Donnerstag, 25. April 2024

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documenta-Mitgründer Werner Haftmann
"Er muss die SA-Montur angezogen haben"

Der Kunsthistoriker Werner Haftmann, der ab 1955 die „documenta“ mitverantwortete, war SA-Mitglied. Das Selbstverständnis der Welt-Kunstausstellung gerate damit nicht ins Wanken, sagte der Soziologe Heinz Bude im Dlf. Für den Direktor des documenta-Instituts stellen sich aber andere Fragen.

Heinz Bude im Gespräch mit Änne Seidel | 11.03.2021
Der Kunsthistoriker Werner Haftmann steht während der Eröffnung der documenta 2 im Jahr 1959 am Rednerpult, im Publikum unter anderem sein Kollege Arnold Bode.
Der Kunsthistoriker Werner Haftmann (l.) während der Eröffnung der documenta 2 im Jahr 1959 (picture-alliance/ dpa | Eberth)
An der SA-Mitgliedschaft von Werner Haftmann könne es keinen Zweifel geben, sagte der Soziologe und Direktor des documenta-Instituts Heinz Bude im Deutschlandfunk. Der angehende Kunsthistoriker Haftmann selbst habe schon 1932 auf Studienbuch-Seiten angegeben, dass er SA-Mitglied sei. Ruhende Mitgliedschaften habe es in der SA – anders als in der NSDAP – nicht gegeben. Haftmann sei also einem "Sturm", einer Zelle, zugeordnet gewesen. Dazu muss man wissen, dass die SA ganz wesentlich die Gruppe war, die die Zivilgesellschaft auf den Nationalsozialismus umgestellt hat – durch wütende Gewalt.

"SA wollte Bürgerlichkeitsstruktur kaputtmachen"

Welche Rolle Haftmann konkret ausgeübt habe, sei nicht bekannt, so der Soziologe: "Wir wissen nicht, was er getan hat, aber er muss die SA-Montur angezogen haben und damit durch die Knesebeckstraße gegangen sein. Und wichtig ist: Die SA ist ein anti-bürgerlicher Haufen. Das sind also Menschen, die im Grunde die Bürgerlichkeitsstruktur kaputtmachen wollten, um der Bewegung Raum zu schaffen. Das waren auch die, die bei den Bücherverbrennungen gestanden und die abgeschirmt haben."
Die SA habe aber auch ein ganz neues Verständnis von Modernität und von einer Gesellschaft der Energien und der Kräfte gehabt, erklärte Bude in "Kultur heute" im Dlf: "Es mag sein, dass dieses neue, dieses ultramoderne Verständnis von Gesellschaft Werner Haftmann maßgeblich beeindruckt hat."

documenta neu überprüfen

Im Hinblick auf die erste documenta, an der Haftmann maßgeblich beteiligt war und die lange als Versuch galt, die Künstler und Künstlerinnen der Moderne zu rehabilitieren, stellten sich nun ganz grundsätzliche Fragen, so Heinz Bude:
"Wir müssen eher verstehen, woher Impulse kommen, eine Idee von einer kulturellen Moderne des 20. Jahrhunderts zu entwickeln. Und wir müssen uns fragen, ob wir immer noch eine gewisse Imprägnierung haben von diesem Modernitätsverständnis, das man gar nicht so einfach abschütteln kann, sondern das nicht nur in Deutschland, sondern in vielen westlichen Gesellschaften, auch über die 50er-Jahre bis hinein in unser Jahrhundert gewirkt hat."
Der damalige Berlinale-Festspielleiter Alfred Bauer steht auf dem Flughafen Tempelhof.
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Niemand hat gefragt

Dass die neuen Erkenntnisse über Haftmann erst nach Jahrzehnten an die Öffentlichkeit gekommen sind, führt Heinz Bude auf die herausragende Rolle des Kunsthistorikers nach dem Krieg zurück. Haftmann war auch maßgeblich an der Rehabilitierung des überzeugten Antisemiten Emil Nolde beteiligt und veröffentlichte zahlreiche Bücher nicht nur über diesen Maler:
"Er war sicher eine der ganz wichtigen Figuren, die jener jungen Generation nach 1945 einen Weg in die Welt der Moderne gezeigt hat. Er war ein Gegner der Abendland-Fraktion. Er war ein Gegner derer, die gesagt haben: Wir müssen jetzt wieder Goethe-Gesellschaften gründen. Er hat gesagt: Nein, wir müssen das Moderne kapieren. Er hat eine sehr große Rolle dabei gespielt, die Künstler, die als verfemt galten, wieder in Kassel zu präsentieren. Also wieso sollte man bei so jemandem fragen, ob er in den Nationalsozialismus verwickelt war?"