Mittwoch, 24. April 2024

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Dolly und die Klonforschung
Vermächtnis eines Schafs

Am 5. Juli 1996 wurde in Schottland ein Schaf geboren. Nicht irgendein Schaf, sondern Dolly, der Klon. Ein Dogma der Biologie war gefallen. Viele Titelseiten und Skandale später ist es ruhig geworden um das Klonen. Dolly ist längst tot, aber was machen die Klonforscher von damals heute?

Von Michael Lange | 04.07.2021
Klonschaf Dolly (M) am 25.2.1997 im Roslin-Institut in Edinburgh
Dolly das Schaf: Ikone der Klonforschung und Medienstar (picture-alliance / dpa)
Heiner Niemann: "Das ist ein Markstein der Wissenschaft."
Ingrid Schneider: "Das Schaf Dolly ist zu einer Ikone dieser Klonforschung geworden."
Auf den ersten Blick ist Dolly ein gesundes, gewöhnliches Schaf.
Niemann: "Das war wirklich ein echter Sprung in der Wissenschaft. Ich würde sogar sagen: Da ist ein Dogma der Biologie gefallen."
Nicht wenige waren überzeugt: Bald würde auch der Mensch geklont.
Schneider: "Man wird jetzt Heere von Intelligenzbestien züchten. Man wird das Böse multiplizieren und man wird auch die Schönheit unsterblich machen."
Eine Revolution für die Tierzucht. Neue Heilmethoden durch die Stammzellenmedizin - Pläne, Visionen, Versprechungen. Damals war ich mittendrin im großen Medien Spektakel. Jetzt will ich wissen. Was ist geblieben? Was hat die Klonforschung bewirkt?

Pläne, Visionen, Versprechungen

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Schließlich war das Schaf Dolly schon damals, 1999, ein Symbol: für die Schaffenskraft der Menschen, aber auch für deren Hybris. Drei Jahre nach Dollys Geburt habe ich mich auf den Weg nach Roslin gemacht. Ein kleines schottisches Dorf in der Nähe der Großstadt Edinburgh. Ich habe ein Zimmer im einzigen Gasthof genommen und am nächsten Morgen zu Fuß das Forschungsinstitut am Dorfrand besucht.
Einmal quer durch das umzäunte Gelände, dann war ich da. Neugierig. Voller Erwartung. Eine Wiese, gleich neben einem Stallgebäude, bewacht von einem Sicherheitsdienst. Und da war es auch schon. Ein munteres Mutterschaf kam direkt auf mich zugelaufen, zwei Lämmer im Schlepptau.
Timothy King, der Tierarzt des Instituts, machte uns bekannt. Dolly schnupperte neugierig am Mikrofon und ließ ein lautes Blöken erklingen. Das war das Interview. Oder eher eine Audienz.
Der DLF Reporter Michael Lange hält dem Klonschaf Dolly ein Mikrofon unter die Schnauze. Dolly steht mit ihren Lämmern auf einer Weide und guckt den Journalisten durch das Gatter an.
Audienz bei Klonschaf Dolly: Michael Lange 1999 am Roslin-Institut in Schottland (Michael Lange)

Erster Akt: Der Klon betritt die Bühne

Soweit, so unspektakulär. Ein Schaf eben. Das Geheimnis des Klonens musste ich woanders erkunden. Natürlich in einem Laborgebäude, ein paar Schritte weiter. Der Laborant Bill Richie führte mich schnurstracks in einen Nebenraum.
"In diesem Labor wurde Dolly gemacht. Natürlich auch andere Klone, aber Dolly ist der berühmteste. Mit diesem Mikromanipulator haben wir Dolly aus altem Erbmaterial neu geschaffen, wenn Sie so wollen."
Richie war nicht der Leiter der Arbeitsgruppe. Aber er war streng genommen derjenige, dem Dolly ihr Leben verdankt. Im Auftrag seiner Chefs Ian Wilmut und Keith Campbell hat er jahrelang mit Schafszellen vom Schlachthof experimentiert und die Feinarbeit verrichtet – mit ruhiger Hand, den Blick ständig durch das Okular des Mikroskops gerichtet.
Fast wie bei einem Computerspiel. Dazu braucht man jede Menge Konzentration, erklärt Bill Richie. Aus Euterzellen züchtete er eine Zellkultur. Dann musste ein Zellkern aus der Zellkultur ins Innere einer Eizelle. Wissenschaftlich heißt die Methode "Zellkerntransfer".
Vereinzelte Zellen in einer Petrieschale.
Jede Menge Konzentration erforderlich: Einzelne Zellen werden in einer Petrischale manipuliert (imago images | Westend61)
"Wir nehmen ein paar Zellen aus einer Zellkultur und machen daraus eine Suspension aus einzelnen Zellen. Die Zellen müssen dabei in einer Ruhephase sein. Dann picken wir eine einzelne Zelle aus der Suspension heraus. Sie ist nicht viel größer als ein hundertstel Millimeter. Wir bringen sie mit einer unserer zellkernfreien Eizellen zusammen und verschmelzen die Zellen miteinander. Dann hoffen wir, dass die Aktivierung funktioniert und ein Embryo entsteht. Nach sieben Tagen verpflanzen wir den winzigen Embryo in eine Leihmutter. Das geschieht drüben in der Tierchirurgie. Dann drücken wir die Daumen und mit etwas Glück werden sich einige der so hergestellten Embryonen in den nächsten 20 Wochen normal entwickeln."
Bill Richie klingt etwas gelangweilt. Wahrscheinlich hatte er zu diesem Zeitpunkt den Klonvorgang schon tausendmal erklärt. Fest steht: Ohne ihn, seine Fingerfertigkeit und Ausdauer hätte es das Klonschaf Dolly nie gegeben. Nach über 200 Versuchen kam ein gesundes Schaf zur Welt. Über die Fehlversuche sprachen die Macher ungern. Die meisten Embryonen nisteten sich nicht in die Gebärmutter ein und gingen sofort zugrunde.
Der Leiter der Arbeitsgruppe Ian Wilmut hat lieber immer wieder die wissenschaftliche Bedeutung des Experiments betont. Denn dieses Schaf hat die Gesetze der Biologie verändert.
"Bevor Dolly geboren wurde, glaubten wir, dass die Spezialisierung von Zellen im Organismus ein hoch komplexer Prozess sei. Alles sei genau festgelegt. So etwas lasse sich nicht umdrehen."
Dolly wurde nur sechs Jahre alt und brachte mehrere gesunde Lämmer zur Welt. Zeitlebens litt sie an Rückenproblemen. Ob das mit dem Klonprozess zusammenhing, blieb unklar. Eine fortschreitende Lungenkrankheit führte dazu, dass Dolly im Jahr 2003 eingeschläfert werden musste. Heute steht sie ausgestopft im schottischen Nationalmuseum.

Zweiter Akt: Das Schaf ist tot. Das Drama geht weiter

"Das Interesse war überwältigend. Weit jenseits von allem, was wir erwartet hatten. Ich verstehe jetzt, wie tief dieses eine Schaf die Gesellschaft durchdrungen hat."
Den Tiergenetiker Bruce Whitelaw erreiche ich online. Er war damals dabei, als Dolly entstand, und forschte im Nachbarlabor. Heute leitet er das Roslin-Institut. Das Klonen ist für ihn nur noch eine Technik von vielen.
Eine computerbasierte Darstellung der Genschere Crispr.
Warum die Genschere Biologie und Medizin revolutioniert
CRISPR-Cas9, die sogenannte Genschere, gilt als Wunderwaffe der Molekularbiologie. Mit dem Verfahren können DNA-Bausteine präzise umgebaut oder entfernt werden, das macht es zum großen Hoffnungsträger in Medizin und Agrarwirtschaft.
Denn der Klonrevolution folgten weitere. Die wichtigste ist die Genschere Crispr/Cas. Mit ihr als molekularem Werkzeug beginnt 2012, mehr als 15 Jahre nach Dolly, die Zeit der Genom-Editierung.
"Bei der Genmanipulation von Nutztieren findet die Klontechnik immer noch Anwendung. Oft wird sie mit der Genom-Editierung kombiniert. Aber es geht auch ohne Klonen, wenn man die Genom-Editierung direkt bei befruchteten Eizellen einsetzt. Ältere und neuere Techniken ergänzen einander. Man kann sie gemeinsam einsetzen, aber auch einzeln."
Das Klonschaf Dolly steht im Schottischen National Museum.
Das Schaf ist tot: Dolly ausgestopft im schottischen Nationalmuseum (dpa/picture alliance / Daniel Kalker)
Bruce Whitelaw ist es gewohnt, über Dolly und das Klonen zu sprechen. Aus seinen Antworten schließe ich: Am Roslin-Institut ist Dolly immer noch eine Ikone. Hier betrachtet man das Klonen als Anfang, aus dem sich Vieles entwickelt hat.
"Der Nutzen der Dolly-Studie am Roslin-Institut ist schon immens und wird es bleiben."
Die positive Sicht auf das Klonen ist keineswegs selbstverständlich. Der Durchbruch stieß zunächst auf viel Skepsis. Denn was beim Zellkerntransfer geschah, hätte laut Lehrbuch nicht passieren dürfen. Beim Klonen wurden ausgereifte Zellen wieder jung, sodass ein neues Lebewesen entstehen konnte. Eigentlich unmöglich. Auch der Stammzellenforscher Hans Schöler zweifelte zunächst.
"Ich habe eigentlich ursprünglich gedacht: Das kann gar nicht sein. Das glaube ich nicht."
Eckhard Wolf, vor 25 Jahren junger Professor für Molekulare Tierzucht in München, war dagegen sofort begeistert.
"Natürlich war das eine große Sensation. Ich habe aus zwei Gründen nicht daran gezweifelt. Erstens kannte ich natürlich die Gruppe und ich schätze diese Wissenschaftler sehr. Auf der anderen Seite haben wir in dieser Zeit selbst schon in diesem Bereich gearbeitet … und dann kam eben das gesunde Kalb Uschi heraus."

Dritter Akt: Ein weiterer Klon tritt auf. Uschi, das Kalb

1998 wurde – ebenfalls mit viel Tamtam – der erste Klon aus Deutschland stolz der Öffentlichkeit präsentiert. Das Team um Eckhard Wolf hatte nur vier Versuche gebraucht, um Uschi zu erzeugen.
In den USA und Japan begannen wenig später kommerzielle Firmen mit dem Klonen von Zuchtbullen. Die Klone sollten immer weiter 1A-Spermien von Superbullen produzieren – auch nach dem Tod der Klonvorlage. Massenhaft Sperma in immer gleicher Qualität. Doch das Geschäftsmodell geriet schnell an seine Grenzen. Nach 25 Jahren ist kaum noch ein Rinderzüchter am Klonen interessiert.
"Um diese Thematik ist es in der Tat etwas ruhiger geworden. Ich glaube, dass viele Firmen das initial sehr intensiv betrieben haben, aber letztendlich ist es natürlich so, dass durch den allgemeinen Zuchtfortschritt Bullen, bis sie dann geklont sind und Sperma liefern können, möglicherweise nicht mehr die genetisch besten sind."
Mehr Fleischproduktion, effizientere Futterverwertung, hornlose Rinder – alles inzwischen möglich. Auch ohne Klonen. Dank der Genschere Crispr/Cas. Besser, schneller, preiswerter. Die Genom-Editierung schafft Neues, während Klonen immer wieder das gleiche reproduziert. Ohne Fortschritt.
Drei chinesische Wissenschaftler in Kitteln füttern ihre drei geklonten dunkelbraunen Rinder mit einer Milchflasche.
Geklonte Kälber: Nach 25 Jahren für die Nutztierzucht nicht mehr interessant (imago stock&people)
"Insgesamt wird das Klonen nüchterner betrachtet, als das in den ersten zehn Jahren nach der Publikation von Dolly der Fall war. Ich glaube, dass sich das Ganze jetzt konzentriert auf die tatsächlich sinnvollen Anwendungen. Die Generierung von Großtiermodellen für die biomedizinische Forschung oder von Spenderschweinen für die Xenotransplantation. Aus meiner Sicht eine ganz wichtige Anwendung. Da ist das Klonen sehr hilfreich."
Beispiel Schweine. Sie ließen sich nicht so einfach klonen wie Schafe oder Rinder. Es dauerte ein paar Jahre, bis ein Team aus Japan die ersten Schweine klonte. Heute dienen sie als Tiermodelle zur Erforschung von Krankheiten wie Diabetes. Außerdem sind Schweine ideale Organspender. Mit Hilfe einer Gastforscherin aus Japan konnte auch das Team in München geklonte Schweine erzeugen.
Mit Eckhard Wolf durfte ich in den Spezialstall seines Instituts. Nach einer gründlichen Dusche, in Spezialkleidung und mit Überschuhen aus Kunststoff ging es hinein. Die wertvollen Schweine sind sehr empfindlich. Putzig drängen sich muntere Ferkel unter rotem Licht.
"Unsere Ferkel sitzen gerne unter Rotlicht, weil es da schön warm ist. Sind jetzt eine gute Woche alt. Wir haben hier eine Einrichtung, mit der wir die Ferkel mutterlos aufziehen können. Das heißt: Wir haben keine Verluste, wenn die Mutter zum Beispiel keine Milch gibt."
Einige der Schweine sind genetisch verändert, sodass ein fremdes Immunsystem ihre Organe nicht als fremd erkennt.
"Wir gehen hier leise herein, um die Muttersauen nicht zu stören. Die sind hier mit ihren Ferkeln. Die sind jetzt etwa drei bis vier Wochen alt."
Eine Sau liegt unter einer Rotlichtlampe. Kleine Ferkel saugen an ihren Zitzen.
Versuchstiere für die Xenotransplantation: Ferkel mit Mutter (Deutschlandradio / Michael Lange)
Eine Muttersau liegt auf der Seite, an ihren Zitzen viele kleine Ferkel. Nebenan noch mehr Schweine. Ich erfahre: Manche ihrer Nachkommen sollen Organe spenden. Zunächst allerdings nicht für menschliche Patienten, sondern für kleine Affen. Die Chirurgen an der Universitätsklinik berichten bereits über erste Erfolge bei Transplantationsversuchen. Aber bis Schweine zu Organspendern für Menschen werden, werden noch Jahre vergehen.
Die Organspender selbst werden voraussichtlich keine Klone sein. Der Klonprozess ist nur eine Methode im Rahmen der genetischen Manipulation, erläutert Eckhard Wolf.
"Diese Modifikationen führt man alle in Zellen ein und kann überprüfen, ob sie in der richtigen Anordnung vorhanden sind, ob sie auch funktionieren. Und dann nutzt man einmalig das Klonen, um aus diesen gezielt genetisch modifizierten Zellen die entsprechenden Schweine zu generieren."
Eine Gruppe Gründerklone reicht. Die wird dann weiter gezüchtet. Schweine zu klonen nur für die Vermehrung wäre viel zu aufwendig. Auch nach vielen Jahren Erfahrung.
"Leider muss man sagen, und das trifft nicht nur für unser Institut zu, dass insgesamt die Effizienz des Klonens sich nicht wesentlich verbessert hat. Beim Schwein liegt die Effizienz im Bereich von eins bis fünf Prozent lebend geborene Ferkel pro übertragene geklonte Embryonen, was eine sehr geringe Effizienz ist. Nichtsdestoweniger ist es nach wie vor die beste Technologie, um genetisch mehrfach modifizierte Schweine zu erzeugen."
Immer wieder habe ich mich auf Reisen begeben – auf der Suche nach geklonten Tieren. Besonders gerne erinnere ich mich an eine Tour durch den Wilden Westen – zu den Kloncowboys von Idaho.

Vierter Akt: Goldgräberstimmung. Wer macht das große Geschäft?

Das geklonte Maultier Idaho Gem war etwas Besonderes. Ich staunte nicht schlecht, als Pferdetrainer Ed Burdick mit dem Maultier auf die Weide ging. Die beiden tanzten regelrecht umeinander. Machte Ed Burdick Schnalzgeräusche, lief Idaho Gem rückwärts. Bei einem Küsslaut kam das Tier nach vorne.
Alles Training. Die Gene spielten offensichtlich keine große Rolle. Denn Idaho Gem war als Klon genetisch identisch mit anderen Maultieren, die diese Fähigkeiten nicht besaßen: zum einen Idaho Star, der mehrere Preise bei Maultier-Rennen gewonnen hat. Den dritten Klon treffe ich hinter einem Laborgebäude in Moscow, Idaho. Dirk Vanderwall und sein Team an der Universität von Idaho haben die drei Maultiere geklont. Während Idaho Gem und Idaho Star Karriere machten, stand Utah Pioneer träge auf der Weide. Ein ideales Reittier für Anfänger.
Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange (links) mit dem geklonten Maultier Idaho Gem und dem Maultierflüsterer Ed Burdick (rechts) auf einer Farm in Idaho
Klon-Cowboys
Seit das Klonschaf Dolly 1996 das Licht der Welt erblickte, können Wissenschaftler genetische Kopien von Säugetieren herstellen. Die Klontechnik findet immer mehr Anwender. Michael Lange reist durch die USA, auf der Suche nach Klonen und ihren Schöpfern.
"Idaho Gem und Idaho Star sind nahezu Blaupausen. Aussehen und Charakter sind fast identisch. Utah Pioneer ist ganz anders. Ruhiger und störrischer. Ein typisches Maultier. Außerdem ist sein Fell dunkler. Vielleicht sind Umwelteinflüsse verantwortlich oder die Epigenetik, also die Aktivität der Gene." Die Gene sind nicht alles. Das zeigte sich auch bei den jährlichen Maultierrennen in Stockton, Kalifornien. Die Klone sind fit und gut trainiert. Aber keineswegs überlegen. Oft laufen sie hinterher. Die Gewinner sind keine Klone.
Das Klonen von Maultieren blieb eine Episode. Das gilt auch für das Klonen von Pferden. Vorübergehend eroberten geklonte Pferde zwischen 2005 und 2015 die Rennbahnen in den USA und Europa. Die Tiere waren gesund und wurden als Kuriosität bestaunt. Das war es aber auch. Die gleichen Erfolge konnten Pferdezüchter auch ohne Klonen erreichen.
Das Klon-Maultier Idaho Gem mit Jockey auf dem Rücken in vollem Gallopp auf der Rennbahn
Idaho Gem: Schnellster Klon der Welt, aber nicht das schnellste Maultier der Welt (Michael Lange)
Für Schlagzeilen sorgten immer wieder geklonte Hunde und Katzen. Einige Tierfreunde, die den Tod ihres Lieblings nicht verschmerzen konnten, wünschten sich einen Klon und boten fünfstellige Summen.
Lou Hawthorne wollte daraus ein Geschäftsmodell machen. Ich suchte und fand ihn in Kalifornien - im Garten seines Hauses am Waldrand. Und dort bekam ich seine Geschichte zu hören.
"Wir saßen am Frühstückstisch. Unser Hund Missy zu unseren Füßen. Da lasen wir in der New York Times von Dolly, dem Klonschaf. Klonen, das stellten wir uns vor wie eine große Kopiermaschine. Du drückst auf den Klonknopf und bekommst einen Klon. Und so dachten wir: Wie wäre es, wenn wir unsere geliebte Missy klonen würden. Wir brauchten zehn Jahre von 1997 bis Dezember 2007 als Missys Klon Mira geboren wurde. Und jetzt sitzt sie zu unseren Füßen und versucht, unsere Muffins zu stehlen."
Lou Hawthorne vermittelte von 2005 bis 2008 Klonaufträge für Hunde und Katzen nach Südkorea. Doch häufig wurden die Auftraggeber enttäuscht. Das Fell der Klone war oft anders gemustert als bei der Vorlage, und auch der Charakter der Tiere war nicht vergleichbar. Hawthorne investierte in andere Biotechnologie-Projekte.
Ein Hund sitzt auf einer Terasse zwischen Stühlen und Tisch.
Kostbarer Vierbeiner: geklonter Familienhund Mira (Mill Valley, Kalifornien) (Michael Lange)
"Für mich hat das Klonen keine emotionale Bedeutung mehr. Missy wurde geklont. Das war eine Mission. Ich wollte meine Familie glücklich machen. Und es ist geschafft. Ich fühle mich großartig. Jetzt kann ich dem Klongeschäft den Rücken kehren, zumal es nicht möglich ist, in den nächsten Jahren Geld damit zu verdienen. Leute, die glauben, dass ich weiter mit dem Kopf gegen diese Wand renne, liegen falsch. Der Preis für geklonte Haustiere wird nicht sinken, wenn niemand investiert. Und ich werde nicht investieren, wenn in den nächsten Jahren keine Gewinne absehbar sind."
Die Kosten sind immer noch hoch. Für umgerechnet 50.000 bis 100.000 Euro wurden bis zuletzt einige besonders talentierte Spürhunde geklont. Aber das Klonen von Haustieren findet nur noch selten statt.
Es geht natürlich nicht nur ums Geld. Es geht auch um Verjüngung. Denn der Klonprozess macht aus alten Zellen junge.

Fünfter Akt: Der König des Klonens betritt die Bühne. Applaus brandet auf

Die Idee vom Jungbrunnen erhielt durch Dolly und die Klonexperimente frischen Wind.
"Wir haben Zellen von Patienten mit unheilbaren Krankheiten entnommen und daraus durch Klonen embryonale Stammzellen gewonnen."
2004 lieferte Hwang Woo Suk genau das, was Fortschrittsoptimisten gefordert hatten: geklonte menschliche Zellen für die Stammzellenmedizin. Viele Mediziner waren begeistert und schwärmten vom "Therapeutischen Klonen".
Die undatierte, von der Universität in Seoul, Südkorea, zur Verfügung gestellte Mikroskopaufnahme zeigt geklonte Embryonen im achtzelligen Stadium
Die ersten geklonten menschlichen Zellen? Klon-Pionier Hwang Woo Suk behauptete 2004, den Weg zum "Therapeutischen Klonen" gefunden zu haben. (AP)
Aber war das überhaupt praktikabel, was hier präsentiert wurde? Schließlich erzeugte Hwang angeblich massenhaft geklonte Embryonen von Menschen, um sie dann zu Stammzellen zu verarbeiten. Die Eizellen spendeten unter anderem seine Mitarbeiterinnen.
Viele Kritiker äußerten ethische Bedenken. Aber die störten den Klonpionier wenig. Später stellte sich heraus, dass er außerdem wissenschaftliche Ergebnisse gefälscht hatte. Der gefeierte Star musste die Universität von Seoul verlassen. Der König des Klonens wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Vereinzelte Buh-Rufe. Das Publikum ist empört

Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster flog damals nach Südkorea – und unterstützte die dortigen Stammzellenforscher beim Wiederaufbau.
"Das hat leider dazu geführt, dass dieser Stolz der Koreaner in so eine Art wissenschaftliche Depression umgeschlagen ist. Das war schon so, dass man gedacht hat: Es müsste eigentlich klappen, aber es hat tatsächlich nicht geklappt."
Der Traum vom therapeutischen Klonen war gescheitert. Aber die Idee, aus reifen Zellen körpereigene Gewebe zu züchten, hat überlebt.
"Man hat gesehen: Es muss gehen. Und wenn man denkt: Es muss gehen, dann findet man auch einen Weg, dass man es macht."
Aus humanen pluripotenten Stammzellen gewonnene humane neurale Stammzellen Immunfluoreszenzfärbung, bei der für neurale Stammzellen charakteristische Proteine mit Antikörpern farbig markiert wurden. (Nestin in rot, ZO1 in grün, Zellkerne in blau)
Aus humanen pluripotenten Stammzellen gewonnene humane neurale Stammzellen (Laura Stappert, Universität Bonn)
Viele suchten nach einem Weg der Stammzellengewinnung ohne Klonen, ohne Eizellen und ohne dass Embryonen geschaffen werden. Der Pionier, der diesen Weg fand, kam aus Japan. 2012 erhielt Shinya Yamanaka dafür den Medizin-Nobelpreis. Eine Auszeichnung, die Dollys Schöpfer nie erhalten haben.
"Embryonale Stammzellen sind sehr gut. Sie haben enormes Potenzial. Aber es gibt Probleme, weil sie aus menschlichen Embryonen stammen. Deshalb wollte ich ähnliche Zellen schaffen, aber nicht aus Embryonen, sondern aus den eigenen Körperzellen der Patienten."
IPS-Zellen hießen die neuen Hoffnungsträger: induzierte pluripotente Stammzellen. Ein paar Hautzellen reichten aus, um diese vielseitigen Stammzellen im Labor zu züchten. Sie könnten die Versprechungen einlösen, die das Klonen schuldig blieb. Die neuen Zellen werden heute in ersten klinischen Studien an Patienten erprobt.

Sechster Akt: Die Stunde der Bösewichte

Schon wenige Monate nachdem die Nachricht von Dolly um die Welt ging, fanden sich Aufschneider, die den geklonten Menschen schaffen wollten. Der erste, der die Medien mit Schauergeschichten versorgte, entsprach wie kein anderer dem Klischee vom "verrückten Wissenschaftler": Richard Seed, ein Physiker aus Chicago.
"Es ist nur ein anderer Weg, ein Kind zu bekommen. Ein kleines süßes Baby. Und kleine süße Babys sind wundervoll. Klonen, um ein Baby zu bekommen, um Spaß zu haben."
Wer für einen Moment im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit stehen wollte, versprach Menschen zu klonen. Eine Sekte, die sich Raelianer nannte, hatte angeblich bereits Menschen geklont, lieferte aber nie einen Nachweis.
Es folgten Fortpflanzungsmediziner wie Severino Antinori, Panos Zavos und andere. Alles Männer über 50. Ohnehin war die Klonforschung bei Tieren, Zellen oder Menschen meist Männersache. Warum wohl?
Klondoktor: Samuel Woods, Reproduktionsmediziner aus La Jolla
Sprücheklopfender Klondoktor: Samuel Woods in seiner Praxis in La Jolla (Michael Lange)
Immer wieder versuchte ich die großspurig auftretenden Klonärzte vor das Mikrofon oder wenigsten ans Telefon zu bekommen. Vergeblich. Das änderte sich 2008, als ich mich bei Doktor Samuel Wood anmeldete, und schon stand ich vor seiner Arztpraxis in Kalifornien.
Das Wartezimmer ist leer. Der Bildschirm zeigt fröhliche Babygesichter. Ich werde erwartet. Doktor Wood bittet zum Interview in sein Sprechzimmer.
"Ich besitze außerordentliches Selbstbewusstsein. Ich glaube: Es gibt kein Ziel, das ich nicht erreichen kann."
Die von Samuel Wood gegründete Firma Stemagen hatte Informationen veröffentlicht über einen missglückten Klonversuch. Darüber wollte ich mehr erfahren und traf lediglich einen Sprücheklopfer.
"Mir ist noch nie etwas misslungen und auch diesmal habe ich nicht vor zu scheitern. Ich erwarte, dass wir erfolgreich sein werden."
Die Wissenschaftswelt konnte Samuel Wood nicht überzeugen. Er verschwand aus der Öffentlichkeit. Seine Karriere als Reproduktionsmediziner und Fruchtbarkeitsguru setzte er unbeeindruckt fort. Geklonte Menschen hat er bis heute nicht präsentiert.

Siebter Akt: Das große Finale

Der ersehnte Durchbruch beim Klonen menschlicher Zellen gelang fernab der Glitzerwelt Kaliforniens. Versteckt in einem Waldgebiet nahe Portland in Oregon. Im dortigen Primatenforschungszentrum arbeitet bis heute der aus Kasachstan stammende Wissenschaftler Shoukhrat Mitalipov.
"Geklonte Affen haben wir 2009 geschaffen. Sie sind zu gesunden, erwachsenen Tieren herangewachsen. Die Methode ist sehr effizient. Keine unerwarteten Nebenwirkungen. Ganze Menschen wollten wir nicht klonen, aber es entstand die Idee, eine Behandlungsmethode für Menschen zu entwickeln."
Mitalipov erzeugte menschliche Klone nicht, um sie heranwachsen zu lassen, sondern um aus den winzigen Embryonen Stammzellen zu gewinnen. Embryonale Stammzellen für die Medizin. Der Traum vom Therapeutischen Klonen wurde Wirklichkeit, als er nicht mehr gebraucht wurde. Kaum jemand reagierte auf die Nachricht.
Auf dem Foto der Agentur Xinhua sieht man die geklonten Affen Zhong Zhong und Hua Hua.
Nicht die ersten Klonaffen, aber die ersten nach "Dolly-Methode": Javaneraffen Zhong Zhong und Hua Hua wurden der Öffentlichkeit im Jahr 2018 vorgestellt. (dpa-Bildfunk / Xinhua / Jin Liwang)
"Die Eizelle haben wir mit einem reifen Zellkern befruchtet. Dann entsteht ein Embryo, den wir bis zu einer Blastocyste haben heranwachsen lassen. Daraus haben wir embryonale Stammzellen gewonnen. Aber wir hätten den Embryo auch weiter heranreifen lassen können."
Nie war der geklonte Mensch so nah.
Shoukhrat Mitalipov lehnt das Klonen von Menschen bis heute ab, nicht aber die Anwendung seiner Methode in der Medizin, um heilende Stammzellen zu züchten. Doch niemand wollte und will diesen umstrittenen Weg beschreiten.
"Bis heute gibt es keine klinische Anwendung für geklonte Zellen, die durch Kerntransfer entstanden sind. Sie werden als Stammzellen in der Forschung verwendet, aber nicht für klinische Versuche."

Freundlicher Applaus und ein paar Zwischenrufe aus den hinteren Reihen

Ian Wilmut, der Leiter der Arbeitsgruppe am Roslin-Institut, wird manchmal als Dollys Vater bezeichnet. Sein Schaf Dolly hat ihm jede Menge Ärger und Stress bereitet. Heute ist Ian Wilmut im Ruhestand.
"Das bringt viel Gutes mit sich. Ich glaube, wenn ich in 50 Jahren zurückblicken könnte, würde ich immer noch stolz sein auf das, was wir geleistet haben. Denn es hat der Welt mehr Nutzen gebracht als Schaden."
Meine Bilanz nach 25 Jahren fällt ernüchternd aus. Mediziner und Tierzüchter hatten mehr erwartet - Ethiker und Medien mehr befürchtet. Heute wissen wir: Klonen von Säugetieren ist möglich, aber es ist eine Technik aus dem letzten Jahrtausend, aus einer Zeit, als es nicht einmal Smartphones gab.
Der wissenschaftliche Hype hielt keine 25 Jahre. Längst hat die Genom-Editierung das Klonen abgelöst. Und bald wird der nächste Durchbruch die Wissenschaft aufmischen.
Und was haben wir gelernt? Biowissenschaftler verstehen jetzt besser, wie Leben funktioniert: Wie altern Zellen? Und wie können sie sich verjüngen? Aber besiegen können sie das Altern immer noch nicht.
Dolly ist tot und bleibt doch das berühmteste Schaf aller Zeiten.