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Dokumentarfilm "Stiller Kamerad"
Wenn Pferde Kriegswunden heilen

„Stiller Kamerad“ heißt ein Dokumentarfilm, in dem drei nach Kriegseinsätzen traumatisierte Soldat*innen einen intimen Einblick in die Therapie ihrer posttraumatischen Belastungsstörung geben. Die Behandlung ist auf den ersten Blick unkonventionell: Als Co-Therapeuten werden Pferde eingesetzt.

Von Hartwig Tegeler | 05.02.2019
    Szene aus dem Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" von Leonhard Hollmann
    Szene aus dem Dokumentarfilm "Stiller Kamerad" von Leonhard Hollmann (Im Film, Agentur + Verleih)
    Ein Mann, ein Pferd, das Pferd hat ein Halfter, der Mann hält den Strick:
    Therapeutin: "Versuch mal noch weniger. Stell dich mal auf seine Schulterhöhe, wo seine Füße stehen."
    Es beginnt mit einem banalen, fast langweiligen Bild ...
    Therapeutin: "Gibt mal mit der rechten Hand nur den Fokus."
    Das Unsichtbare sichtbar machen
    ... aber es wird klar werden, dass das Folgen hat für Oliver, der das Pferd ein paar Schritte führen soll. Aber das Pferd reagiert nicht.
    Therapeutin: "Dort wo, er hin will."
    Oliver lacht: "Und schon läuft er los."
    Therapeutin: "Fokus, klarerer, jaah!"
    Das Problem an diesem Dokumentarfilm ist, dass wir generell nicht sehen, sondern nur erahnen können, was bei einem therapeutischen Prozess in der Person geschieht. Was geschieht in Oliver, dem Soldaten, der bei der pferdegestützten Psychotherapie auf diesem kleinen Hof in Brandenburg den Rappen vorwärts gehen lassen will, das Pferd aber nicht reagiert, und die Therapeutin Claudia Swierczek ihn nun auffordert, nach innen zu spüren; er das offensichtlich tut und das Pferd nun vorwärts schreitet. Was haben wir gesehen? Das, was Oliver benennt?
    Therapeutin: "Merkst du gerade, was bei dir innerlich passiert?"
    Oliver: "Ja, Unsicherheit."
    Diagnose: PTBS
    Klingt zunächst banal – Unsicherheit! -, ist es aber nicht, wenn einer, der an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet und dieses Gefühl am Pferde wieder erlebt. Die traumatischen Erfahrungen, die Soldaten und Soldatinnen in Kriegsgebieten machen, haben nach den ersten Auslandseinsätzen der Bundeswehr mit der sogenannten "Posttraumatischen Belastungsstörung" ihren Alltagsbegriff gefunden. Roman – Diagnose PTBS:
    "Es war an einem Tag, wo ich einen Menschen getötet habe. Das war so … äh … mmh … der Anfang dazu. An dem Datum mache ich es fest, weil an dem Tag habe ich quasi das Schlimmste erlebt."
    Albträume, Drogenmissbrauch, das Wiedererleben der traumatischen Erlebnisse angestoßen durch banale Umwelteinflüsse: die klassischen Symptome. Den beiden Soldaten und der Soldatin - Oliver, Roman und Mandy -, die Leonhard Hollmann in "Stiller Kamerad" mit der Kamera bei der pferdegestützten Therapie begleitet, konnte die Bundeswehr mit ihren Therapieangeboten nicht helfen. Austherapiert. Also: Der Griff nach dem Strohhalm. So sind sie bei den Pferden gelandet, oder, wie Roman zu seinem Kumpel meint:
    "Hast gelacht. Hast gesagt: 'Gehste Pferde streicheln'."
    "Kann ich mich gar nicht dran erinnern."
    "Gehste Pferde streicheln! Joup!"
    Pferde sind Körpersprache-Experten
    Ist Psychotherapie eine exakte Wissenschaft? Wohl kaum. Und auch die pferdegestützte Therapie ist keine. Die Erklärung, die Claudia Swierczek für das psychotherapeutische Setting mit Pferden als Co-Therapeuten findet, sind Versuche, Annäherungen. Dass Pferde "Körpersprache-Experten" sind, ist nur ein Aspekt des komplexen Prozesses, der auf der Koppel mit den Pferden abläuft. Mandy, die Soldatin, die bei ihrem Einsatz im Kosovo sah, wie ein kleines Mädchen verkauft wurde, ohne, dass sie eingreifen konnte, hat erst, als alles andere nichts fruchtete, zu dieser Therapie am Pferd gefunden:
    "Ich habe früher auch immer darüber gelacht, ja, aber wenn du davor stehst und es mitbekommst und das fühlst, das ist einfach Wahnsinn, das ist unerklärlich, wie die dich spiegeln, was du nicht aussprechen kannst."
    Hat die pferdegestützte Therapie Erfolg oder nicht? Natürlich ist das die Frage, die uns bei "Stiller Kamerad" beschäftigt. Können Oliver, Roman und Mandy besser weiterleben, ohne der Illusion verfallen, dass ihr Kriegstrauma einfach gelöscht wäre. Oliver macht am Ende einen Fallschirmsprung oder auch "Freiheitssprung". Mandy meint, ja, es hat geholfen. Und Roman, der bei seinem Bundeswehreinsatz einen Menschen getötet hat, sagt:
    "Ohne die Pferdetherapie würde ich heute nicht mehr leben, weil, irgendwann hat man auch mal die Schnauze voll, wenn es so ist. Ganz, ganz viele nehmen sich das Leben von PTBS."
    Projektion menschlichen Leids auf das Pferd?
    Aber diese Art von Therapie, die von der Bundeswehr zurzeit nicht bezahlt wird, beruht sie nicht – auch so eine Frage - auf der Projektion des menschlichen Leids auf das Pferd? In diesem Zusammenhang sei an den Freudschen Begriff der "Übertragung" erinnern, der die Projektion von Konflikten auf den Therapeuten als entscheidendes therapeutisches Mittel begreift, um in der Aktivierung alten Erlebnismaterials dieses sichtbar zu machen, um es dann zu bearbeiten.Claudia Swierczek, die Pferdetherapeutin, nutzt in Anlehnung des Freudschen Begriffs die Übertragung der traumatisierten Soldaten auf die Pferde als Basismaterial für die Therapie. Damit wird die pferdegestützte Psychotherapie, wie gesagt, nicht exakte Wissenschaft; aber der Esoterikverdacht, der gegen den Film erhoben wurde, erweist sich bei etwas genauerem Hinsehen als vollkommen haltlos.
    "Stiller Kamerad" ist ein wunderbarer Film, weil er sich – ohne jede Vorurteile – sehr subtil den drei Protagonisten nähert, ihre Leidensgeschichte beschreibt und ihrem mühevollen Versuch, aus der Dunkelheit des Traumas hervorzutreten. Wenn sehr langsame, ruhige anderthalb Stunden Kinozeit einen Mehrwert beim Blick auf den Menschen entwicklen, dann gelingt das Leonard Hollmanns Dokumentarfilm "Stiller Kamerad".