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Diskussion um Albig-Äußerung
"Ein Schuss in den Rücken von Gabriel"

Dass Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig öffentlich erklärt, die SPD brauche keinen neuen Kanzlerkandidaten aufzustellen, sei eine Attacke auf Parteichef Gabriel, sagte der Politik-Journalist Hans-Herrmann Tiedje im DLF. Er habe seinem Parteifreund damit geschadet.

Hans-Herrmann Tiedje im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.07.2015
    Ist auch bei der SPD-Basis nicht mehr unumstritten: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig.
    Ist auch bei der SPD-Basis nicht mehr unumstritten: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig. (dpa / picture alliance / Carsten Rehder)
    Thielko Grieß: Es sind noch zwei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl. Wer tritt an? Wer wird Kanzlerkandidat? Für die Unionsseite hat sich Angela Merkel bislang nicht festgelegt, aber sie wird von Parteifreunden gedrängt, es wieder zu tun. Und Sigmar Gabriel vielleicht, Vizekanzler, SPD-Chef? Er hat sich am vergangenen Sonntag im ZDF – hier gleich zu hören im Gespräch mit Thomas Walde – sehr zurückhaltend geäußert!
    O-Ton Sigmar Gabriel: Das ist auch so ein Spiel, wir haben noch nicht einmal zwei Jahre rum der Legislaturperiode! Dann macht es doch keinen Sinn, jetzt eine Debatte über Kanzlerkandidaturen zu führen!
    O-Ton Thomas Walde: Alle gehen davon aus, Sie würden es machen! Sie auch?
    O-Ton Gabriel: Ist doch wunderbar, wenn alle davon ausgehen, dann gucken wir mal, wer es am Ende wird. Darum geht es doch nicht!
    O-Ton Walde: Das interessiert die Leute schon!
    O-Ton Gabriel: Das interessiert Journalisten, das verstehe ich auch!
    Grieß: Na, stimmt so nicht ganz, denn auch Gabriels Parteifreund Torsten Albig, immerhin Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, interessiert sich für diese Frage und er hat die Diskussion über einen möglichen Kanzlerkandidaten eröffnet. Sein überraschender Vorschlag: einfach mal niemanden aufstellen, weil es sich gar nicht lohne, gegen Merkel!
    Inzwischen gibt es Bemühungen in den Reihen der SPD, diese Wortmeldung aus Kiel zu relativieren. Generalsekretärin Yasmin Fahimi wird zitiert, dieser Gedanke Albigs sei "völlig abwegig", und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil meint, in der SPD gebe es eine Nummer eins, und die sei unumstritten und heiße Sigmar Gabriel. Der frühere Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und Wahlkampfmanager Helmut Kohls heißt Hans-Hermann Tiedje. Guten Tag, Herr Tiedje, am Telefon!
    Hans-Hermann Tiedje: Grüße Sie, Herr Grieß!
    Grieß: Haben Sie eine Idee, was ist in Torsten Albig gefahren?
    Tiedje: Na ja, man kann diese Äußerung von Albig unter zwei Gesichtspunkten betrachten: Der 1. April ist verlegt worden auf den 23. Juli oder aber man nimmt das ernst. Wenn das ernst gemeint war, dann war das natürlich ein Schuss in den Rücken von Gabriel, das ist natürlich eine erhebliche Verschlechterung der Chancen der SPD. Weil, eins ist völlig klar und das weiß jeder, der schon mal Wahlkampf gemacht hat, eine Partei ist stark, wenn sie geschlossen ist, und eine Partei ist schwach, wenn jemand ausschert. Und wer solche bizarren oder grotesken Vorschläge macht, Sie werden natürlich sehen und Ihre Zuhörer wissen das natürlich auch, natürlich wird die SPD mit einem Kanzlerkandidaten in den Wahlkampf gehen und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Gabriel heißen. Aber durch dieses, ich sage mal, gut gelaunte Geschwätz, ja, ich glaube, sie macht es ganz ausgezeichnet, gute Kanzlerin, ist Herr Albig dem Gabriel natürlich voll in den Rücken gefallen. Wenn ich bei der CDU wäre, dann würde ich mir die Rechte an diesem Satz schon heute sichern für die nächsten Wahlkämpfe. Und vergessen Sie nicht, die nächsten Wahlkämpfe, richtig beinharten Wahlkämpfe kommen in acht Monaten, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, geht es zweimal für die SPD um extrem viel. Und da kommt das alles natürlich völlig zur Unzeit.
    Grieß: Wollen wir das noch kurz auseinanderhalten, gehen wir davon aus, dass es sich um keinen Scherz des 23. Juli handelt, einen verspäteten Aprilscherz, sondern vielleicht steckt anderes dahinter: Wem hat Albig jetzt mehr geschadet, seiner Partei oder seinen Parteivorsitzenden?
    Tiedje: Er hat eigentlich seinem Parteivorsitzenden geschadet, das ist völlig klar. Man weiß ja, dass die SPD etwa bei 25 Prozent ist jetzt, also 24, 26, nicht 20, 30, wie der Kollege vorhin sagte, 24 bis 26. Aber man weiß nicht, wo die SPD in zwei Jahren ist. Also, nehmen Sie nur mal das Beispiel Griechenland: Kein Mensch weiß, ob Frau Merkel mit ihrer Rettungspolitik, wohin die auch immer führt, in zwei Jahren noch so populär ist in Deutschland wie zurzeit! Also, insofern war das, was Gabriel gesagt hat im ZDF-Interview, er will sich doch zwei Jahre vorher nicht festlegen, was wird, und wer wird es, natürlich er, das größte politische Talent, das die SPD hat, und er ist der Parteichef, er hat das Zugriffsrecht. Jetzt zu sagen, vielleicht brauchen wir gar keinen, das geht nicht gegen die SPD, sondern das geht direkt gegen Gabriel.
    Grieß: Ist irgendeine Strategie erkennbar? Mit wem soll denn die SPD sonst punkten?
    Tiedje: Mit Frau Schwan oder Martin Schulz, fragen Sie mich nicht! Mit Frank-Walter Steinmeier zum zweiten Mal ...
    Grieß: Ach, doch!
    Tiedje: Ja, nein, der Steinmeier wäre natürlich auch ein veritabler Kanzlerkandidat.
    Grieß: Der war aber schon mal.
    Tiedje: Ja, der war schon mal. Und es ist auch eine Frage, wie man das betrachtet. Lassen Sie mich noch einen Satz sagen, es kann ja sein, dass Gabriel 28, 29 Prozent kriegt beim nächsten Mal, kann sein. Dann ist er eigentlich schon gesetzt für 2021, denn ich erinnere daran, dass auch Willy Brandt drei Anläufe brauchte, um Kanzler zu werden. Also, diese SPD-Methode zu sagen, wir schicken mal einen in die Wahl und dann verliert er und dann melden wir ihn ab, das kann auch sein, dass das irgendwann nicht mehr funktioniert. Aber insgesamt schwerer Schaden für Gabriel und große Aufregung, weil die Geschichte so prächtig ins Sommerloch passt!
    Grieß: Aber dahinter steht natürlich ein realistischer Befund, der SPD fällt wenig ein, zumindest nicht so, dass die Umfragen besser ausfielen für die SPD. Woran liegt das?
    Tiedje: Na ja, meiner Meinung nach ist das Problem der SPD nicht der Parteivorsitzende, überhaupt nicht, sondern das Problem der Partei – und das war auch schon bei Steinbrück so und bei Steinmeier – ist ein Teil der Funktionäre. Wir haben jetzt konkrete Themen auf dem Tisch, darüber berichten Sie auch ständig, Flüchtlinge, wie geht man mit denen um, oder das Thema Asyl, wie viel für wen, Balkan ja/nein oder diese ganzen ... Bleiberecht, das sind alles keine SPD-Themen. Die SPD-Themen sind ja immer die Sozialthemen und die Unionsthemen sind innere Sicherheit und dies. Das heißt, die SPD hat für eine gewisse Zukunft keine Themen, weil sie ihre Themen abgearbeitet hat. Insofern wird sie auch irgendwo bei 25 Prozent verharren, es sei denn, das Thema Griechenland fällt Frau Merkel noch mal richtig auf die Füße, was ich nicht ausschließen will. Ich sehe aber eins auch, die Bundestagswahl ist in zwei Jahren. Und die Gegenfrage an Sie wäre, wenn jetzt einer so was sagt, dann glaube ich doch wahrscheinlich auch im Gegensatz zu Ihnen, das ist ihm einfach so rausgerutscht! Das war ein gut gelauntes Interview und auf einmal sagt er, was er so denkt, Mensch, die Merkel, die macht das ganz gut, und vergisst völlig, dass das Mikro läuft, dass das aufgezeichnet wird und dass die CDU sich wirklich schlapp lacht. Und die SPD ist entgeistert. Das hat ihr der SPD-Minister aber selbst eingebrockt.
    Grieß: Ich bin mir da nicht ganz sicher, ob Albig nicht wusste, dass das Mikro läuft, ich glaube schon ... Und er war früher Sprecher von Steinbrück, ist lange in der Politik. Wenn sich einer auskennt, dann er!
    Tiedje: Ja, sehen Sie, das Beispiel Herr Steinbrück ist ja ein guter Name! Auch da war es so, dass Albig Steinbrück abgeraten hat, Kanzlerkandidat zu werden. Sie erinnern sich daran, das war Albig, der Sprecher von Steinbrück. Ich weiß nicht, welche Strategie dahinter gesteckt hat, auch keine. Dass er dann Recht behalten hat mit seiner Prognose, ist das eine. Aber ich kann doch nicht als Ministerpräsident meinem Kanzlerkandidaten abraten, das Amt anzutreten, und jetzt sein nächster Vorschlag, wir brauchen gar keinen vielleicht! Also, ich würde vorschlagen, ich rufe ihn auch gerne an. wenn Sie wollen, und erkläre, schlage einfach vor, dass die SPD geschlossen in die CDU eintritt! Also, unter diesem Gesichtspunkt betrachte ich das Ganze inzwischen, es ist wirklich zum Lachen!
    Grieß: Sie haben eben gesagt, die Themen passen nicht, die zurzeit diskutiert werden. Griechenland, Flüchtlinge, das seien keine SPD-Themen. Aber dieser altehrwürdige Verein nennt sich doch Volkspartei, da muss man doch Antworten auf solche Themen haben!
    Tiedje: Ja, die SPD hat Antworten, und die Antworten, die jedenfalls in der Öffentlichkeit durch, ich sage mal, eher Funktionärskräfte der SPD vertreten werden, das sind Antworten, die sind nicht mehrheitsfähig. Also, ich habe das heute zufällig in einer deutschen Zeitung geschrieben, 55 der SPD-Wähler in NRW sind strikt gegen weiter Hilfen für Griechenland, das ist so. Können Sie nachlesen, "Focus"-Umfrage Montag. Aber das hören Sie ja nicht aus der SPD. Da muss Griechenland gerettet werden. Und wenn das eine Parteilinie ist, am Beispiel Griechenland, dann finden Sie keine Mehrheiten. So einfach ist das. Und das ist das Problem der SPD. Das Problem ist nicht der Kanzlerkandidat, ist auch nicht der Vorstand da, das Problem ist einfach, dass ein Teil der Leute glaubt, die Welt retten zu müssen und das sei quasi das mitgegebene oder selbst gegebene SPD-Programm, und die Wähler sehen das eben anders.
    Grieß: Okay, aber an der Stelle muss ich doch mal kurz nachhaken, Herr Tiedje!
    Tiedje: Machen Sie!
    Grieß: Sie haben ja Herrn Gabriel als einen ... Sie haben ihn gelobt vorhin, in der Griechenland-Politik konnte ich da über ein ganz bestimmtes Wochenende keine Linie erkennen, was Gabriel denn eigentlich meint!
    Tiedje: Ja, was heißt loben, ich habe ein bisschen Mitleid mit ihm. Ich denke, dass er weiß, dass man Kanzler nur über die Mitte wird. Das war auch Brandt damals, das ist in Vergessenheit geraten, und auch Helmut Schmidt, auch Schröder. Und da strebt er offenkundig hin. Und er hat das Problem, dass entweder ein Teil seiner Leute die Mitte gar nicht will oder dann solche Sondermeldungen zustande kommen wie heute Morgen von Herrn Albig. Also, wenn Sie jetzt sagen, Gabriel ehrlich auch ein bisschen, in Sachen Griechenland will ich Ihnen nicht widersprechen, das habe ich so jetzt nicht genau beobachtet, aber eigentlich habe ich das Gefühl, dass er auch schon am Denken war darüber, wie Schäuble, dass auch der Grexit eine Alternative ist. Und da würde ihm, glaube ich, seine Partei wieder nicht folgen.
    Grieß: Einschätzungen von Hans-Hermann Tiedje, dem früheren Chefredakteur der "Bild". Und außerdem waren Sie einmal Wahlkampfberater Helmut Kohls. Danke schön, Herr Tiedje!
    Tiedje: Grüße Sie und Ihre Hörer!
    Grieß: Danke, schönen Mittag wünschen wir!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.