Dienstag, 19. März 2024

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Diskussion um Tempolimit
"Die Autobahnen sind ausgebaut für schnellen Verkehr"

Steffen Bilger (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, hat sich im Dlf gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ausgesprochen. Stattdessen müsse man auf konsequente Verkehrsüberwachung setzten und je nach Verkehrslage die Geschwindigkeiten anpassen.

Steffen Bilger im Gespräch mit Philipp May | 23.01.2019
    Stau im Berufsverkehr auf der Stadtautobahn Autobahn A 111.
    "Wir sehen es insgesamt in der Union so, dass Tempolimit keine Lösung wäre, die uns jetzt maßgeblich voranbringen würde", sagte Steffen Bilger. (imago/Jürgen Ritter)
    Philipp May: Ein unerhörtes Gedankenspiel war das, was die Experten da gemacht haben. Eine Arbeitsgruppe zu Klimaschutz und Verkehr unter Federführung des Bundesverkehrsministeriums hatte unter anderem vorgeschlagen, auf deutschen Autobahnen ein allgemeines Tempolimit von 130 einzuführen. Außerdem solle die Benzinsteuer erhöht werden. Das war Ende letzter Woche, da sickerte es durch. Und prompt kam die Absage des Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer (CSU). Das sei gegen den gesunden Menschenverstand und sozial unverantwortlich, schäumte Scheuer. Heute sollte seine Expertenkommission eigentlich wieder tagen, doch gestern Nachmittag kam die Absage. Man wolle erst die weiteren Arbeiten aller Arbeitsgruppen koordinieren, hieß es aus dem Verkehrsministerium. Was das genau heißen soll, das kann uns jetzt der CDU-Politiker Steffen Bilger erklären. Er ist der Parlamentarische Staatssekretär von Andreas Scheuer im Bundesverkehrsministerium. Guten Morgen, Herr Bilger.
    Steffen Bilger: Guten Morgen, Herr May.
    "Bandbreite von unterschiedlichen Meinungen ist wichtig"
    May: Suchen Sie jetzt erst mal neue Experten mit mehr gesundem Menschenverstand?
    Bilger: Nein, keine Sorge. Wir sind ja dankbar den Experten, die sich bereit erklärt haben, in der Arbeitsgruppe eins oder insgesamt in allen sechs Arbeitsgruppen der nationalen Plattform Mobilität der Zukunft mitzuarbeiten. Und uns war ja auch wichtig, dass wir eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Meinungen aus unterschiedlichen Institutionen in die Arbeitsgruppen bekommen, dass auch gerne kontrovers diskutiert werden kann. Was uns jetzt sehr geärgert hat war, dass einzelne Auffassungen von Arbeitsgruppenmitgliedern, die ja nicht gemeinsame Position der Arbeitsgruppe sind, gezielt vorab durchgestochen wurden, um politische Diskussionen zu entfachen oder wahrscheinlich auch politisch Druck zu machen. Das erklärt auch die Verärgerung, die es bei uns gegeben hat. Aber insgesamt sind auch wir sehr daran interessiert, dass die Arbeitsgruppen wieder normal in ihren Arbeitsmodus kommen können und dass wir dann natürlich auch gute Denkanstöße und gute Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen bekommen.
    May: Aber das verstehe ich jetzt schon richtig? Diese Verschiebung, das ist jetzt erst mal eine Denkpause aus Verärgerung für die Arbeitsgruppe?
    Bilger: Mir haben Mitglieder der Arbeitsgruppe gesagt, dass es für sie auch sehr unerfreulich war, dass plötzlich Schlagzeilen zu lesen waren über die Arbeitsgruppe, die so gar nicht der Wahrheit entsprochen haben, weil es nicht der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe war, die Empfehlungen, vor allem die Empfehlungen, die Sie gerade genannt haben, die ja so viele Diskussionen ausgelöst haben, sondern es waren Diskussionsstände, die auch nicht von allen mitgetragen werden in der Arbeitsgruppe. Deswegen haben, glaube ich, alle Beteiligten ein Interesse daran, dass wir jetzt wieder versachlichen, dass dann auch die Arbeitsgruppe natürlich wieder zusammentreffen kann und sich dann an ihre weitere Arbeit machen kann, aber ohne, dass aus der Arbeitsgruppe heraus versucht wird, politische Diskussionen zu entfachen, lange bevor die Arbeitsgruppe überhaupt ihre Arbeit abschließen sollte.
    Ergebnisse der Arbeitsgruppen abwarten
    May: Nichts desto trotz, es sieht ja ein bisschen so aus: Da werden jetzt Experten für unliebsame Ideen, die vielleicht nach außen getragen worden sind, abgewatscht.
    Bilger: Der Eindruck sollte sicherlich nicht entstehen. Ich glaube, die Verärgerung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat sich auch mehr darauf bezogen, dass es gezielt so transportiert wurde, als sei das jetzt das Ergebnis der Arbeitsgruppe. Leider war das ja auch in einigen Zeitungen so zu lesen, das sei jetzt die Meinung der Experten in der Arbeitsgruppe eins, obwohl es das eben nicht war, sondern es wie gesagt ein Diskussionsstand war, der auch nicht von allen Mitgliedern der Arbeitsgruppe geteilt wird, was ja auch bei Mitgliedern der Arbeitsgruppe für Verärgerung gesorgt hat, dass die plötzlich für was in die Verantwortung genommen wurden, was sie so gar nicht unterstützt haben in der Arbeitsgruppe und was sie auch ungern als Ergebnis der Arbeitsgruppe sehen würden.
    May: Okay. Das heißt, das Bundesverkehrsministerium, das sorgt dann schon am Ende, dass die Experten zu einem Ergebnis kommen, das dann dem Verkehrsministerium, also Ihnen, der Union dann auch politisch in den Kram passt?
    Bilger: Wir haben ja eine gemeinsame Aufgabe in der Bundesregierung. Ich war damals dabei, als wir in den Koalitionsverhandlungen beschlossen haben, diese nationale Plattform Mobilität der Zukunft einzurichten, weil es uns sehr wichtig war, dass wir eine breite Diskussion führen über alle Aspekte, die mit der Mobilität der Zukunft zusammenhängen. Da geht es um Arbeitsplatzaspekte, da geht es um technologische Fragen, aber es geht auch jetzt ganz konkret um die Vorbereitung für das Klimaschutzgesetz, dem wir uns als Bundesregierung insgesamt ja verpflichtet haben. Und da müssen wir als Verkehrssektor auch unseren Beitrag leisten. Die Arbeitsgruppe eins, wo es jetzt die Diskussionen gab, die hat den Auftrag, so schnell wie keine andere dieser Arbeitsgruppen zu arbeiten, weil die uns ganz konkrete Ergebnisse liefern soll zur Erarbeitung des Klimaschutzgesetzes. Da gibt es schon einen besonderen Zeitdruck. Aber das Klimaschutzgesetz macht nicht das Verkehrsministerium allein, sondern da müssen wir uns als Bundesregierung verständigen und auch die Mehrheit des Bundestages dann dahinter bekommen. Am Ende wird es da schon Kompromisse und eine Konsenssuche geben müssen, die uns dann hoffentlich zu einem guten Ergebnis führt.
    "Tempolimit wäre keine Lösung"
    May: Aber was wir festhalten können: Der Diskussionsstand, dass man möglicherweise über ein allgemeines Tempolimit von 130 zum Beispiel diskutiert, der ist jetzt schon mehr oder weniger begraben, weil das ist ja gegen jeden gesunden Menschenverstand? Das geht mit Andreas Scheuer und mit Ihnen in der Verantwortung nicht?
    Bilger: Ja, das sehen wir insgesamt in der Union so, dass Tempolimit keine Lösung wäre, die uns jetzt maßgeblich voranbringen würde. Der Einfluss auf den Klimaschutz wäre sehr gering. Es gibt auch viele andere Punkte, die für uns gegen das Tempolimit sprechen. Deswegen hat Andreas Scheuer jetzt ja auch klargestellt, dass das aus unserer Sicht da nicht am Ende dieses Diskussionsprozesses stehen kann, wobei, ich glaube, jeder der Experten, die sich einbringen in der Arbeitsgruppe, nicht mit der Erwartung reingegangen ist, dass jede Idee, die er vielleicht auch gegen andere Arbeitsgruppenmitglieder formuliert, am Ende dann zum Ergebnis wird, was im Klimaschutzgesetz landet, sondern das sind ja alles kundige Vertreter von Umweltschutzverbänden, von Industrie, von ganz vielen anderen Institutionen, die Arbeitsweisen in solchen Arbeitsgruppen auch kennen und wo es dann für jeden auch klar ist, dass am Ende eine Empfehlung steht und die Politik, letztendlich dann die Volksvertreter im Bundestag, die müssen dann entscheiden, was sie daraus machen.
    May: Okay. – Kundige Vertreter, die natürlich über den Tellerrand hinausschauen, und möglicherweise schauen sie auch ins Ausland und sehen, dass Deutschland wirklich das einzige hochentwickelte Land ist, das kein Tempolimit hat. Ich glaube, Burundi, Afghanistan, das ist die Gesellschaft, in der Deutschland sich da befindet. Also sind wir mehr oder weniger weltweit die einzigen mit gesundem Menschenverstand? Ist das der Umkehrschluss, den wir daraus ziehen?
    Bilger: Wir haben zum Beispiel eine ganz andere Straßenstruktur als viele andere Länder. Wir haben die sichersten Autobahnen. Bei uns passieren mehr schlimme Unfälle auf den Landesstraßen oder den Bundesstraßen, nicht auf den Autobahnen. Die Autobahnen sind ausgebaut für schnellen Verkehr und das trägt auch dazu bei, dass sie sicherer sind beispielsweise als Autobahnen in anderen europäischen Ländern wie beispielsweise bei unserem Nachbarn Polen, wo es ein Tempolimit gibt. Man muss dann schon auch die Vergleiche mit dem Ausland realistisch betrachten und dann auch die verschiedenen Aspekte berücksichtigen. Unsere Autobahnen sind vergleichsweise sicher, obwohl wir Strecken haben, wo es kein Tempolimit gibt.
    Geschwindigkeit je nach Verkehrslage anpassen
    Aber für mich ist das auch eine Diskussion der Vergangenheit. Wir diskutieren gerade über die Mobilität der Zukunft. Da gehört beispielsweise dazu, dass wir viel mehr bei Verkehrssteuerung machen. Zehn Prozent unserer Autobahnen haben schon Telematik-Lösungen, wo man den Verkehr beobachtet und dann je nach Verkehrslage auch die Geschwindigkeit anpassen kann. Das sind eher die Lösungen der Zukunft. Oder wenn Sie ans autonome Fahren denken, was in einigen Jahren, Jahrzehnten Realität sein wird; da wird man dann auch nicht mehr über Tempolimits diskutieren, sondern da kann man den Verkehr immer genau so anpassen, wie es die Straßenverhältnisse ermöglichen.
    May: Aber es geht ja auch um die Gegenwart, und wenn Sie Realismus ins Spiel bringen, dann kann ich Ihnen ein Gegenargument liefern. 42 Prozent der tödlichen Unfälle auf Autobahnen sind sogenannte Geschwindigkeitsunfälle und 70 Prozent aller tödlichen Unfälle ereignen sich gerade auf diesen Abschnitten ohne Geschwindigkeitsbeschränkung.
    Bilger: Ja! Da ist wichtig, dass wir Verkehrsüberwachung konsequent machen. Natürlich gibt es schlimme Unfälle auch auf den Autobahnen, obwohl sie sicherer sind als viele andere Autobahnen in Europa oder in anderen Ländern der Welt. Aber man muss dann schon auch eine Abwägung treffen. Beispielsweise haben wir sehr viele Unfälle, die zu schlimmen Ergebnissen, zu Todesfällen oder Schwerverletzten führen, weil Bäume an der Straße stehen, und jetzt habe ich auch noch niemand vernommen, der ernsthaft alle Bäume an den Straßen entfernen möchte, obwohl die auch zu schweren Unfällen führen.
    May: Okay. – Jetzt wurde von Ihrer Expertenkommission ja nicht nur ein allgemeines Tempolimit ins Spiel gebracht, oder ich formuliere es, wie Sie es wahrscheinlich lieber hätten, von Teilen der Mitglieder Ihrer Expertenkommission, sondern zum Beispiel auch die Erhöhung des Spritpreises. Das ist ein Vorschlag, den gibt es schon lange, den viele Experten ja auch schon lange als äußerst sinnvoll erachten.
    Bilger: Das war ein Teil der Kritik von Andreas Scheuer, die Sie vorhin zitiert haben. Da müssen wir auch überlegen, wie man die Menschen mitnimmt bei den Zielen, die wir im Klimaschutz verfolgen, auch in Anbetracht der Ereignisse, die wir in den letzten Wochen in Frankreich gesehen haben. Jetzt einfach von Berlin aus zu entscheiden, wir erhöhen …
    "An die Menschen denken, die auf ihr Auto angewiesen sind"
    May: Sie meinen die Erhöhung der Spritpreise in Frankreich, weswegen die Gelbwesten auf die Straße gegangen sind?
    Bilger: Genau. Und wenn man jetzt einfach von Berlin aus entscheiden würde, wir machen jetzt einen Plan, wollen die Benzin- und Dieselpreise um 50 Cent in den nächsten Jahren steigern, das hat auch einen sozialen Aspekt. Das hat Aspekte, die man beispielsweise bei der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse berücksichtigen muss. Da darf man auch von Berlin aus nicht immer nur die Städte sehen, sondern man muss auch an den ländlichen Raum denken. Das sind alles Aspekte, die man da schon auch berücksichtigen muss.
    May: Verstehe ich voll! Dennoch gibt es auch schon einige durchgerechnete Vorschläge, die genau das vermeiden sollen, zum Beispiel indem das Steuergeld direkt an die Bürger zurückfließt, so dass am Ende eher der Porsche Cayenne Fahrer, sage ich mal, zahlt und nicht der, der mit einem Polo unterwegs ist. Das gibt es ja alles.
    Bilger: Ja. Aber diese Rechenmodelle, die jetzt gemacht wurden, ich glaube, die sind wahrscheinlich ein guter Beitrag für die Diskussion in der Arbeitsgruppe. Aber auch da kann ich mir nicht vorstellen, dass das am Ende zum Konsens in der Arbeitsgruppe führen wird, auch nicht in der Bundesregierung, weil wir schon sehr stark den sozialen Aspekt berücksichtigen müssen. Solche theoretischen Rechenmodelle, die dann angeblich nur zum Vorteil von allen mit Ausnahme des Porsche Cayenne Fahrers führen sollen, die haben oft die Schwäche, dass es dann noch ganz andere Auswirkungen gibt. Da denke ich schon auch an die Menschen, die einfach auf ihr Auto angewiesen sind, die vielleicht, weil sie im ländlichen Raum leben, auch längere Strecken zurückzulegen haben zur Arbeit, nicht die Bahn oder einen Bus nutzen können. Da sollte, glaube ich, die Politik schon auch einen sehr starken Blick drauf haben.
    "Dankbar für alle Vorschläge, die aus der Arbeitsgruppe kommen"
    May: Also werden Sie auch da glauben, dass das nicht am Ende zu einem Ergebnis der Arbeitsgruppe führen wird. Sie achten schon genau darauf, was dann da rauskommt, was die Arbeitsgruppe Ihnen empfiehlt, und zwar das, was Sie wollen?
    Bilger: Ich glaube, jeder Politiker, der jetzt damit zu tun hat, genauso in der Bundesregierung wie am Ende dann im Bundestag, wird natürlich sehr genau darauf achten, was rauskommen wird, wenn es dann um das Klimaschutzgesetz geht. Aber ich bin durchaus dankbar für alle Vorschläge, die aus der Arbeitsgruppe kommen. Das ist jetzt nur ein ganz kleiner Ausschnitt, über den wir gerade diskutieren, weil daraus die Schlagzeilen gemacht wurden.
    May: Aber möglichst nicht öffentlich, sondern nur am besten unter vier Augen, die Vorschläge dann?
    Bilger: Na ja. Es ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn eine Arbeitsgruppe noch in internen Diskussionen ist – und so habe ich es auch von den Arbeitsgruppenmitgliedern, mit denen ich gesprochen habe, verstanden -, dass das schon als interne Diskussion gesehen wurde, und plötzlich wird dann gezielt die eine oder andere Position an die Presse gegeben, wo dann Schlagzeilen draus gemacht wurden, dass die Regierungskommission diese Vorschläge machen würde, obwohl es nur die Auffassung von einigen der Arbeitsgruppenmitglieder war. Das war schon unerfreulich. Die Planung war eigentlich, dass wir Ende März einen Bericht bekommen dieser Arbeitsgruppe, den wir dann diskutieren können, wir als Verkehrsministerium, genauso aber auch das Umweltministerium, alle anderen Beteiligten der Bundesregierung und im Bundestag, und natürlich auch die Öffentlichkeit.
    May: … sagt Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, und Herr Bilger gehört der CDU an. Das noch ganz wichtig zur Info. – Herr Bilger, vielen Dank für das Gespräch.
    Bilger: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.