Donnerstag, 28. März 2024

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Konfliktregionen
Stigma und Diskriminierung von Kindern des Krieges

Kinder des Krieges leiden häufig an psychischen Erkrankungen, werden stigmatisiert und wachsen in finanziell schwierigen Situationen auf, sagte die Psychologin Heide Gläsmer im Dlf. In vielen Ländern werde das Thema immer noch nicht öffentlich behandelt.

Heide Gläsmer im Gespräch mit Barbara Weber | 28.06.2018
    Zwei farbige Besatzungskinder mit Schultüten unterhalten sich mit ihren weißen Schulkameraden auf einem Schulhof am ersten Schultag. (undatierte Aufnahme)
    Besatzungskinder hatten es in der deutschen Nachkriegsgesellschaft schwer, ihre Mütter auch. (dpa Koll)
    Barbara Weber: Um Menschenwürde geht es auch bei unserem nächsten Thema, nämlich um die Menschen, die gewollt oder ungewollt geboren wurden, um Kinder des Krieges, Resultat einer Vergewaltigung oder einer Liebelei zwischen Soldaten und Frauen in Kriegsgebieten. Was diese Kinder erleben, wie sie aufwachsen und mit welchen Problemen sie konfrontiert werden, darüber sprach ich mit Professor Heide Gläsmer, Psychologin an der Universität Leipzig und Tagungspräsidentin.
    Heide Gläsmer: Wir decken in der Tagung im Prinzip ein sehr breites Feld an verschiedenen geografischen und historischen und auch aktuellen Konfliktregionen ab, in denen solche Kinder des Krieges entstanden sind und aufgewachsen sind. Das fängt an mit Konflikten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts und geht bis zu eben jetzt noch anhaltenden Konflikten im Kongo oder Kindern des Bosnienkrieges, die jetzt ungefähr 20 sind. Das Interessante an dem Netzwerk ist, dass das aus sehr vielen verschiedenen disziplinären Perspektiven gemacht wird. Das reicht von der Psychologie, über Politikwissenschaften, Historiker und so weiter, also wir haben eine sehr interdisziplinäre Herangehensweise, wie wir uns mit dem Thema beschäftigen.
    Weber: Welche Länder beziehungsweise Aspekte greifen Sie beispielsweise auf?
    Gläsmer: Also direkt im Netzwerk haben wir relativ viel Forschung zu Europa, sprich zu Kindern, die am Enden und nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Österreich entstanden sind, von Vätern, die sozusagen Besatzungssoldaten waren. Ähnliche Forschungen haben wir auch zu Osteuropa, und zwar zum Beispiel zum Baltikum, es gibt einen Kollegen, der beschäftigt sich mit solchen Kindern in Polen, und eine Kollegin, die forscht zu Kindern des Bosnienkrieges, es gibt Kollegen, die sich mit Kindern des Vietnamkrieges auseinandersetzen und mit Kindern von japanischen Vätern und chinesischen Müttern aus dem chinesisch-japanischen Krieg. Also es ist unglaublich breit auch, was die Zeiträume und die geografischen Settings betrifft.
    Immer noch großes Schweigen über die Thematik
    Weber: Schauen wir uns mal ungewollte Schwangerschaften, die im Zuge des Bosnienkonflikts, Bosnien-Herzegowina, entstanden sind, an. Was berichten da jetzt die Kinder, was die Erwachsenen, wie ist da die Forschung angelegt?
    Gläsmer: Amra Delic ist eine der Doktorandinnen im Netzwerk. Sie ist zu uns gekommen eigentlich damit, dass sie ursprünglich eine Studie über Frauen gemacht hat, die Kriegsvergewaltigungen erlebt haben, und da decken sich die Befunde mit dem, was wir auch aus anderen ähnlichen Studien immer wieder finden, dass die Frauen sehr häufig unter psychischen Belastungen leiden, bis hin zu schweren psychischen Erkrankungen, aber dass auch das ganze Schweigen über die Thematik und auch die langfristigen Konsequenzen viel komplexer sind, als nur, dass man jetzt irgendwie eine psychische Störung entwickelt oder sowas.
    Weber: Das sind die Frauen auf der einen Seite. Wie geht es denn den Kindern?
    Gläsmer: Die sind ja per se jetzt erst mal nicht selbst Überlebende eines schweren Traumas, sondern sie sind ja eher ein Produkt einer Gewalttat, und leider sind die Befunde da, das ist in Deutschland so bei den Besatzungskindern, es ist in Bosnien so ähnlich, wir finden auch dort ganz häufig psychische Belastungen, aber was wir viel häufiger finden, sind Erfahrungen von Stigmatisierung und Diskriminierung, es sind schwierige finanzielle Bedingungen, sind schwierige familiäre Beziehungen. Es gibt welche, die sozusagen im Kinderheim aufgewachsen sind, die zur Adoption freigegeben wurden. Letztendlich ist es auch, so sagen das zumindest die Kollegen in Bosnien immer wieder, immer noch ein Problem, dass das ein Thema ist, das keine Öffentlichkeit hat.
    Stigmatisierung in der Gesellschaft
    Weber: Ein weiteres Beispiel ist der Krieg in Vietnam, wo ja amerikanische Soldaten mit vietnamesischen Müttern Kinder gezeugt haben. Was wissen wir eigentlich über deren Entwicklung? Gibt es da Studien?
    Gläsmer: Da gibt es Studien dazu, und das ist aus einem Aspekt heraus besonders interessant, weil wie mit den Kindern umgegangen wurde, da gibt es sehr verschiedene Gruppen, und zwar gibt es eine Gruppe, die direkt am Ende des Krieges, als sie noch Kleinkinder oder Babys waren, in die USA ausgeflogen wurden, die sind also sozusagen in den USA aufgewachsen. Dann gibt es eine Gruppe, die sind als junge Erwachsene dann über den amerikanischen Vater sozusagen, haben die amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen und sind dann in die USA ausgewandert, und es gibt eine dritte Gruppe, die bis heute in Vietnam lebt. Das sind Studien, die haben Kollegen von mir gemacht, das Problem ist, die sind jetzt noch nicht ausgewertet.
    Ich kann ihnen noch nichts dazu sagen, wie der Vergleich ist, aber was wir dort sehen, weil es ist eine der großen Fragen, wie geht man mit solchen Kindern um, wenn die stigmatisiert werden in den Gesellschaften und schwierig aufwachsen, welche Möglichkeiten haben wir, und ist zum Beispiel eine Möglichkeit, die auch im Land des Vaters aufwachsen zu lassen, ist das eine Möglichkeit, die vielleicht besser wäre, als im Land der Mutter aufzuwachsen. Ich glaube, dass wir da in Zukunft mehr drüber sagen können werden. Was ich weiß von den Kollegen, ist, dass die, die in Vietnam geblieben sind, unter sehr schwierigen Bedingungen aufgewachsen sind.
    Fehlende Regularien für Unterhalt und Vaterschaftsanerkennung
    Weber: In einer aktuellen Forschung beschäftigen Sie sich mit Kindern von Blauhelmsoldaten. Gibt es da eigentlich schon erste Erkenntnisse? Sind Sie da mal bei der Bundeswehr vorstellig geworden?
    Gläsmer: Ja, also erst mal ist das grundsätzlich ein Thema, was in den letzten Jahren mehr Öffentlichkeit bekommen hat. Es gibt jetzt eine Studie, an der ich beteiligt bin, da haben wir uns mit Blauhelmsoldaten in Haiti beschäftigt, und wir finden dort im Prinzip ähnliche Muster wie auch bei den Kindern des Krieges und bei den Vergewaltigungskindern. Wir finden auch dort schwierige Aufwachsensbedingungen. Wir finden Stigma und Diskriminierung gegen die Mütter und gegen die Kinder.
    Was aus meiner Sicht besonders schwierig ist bei diesen Kindern, nicht nur bei Blauhelmsoldaten, sondern bei allen Kindern des Krieges, dass es meistens keine klaren Regularien gibt, wie mit Vaterschaftsanerkennung, wie mit Unterhalt und solchen Sachen umzugehen ist. Also das Thema bleibt einfach, dass die Mütter mit diesen Kindern häufig auf sich alleingestellt sind, weil die Väter meistens das Land verlassen oder einfach nicht präsent sind als Väter, sondern eben nur als biologische Väter. Das ist ein Thema natürlich für jeden Auslandseinsatz. Bis jetzt ist es mir zumindest nicht gelungen, da in Deutschland einen Austausch darüber anzuschieben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.