen wollen wir auch nur … Wir wollen garantieren, dass es so einen Prozess gibt und dass die Beteiligten wissen, worüber sie dabei reden. Was wir im Einzelnen vereinbaren, das kann in den Schulen unterschiedlich sein, das wollen wir ihnen nicht aufoktroyieren. Das fängt schon an bei ganz normalen Regeln, wenn man so will. Das kann eine Art Hausordnung sein, die der erste Schritt ist. Das sind nicht immer so dramatische Dinge, einfach Dinge, an die sich alle halten und auf die sich auch alle verpflichten, die täglich in dieser Schule einander begegnen.
Gebert: Und wenn Sie die Antidiskriminierungsbeauftragte, die es ja momentan noch gibt, dann später ab 2020 einen Beauftragten, wenn Sie den mehr stärken wollen, wie ich Sie auch verstanden habe, dann bräuchte der auch mehr Befugnisse. Haben Sie denn Ihren Koalitionspartner, die SPD, und deren Bildungssenatorin Sandra Sandra Scheeres da mit im Boot? Im Moment sieht es ja nicht danach aus.
Jarasch: Also ich sage mal, es hat zumindest bei uns deutlich Fragen aufgeworfen, dass die Stelle aufgewertet ist, was wir schon lange gefordert hatten, nun auch noch mit Personal ausgestattet, und dass die wirklich weit über Berlin hinaus geschätzte bisherige Beauftragte sich dennoch nicht mehr auf die Stelle beworben hat. Das wirft Fragen auf, die müssen wir klären – das machen wir in der Koalition. Ich nehme auch an, da sind wir noch nicht ganz am Ende. Und tatsächlich haben Befugnisse natürlich entscheidend damit was zu tun, ob man als Beauftragte in eine Schule reinkommt, gerade wenn es dieses Phänomen gibt, das Sie selbst gerade erwähnt hatten, dass manche Schulleitungen dazu neigen, dann erst mal dichtzumachen statt es als eine Unterstützung zu begreifen, so wie ich das sehen würde, dass es eine Diskriminierungsbeauftragte gibt, die, wenn Konflikte vorgefallen sind, in die Schulen reingeht. Aber dann muss sie auch rein dürfen, und dann muss sie vielleicht auch mal im Unterricht von manchen Lehrkräften hospitieren dürfen und so weiter. Dann braucht sie bestimmte Informationen, die ihr nicht vorenthalten werden dürfen, sonst kann sie das nicht sinnvoll steuern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.