Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Diskussion um Unrechtsstaat
"Die DDR war eine Diktatur"

Es habe eine DDR-Rechtssprechung gegeben, aber die Anwendung des Rechts endete dort, "wo die Mächtigen eingegriffen haben", sagte Bodo Ramelow im DLF. Der Thüringer Landeschef der Linken machte klar: "Wir reden über staatlich organisiertes Unrecht, das Menschen erdulden mussten."

Bodo Ramelow im Gespräch mit Dirk Müller | 02.10.2014
    Bodo Ramelow am Wahlabend in einem TV-Studio in Erfurt.
    Bodo Ramelow lässt keine Missverständnisse zu: Die DDR war eine Diktatur. (dpa picture alliance / Kay Nietfeld)
    Dirk Müller: Mitgehört hat Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linken im Thüringer Landtag. Er will Ministerpräsident einer rot-grünen Koalition in Erfurt werden. Wir wollen mit ihm auch über Gregor Gysi reden. Und das wollen wir auch noch mal klarstellen: Herr Ramelow, guten Morgen, Sie sind ein Wessi.
    Bodo Ramelow: Guten Morgen! - Ja! Ich bin in Westdeutschland geboren. Ich habe als Kind noch die Plakate in Erinnerung. Die hießen: "Dreigeteilt niemals". Ich habe erlebt, dass wir viel Geld in den Schulen bekommen haben, um nach Frankreich zu fahren, um die Aussöhnung zwischen der Bundesrepublik, den Menschen in der Bundesrepublik und Frankreich zu erleben.
    Und ja, für mich war der Osten, die DDR eine unbekannte Welt. Als Kinder haben wir Kerzen ins Fenster gestellt und haben im Bastelunterricht Fensterbilder gemacht für die Brüder und Schwestern im Osten. Da wurde dann Stacheldraht reingemacht. Und ich habe gar nicht gewusst, dass ich Brüder und Schwestern im Osten hatte. Ich wusste auch als Kind nicht, was das eigentlich bedeutet, was "Dreigeteilt niemals" bedeutet oder was "Brüder und Schwestern im Osten" bedeutet und was dieser seltsame Feiertag bedeutete, an dem man immer wieder im Fernsehen etwas von einem Volksaufstand gesehen hat, von dem ich als Kind aus eigener Erfahrung, aus eigener Erkenntnis überhaupt nicht wusste, um was es da geht.
    Müller: Wann hatten Sie, Herr Ramelow, denn zum ersten Mal die Gelegenheit, in den Nicht-Unrechtsstaat laut Gysi zu fahren?
    Ramelow: Ich habe ja über meine Familie dann tatsächlich Geschwister in der DDR gefunden und die haben wir über die Evangelische Kirche besucht. Der Pfarrer, der uns schrieb, schrieb uns, den einen Halbbruder könnt ihr besuchen, der ist bei der LPG, und den anderen Halbbruder bitte nicht besuchen, weil der ist bei der Volkspolizei. Ich habe dann später gelernt, dass dadurch, dass er Geschwister im Westen hatte, er nicht bei der Stasi gelandet ist, sondern dass er ein guter Kriminalbeamter wurde, der auch nach der Wende Kriminalist war, bis er in Rente gegangen ist.
    Müller: Gregor Gysi hat Ihnen politisch häufig schon geholfen. Sie kooperieren mit ihm. War das jetzt ein Fehler, was er gesagt hat?
    Ramelow: Ich will es mal so sagen: Es ist nicht gerade hilfreich, was uns an Debatte jetzt aus der Partei, aus der ganzen Bundesrepublik begegnet. Aber es ist auch interessant. Es zeigt meines Erachtens, dass es doch notwendig ist, darüber gründlicher zu diskutieren.
    Müller: Hat er Recht?
    Ramelow: Nein. Die Frage ist ja, zu was er Recht hat. Sie haben ja eben gemerkt, wie Herr Thierse sich schwer tut, mit der Legitimitätsfrage umzugehen. Ich sage auch mit Herrn Thierse, die DDR war eine Diktatur. Das steht auch in unserem Papier. Das wollte die SED auch genau so sagen. Sie hat sich selber definiert als Diktatur des Proletariats. Und wenn Sie vor 25 Jahren in der DDR gefragt hätten, "Seid ihr ein bürgerlicher Rechtsstaat?", dann wäre Ihnen Verächtlichkeit und Verhöhnung entgegengeschlagen, weil die SED darauf bestanden hat, dass sie ein neuer sozialistischer Staat seien, der aber keine bürgerliche Rechtsstaatlichkeit kennen würde.
    Da muss man einfach mal sagen: Es gab in der DDR Rechtsprechung. Es gab ein Arbeitsgesetzbuch, das war so einfach und klar, dass ich mir als westdeutscher Gewerkschafter es mir sogar gewünscht hätte. Aber die Anwendung des Rechtes endete dort, wo die kleinen und die großen Mächtigen eingegriffen haben. So steht es auch in unserem gemeinsamen Papier in Thüringen.
    Wer keine Rechtsmittel schafft gegen den Machtapparat, der begibt sich in staatliches Unrecht, und deswegen reden wir über staatlich organisiertes Unrecht, das Menschen erdulden mussten.
    Und dann haben wir beides: Wir haben die Menschen, die die DDR positiv in Erinnerung haben, weil ihre Lebensleistung daran gebunden ist und ein Lebensentwicklungsweg daran gebunden ist, und wir haben all die Menschen, die kujoniert und Willkür erlebt haben. Wir haben aber auch - und das ärgert mich jetzt in der Linken-Debatte - die Schauprozesse gegen eigene Sozialisten und Kommunisten. Man muss ja auch an die ganzen Schauprozesse Walter Janka, die Harich-Gruppe, all das denken. Selbst wenn die Legitimität der DDR-Gründung überhaupt nicht in Frage steht, sie war eine Folge der Vier-Mächte-Entwicklung, der Entscheidung der vier Mächte.
    "Wir reden über staatlich organisiertes Unrecht"
    Müller: Der Stärke der Sieger.
    Ramelow: Ja klar! Deswegen ist die Frage der Legitimität eine, die man nüchtern beantworten kann. Die Legitimität folgte der Logik, dass zuerst die BRD gegründet wurde, also die Westzonen zu einem Staat mit einem eigenen Geld gebracht wurden, während Österreich sich aus der sowjetischen Besatzung durch Neutralitätsentwicklungen herausgeholt hat.
    Müller: Herr Ramelow, Entschuldigung! Ich muss hier auch mit Blick auf die Zeit jetzt noch einmal reingehen. Das heißt, alles was Sie jetzt argumentiert haben - ich kriege das nicht mehr alles zusammen, aber das waren jetzt sieben, acht Punkte, die ich versucht habe mitzunotieren -, legt jetzt definitiv den Schluss nahe, dass die DDR ein Unrechtsstaat war?
    Ramelow: Aber das steht in unserem Papier, auch die Konsequenz und die Ableitung. Menschen, die das alles erlebt haben, haben die DDR als Unrechtsstaat erlebt.
    Aber Entschuldigung, was ich einfach mal sage: Die westdeutschen Konzerne haben mit diesem Unrechtsstaat auch herrlich Profit gemacht. Man hat die Produktion des Westens in den Osten verlagert. Man hat auch die Existenz der real existierenden DDR genutzt, um eigene Profite in Westdeutschland hervorragend zu machen. Man hat sogar medizinische Versuche gemacht, man hat sogar die Strafgefangenen der DDR benutzt, und all dieses müsste dann auch in die Aufarbeitung mit hinein. Ja, die DDR war ein Staat, der staatlich organisiertes Unrecht als wesentliches Merkmal hatte.
    Müller: Staatlich organisiertes Unrecht. - Wenn wir das jetzt für die Nachrichten formulieren, oder die Nachrichten uns zuhören, dann sagen die, Bodo Ramelow stellt klipp und klar fest, die DDR war ein Unrechtsstaat.
    Ramelow: Ich weiß nicht. Jetzt geht es mir wie Herrn Thierse eben mit der Legitimität.
    Müller: Würden Sie das bejahen, oder würden Sie sagen, dürfen wir nicht so melden?
    Ramelow: Wissen Sie, kann man Aufarbeitung von 40 Jahren gesamtdeutscher Entwicklung getrennt in West- und Ostdeutschland, kann man das mit einem Wort erklären? Die DDR war eine DDR, die existiert hat, und diese DDR ist untergegangen und ich bin froh, dass vor 25 Jahren an den Grenzen kein Schuss gefallen ist, und ich danke heute noch allen bewaffneten Organen der DDR, die friedlich und freiwillig die Waffen abgegeben haben, dass es keinen Schuss gegeben hat. Die DDR hat sich selber delegitimiert und sich selbst aufgelöst, und auch darüber kann man 25 Jahre später froh sein. Aber man darf die Lebensleistung der Menschen in der DDR nicht pauschal abwerten.
    Müller: Jetzt haben wir nur noch wenige Sekunden. Ja oder Nein zu dem Satz?
    Ramelow: Ja das ist die Frage der Legitimität der DDR. Hat Herr Thierse nun Ja oder Nein gesagt?
    Müller: Bodo Ramelow bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, Fraktionschef der Linken im Landtag von Thüringen. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
    Ramelow: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.