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"Der Mindestlohn wird sehr unterschiedlich wirken"

Der Mindestlohn kommt - profitieren werden prinzipiell Arbeitnehmer mit extrem niedrigen Löhnen, sagte Kai-Uwe Müller vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im DLF. Betroffen seien vor allem einfache Dienstleistungen, Gastgewerbe und Landwirtschaft.

Kai-Uwe Müller im Gespräch mit Gerd Breker | 04.07.2014
    Der Gewerkschaftsbund demonstrierte am Dienstag für den Mindestlohn.
    Der Gewerkschaftsbund demonstrierte am Dienstag für den Mindestlohn. (dpa / picture-alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Der Bundestag hat die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro ab Januar 2015 beschlossen. Auf die Frage, ob der Mindestlohn Arbeitsplätze kosten werde, wie von Kritikern befürchtet, lieferten die vorhandenen Studien keine eindeutige Antwort, sagte Kai-Uwe Müller vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Deutschlandfunk. Er werde sehr unterschiedlich wirken in West- und Ostdeutschland: "In Ostdeutschland wird der durchschnittliche Lohnanstieg höher sein als in Westdeutschland", so Müller. Auch Frauen profitierten mehr davon. Betroffen seien vor allem Branchen, bei denen es um einfache Dienstleistungen gehe, das Gastgewerbe und die Landwirtschaft.
    Ein allein stehender Beschäftigter könne bei einem Vollzeitjob von einem Lohn von 8,50 Euro pro Stunde leben. Um eine Familie zu versorgen, reiche das jedoch nicht aus, sagte Müller. Die Zahl der "Aufstocker" werde in geringerem Umfang sinken als von der Bundesregierung dargestellt.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Über Ausnahmen und Übergangsfristen wurde zuletzt noch gezankt. Am Ende aber haben im Bundestag 90 Prozent aller anwesenden Abgeordneten dem zugestimmt, was vor allem Konservative und Liberale über viele Jahre verhindern wollten: einem gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn, der bei 8,50 Euro beginnen und alle zwei Jahre von einer Kommission überprüft werden soll. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat im Vorfeld vor einem zu hohen Mindestlohn gewarnt. Mein Kollege Gerd Breker hat deshalb Kai-Uwe Müller vom DIW gefragt, ob die festgelegte Lohnuntergrenze von 8,50 Euro denn schon zu hoch angesetzt ist.
    Kai-Uwe Müller: Wie wir in unserer Studie erklärt haben, halten wir so ein großes Feldexperiment, wie wir es genannt haben, wie die Einführung eines allgemeinen Mindestlohnes, für relativ gewagt, und aus dem Grund haben wir dafür plädiert, vorsichtiger einzusteigen. Wir hatten gesagt, um die sieben Euro wäre vernünftig, es dann genau anzuschauen, ein Monitoring zu machen, um dann sukzessive zu erhöhen.
    Gerd Breker: Wird denn dieser Mindestlohn, der jetzt eingeführt werden soll, Arbeitsplätze kosten und wenn ja wo?
    Müller: Das ist die Gretchenfrage und die ist relativ schwer zu beantworten. Sowohl die internationale Forschung zu Mindestlöhnen ist hier sehr unentschieden, als auch die bisherigen Studien zu den branchenspezifischen Mindestlöhnen haben keine eindeutigen Ergebnisse erbracht. Was feststeht ist, dass der Mindestlohn sehr unterschiedlich wirken wird, beispielsweise zwischen West- und Ostdeutschland. In Ostdeutschland sind mehr Arbeitnehmer betroffen und die Risiken höher, bestimmte Beschäftigungsgruppen sind sehr viel stärker betroffen als andere. Sicher ist eher die heterogene Wirkung als jetzt zu sagen, auf welchem Niveau wird er genau landen.
    Breker: Wer wird denn auf jeden Fall davon profitieren?
    Müller: Prinzipiell profitieren zunächst Leute, die extrem niedrige Löhne haben. Das sind jetzt schon teilweise die Gruppen, die ich genannt habe. In Ostdeutschland wird der durchschnittliche Lohnanstieg durch den Mindestlohn größer sein als in Westdeutschland. Frauen sind doppelt so stark betroffen wie Männer. Aber auch bestimmte Branchen sind natürlich betroffen, einfache Dienstleistungen, Gastgewerbe, Landwirtschaft, wenn der Mindestlohn durchgesetzt wird.
    Breker: 8,50 Euro - wird mit diesem Betrag erreicht, dass jemand von seinem Vollzeitjob leben kann?
    Müller: Das kommt ganz stark darauf an, in welchen Lebensumständen sich so ein Arbeitnehmer befindet. Für einen alleinstehenden Beschäftigten ist das der Fall. Sobald Kinder ins Spiel kommen und eventuell ein größerer Haushaltskontext mit weiteren zu versorgenden Personen, reicht das bei Weitem nicht aus. Und auch Leute, die dann den Mindestlohn verdienen, werden auf weitere Zuschüsse angewiesen sein.
    Breker: Kann man davon ausgehen, dass die Zahl der Aufstocker damit sinken wird?
    Müller: Sie wird per Definition sinken, allerdings in einem sehr viel geringeren Umfang, als von der Bundesregierung angenommen und auch dargestellt wird. Das liegt an zwei wesentlichen Gründen. Das eine ist, die große Zahl der Aufstocker hat nicht per se niedrige Stundenlöhne, sondern das Problem ist eher viel stärker, dass es sich dabei um geringe Arbeitsumfänge handelt. Das heißt, es sind oft Minijobber oder Teilzeitbeschäftigte. Daran ändert der Mindestlohn zunächst mal gar nichts. Und die zweite wichtige Gruppe sind solche Leute, die ich angesprochen hatte, die einfach einen großen Haushaltszusammenhang zu versorgen haben, und da wird 8,50 Euro schlicht nicht ausreichen.
    Es gibt Möglichkeiten, die Mindestlohnregelungen zu umgehen
    Breker: Wird es Betriebe geben und wenn ja welche, die Probleme bekommen mit diesem Stundenlohn?
    Müller: Das hängt wieder sehr davon ab. Das ist eine sehr allgemeine Antwort. Was man sagen kann, ist zum einen, dass Kleinbetriebe sehr viel stärker betroffen sind als Großbetriebe. Das liegt daran, dass sie im Durchschnitt ein sehr viel geringeres Lohnniveau haben und dementsprechend auch mehr Leute in Kleinbetrieben betroffen sind, und zum zweiten sind die Anpassungsmöglichkeiten für Kleinbetriebe und der Spielraum, was zum Beispiel Gewinne angeht, meistens deutlich geringer. Der weitere wichtige Faktor ist: Inwiefern Unternehmen Schwierigkeiten haben, ist der Grat, in dem sie die höheren Lohnkosten beispielsweise in die Preise umwälzen können, und das hängt dann davon ab, ob die Konsumenten bereit sind, für Produkte oder Dienstleistungen wie im Friseurgewerbe und bei anderen einfachen Tätigkeiten schlicht mehr zu bezahlen, und das lässt sich vorab meist sehr schwer sagen.
    Breker: Mit Tricks kann man den Mindestlohn umgehen. Rechnen Sie damit, dass diese Tricks angewandt werden?
    Müller: Internationale Erfahrungen und auch theoretische Überlegungen legen das nahe. Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, die Mindestlohnregelungen zu umgehen, beispielsweise über die Arbeitszeit. Die vertragliche Arbeitszeit ist gerade im Niedriglohnbereich überhaupt nicht identisch mit der tatsächlichen. Hier geht es darum, ob und in welchem Umfang unbezahlte Überstunden geleistet werden. Es ist davon auszugehen, dass sich dieses Phänomen verstärken wird im Niedriglohnbereich. Das andere sind solche Konstruktionen wie die Scheinselbständigkeit, dass man auf Stundenbasis entlohnte Tätigkeiten in einen Werkvertrag beispielsweise umwandelt, einfach die Leistung definiert, ohne die Arbeitszeit genau daran zu knüpfen, und solche Möglichkeiten, sofern sie im legalen Bereich sind, werden in der Regel immer genutzt werden und das wird auch hier so sein.
    Barenberg: Kai-Uwe Müller vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.