Montag, 13. Mai 2024

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Dokudrama "Die Aldi-Brüder"
„Mit spitzem Bleistift durchs Leben gegangen“

Die Aldi-Brüder Theo und Karl Albrecht bieten mit ihrem Discounter-Imperium und dem Entführungsfall von 1971 reichlich Filmstoff. Raymond Ley hat ihren Aufstieg verfilmt. Es sei faszinierend, in eine Zeit zu schauen, "die für uns wie von vorvorvorgestern scheint", sagte der Regisseur im Dlf.

Raymond Ley im Corsogespräch mit Ulrich Biermann | 22.10.2018
    Der Albrecht Stubenladen 1950: Theo Albrecht (Arndt Klawitter, l.) und Karl Albrecht (Christoph Bach) stehen in weißen Kitteln vor einem Lebensmittelregal
    Am Anfang - ein Stubenladen: Arndt Klawitter als Theo Albrecht und Christoph Bach als Karl Albrecht (WDR/Kai Schulz)
    Ulrich Biermann: Heute Abend, 20:15 Uhr - beste Sendezeit in der ARD. Ein Entführer redet seinem Opfer ins Gewissen:
    "Sie arbeiten den ganzen Tag, tragen billige Anzüge, essen Butterbrote - verstehe ich nicht."
    "Mehr ist nicht nötig."
    "Auf wessen Kosten sind Sie eigentlich so reich geworden? Sie machen ihre Käufer quasi zu ihren Angestellten und alle machen mit."
    "Wir versorgen die breite Masse."
    "Ein Wohltäter."
    "Ich fühle mich in ihrem Fall gerade dazu aufgefordert zur Umverteilung ihres Vermögens an uns."
    Biermann: Peter Kurth als Entführer, Arnd Klawitter als dessen Opfer Theo Albrecht. 1971 geschah diese Entführung, und sie war erschreckend für die Bundesrepublik. Eine Ikone des Wirtschaftswunders in den Fängen Krimineller - so könnte man die Geschichte erzählen. Aber genau das tut Regisseur Raymond Ley, preisgekrönt für seine Doku-Dramen nicht. Er erzählt eine Aufstiegsgeschichte und die Geschichte einer Männergeneration. Vor der Sendung habe ich ihn fragen können: Herr Ley, Aldi oder Alnatura?
    Raymond Ley: Wenn ich für die Kinder einkaufen muss - oder darf -, dann Alnatura. Ansonsten wenn's groß und grob sein darf, dann Aldi.
    "Viele Momente, die sehr unzeitgemäß scheinen"
    Biermann: Das ist Ihre Generation, oder? Sie sind Jahrgang ’58.
    Ley: Das ist letztlich meine Generation, ja.
    Biermann: Was hat sie über vier Jahrzehnte später so fasziniert, dass sie gesagt haben, ich muss die Geschichte noch mal erzählen?
    Ley: Mich hat einfach fasziniert, so in eine Zeit zu schauen, die für uns wirklich wie von vorvorvorgestern scheint, also wo auch Männer und Frauen sich noch ganz anders verhalten haben, verhalten mussten. Und einfach nochmal in - nicht meine Generation zu schauen -, sondern eher in die Generation meiner Eltern, meiner Großeltern, der Generation, die aus dem Krieg gekommen ist die in Gefangenschaft war und natürlich auch auf dieses Stück NRW-Wirtschaftswunder zu schauen, das fand ich mithin interessant. Und vor allen Dingen fand ich interessant - ich bin ja relativ spät zu diesem Projekt gekommen -, dass erstmal sozusagen der kleine Fokus am Anfang auf dieser Entführung lag, und als meine Frau und ich das Buch bearbeitet haben, haben wir diesen Fokus sehr verstärkt und haben sozusagen auch die Literatur noch einmal bemüht.
    Der Entführer hat ein Buch geschrieben, das haben wir noch einmal mit den Gerichtsakten abgeglichen, mit den Aufzeichnungen der Gerichtsreporter, und haben geguckt, was davon entspricht der Wahrheit oder was entspricht auch dem, was das Gericht ihm hat durchgehen lassen. Und da fand ich einfach viele Momente, die sehr unzeitgemäß scheinen, also dass allein die Entführer nicht wussten, welche Lösegeldsumme sieht nun Veranstaltungen sollen und geschlagene vier Tage gebraucht haben, um das mit Theo Albrecht irgendwie auszuhandeln. Es war wie so ein doppeltes Stockholm-Syndrom, also die Entführer wollten irgendwie gesehen werden, also Ollenburg gerade, dieser Rechtsanwalt. Eigenartig, dass der dann so eine Verbrecherkarriere machte. Der wollte eigentlich auch von Theo Albrecht mithin akzeptiert werden. Er hat gesagt wenn er, also Albrecht, wüsste was er, Oldenburg, für eine Ausbildung hätte, er würde ihn sofort einstellen. Das haben wir alles diesen Gerichtsakten entnehmen können.
    "Dieser Mann war extrem geizig"
    Biermann: Wenn man die Geschichte von Aldi kennt, dann kennt man sie eigentlich nicht, weil die Albrecht-Brüder waren sehr öffentlichkeitsscheu. Sehr arbeitsam, sehr gläubig. Wie schwer war da die Recherche?
    Ley: Die war extrem schwer, glaube ich. Das Projekt hat ja vier Jahre Vorlauf gehabt, der Produzent hat sehr stark mit der Familie gesprochen, hat auch mit Karl Albrecht gesprochen, also mit dem Sohn. Man ist da natürlich kaum weitergekommen über das hinaus, was die Familie bisher hat durchleuchten lassen. Und natürlich, wenn man die Recherche nochmal komplett aufmacht und journalistisch aufdröselt, kommt man zu so gewissen Erkenntnissen. Und auch in der Berührung mit der Familie, auch der Berührung mit den Zeitzeugen. Und kann sich dann - ja, ich will nicht sagen, erdreisten sozusagen - versuchen, eine biografische Notiz zu verfassen - und das sollte dieser Film auch sein.
    Biermann: Für mich ist es mehr gewesen als eine biografische Notiz. Mir ist dieser Mann, Theo Albrecht, sehr nahegekommen. Ich habe sehr viel über eine bestimmte Generation noch mal erfahren, von einem auch zwanghaften Charakter, der sehr viel kontrollieren will. Ist das ein Bild, das Sie vermitteln wollten?
    Ley: Ja, das ist also das war uns auch sehr wichtig, weil uns alle Zeitzeugen gesagt haben, dass dieser Mann extrem geizig war, man kann das auch in der Literatur … es gibt ja einige Manager, die abgesprungen sind, die das dann kritisiert haben, die auch die Schikane sozusagen angeführt haben, dass die in dem Betrieb gang und gäbe war. Man merkt das ja jetzt noch bei Aldi Nord, die sind ja jetzt auch wieder in der Negativkritik, weil sie Verträge aushandeln wollen, die wohl nicht standesgemäß sind, oder wo sie Mitarbeiter unter Druck setzen wollen. Das ist schon jemand gewesen, der sehr stark mit sehr spitzen Bleistift - wie man damals sagte - durchs Leben gegangen ist.
    Wir haben noch länger mit Raymond Ley gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Biermann: Lassen wir nochmal die historischen Fakten für sich sprechen: erste Entführung dieser Dimension überhaupt, größte Lösegeldsumme weltweit, die Polizei hat ein 160-köpfiges Ermittler-Team gegründet. Das könnte Primetime-Top-Krimi mit viel Geballer und ja viel Bohei werden - genau das machen sie nicht. War es in wichtiger die Geschichte dieses Menschen, dieser Brüder auch zu erzählen?
    Ley: Das war eigentlich der Anlass, diese Geschichte. Wir wollten noch mal genau gucken … diese Entführung ist natürlicherweise eine Zäsur gewesen, eine sehr bittere Zäsur für Theo Albrecht und für die gesamte Albrecht-Familie; und dann von dort aus von der Führung aus zurück in die biografischen Daten zu erzählen. Und das, was bekannt ist, oder was wir bekanntmachen möchten: Das war für uns wichtig, und es war auch wichtig, einen Film zu erzählen, der nicht unbedingt die Gewalterwartung erfüllt, die wir heutzutage ans Fernsehen haben, wo wir erst mal zwei Morde brauchen, damit unsere aufmerksam gebannt ist.
    Die Todesangst dokumentieren
    Biermann: Dennoch ist zutiefst traumatisch - und das vermittelt der Film auch -, was Theo Albrecht da widerfährt. Sie können beides, Sie machen Fiktion und Dokudrama. Warum es hier die Wahl auch auf dokumentarische Elemente gefallen? Sie bräuchten sie nicht unbedingt bei der Qualität ihres Buches.
    Ley: Ja, das ist eine gute Frage. Wir haben sehr lange ohne die Zeitzeugen montiert, haben komplett fiktional montiert und es war nachher noch mal sehr stark auch Redaktionswunsch, noch mal zu sehen … Also auch noch mal den Richter zu hören, der sozusagen diese Todesangst … also, der Theo Albrecht vor Gericht erlebt hat bei dem Prozess gegen die Entführer. Der dann noch einmal davon berichtet, dass er Todesangst erlitten hat, und es ist, glaube ich, noch mal der Redaktion wichtig gewesen, hier nochmal eine Bestätigung zu haben, dass nicht nur diese Entführungsgeschichte so wahnsinnig absurd ist, dass auch sozusagen die Todesangst wohl real war. Ich glaube, es ist eine doppelte Absicherung, und das ist im Endeffekt ein Fernsehspiel, was sich dieser dokumentarischen Momente bedient. Und ich finde, so muss auch - so hat es Horst Königstein früher, der ich ja noch vom NDR kenne, immer gesagt - also jeder Film muss da seinen eigenen Weg finden; ob da viel oder wenig Interviews, viel oder … der dokumentarische Anteil wird sich sozusagen, wenn man schlau ist, immer der Geschichte fügen und nicht umgedreht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.