Dienstag, 23. April 2024

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Doping im Fußball
"Nicht unwahrscheinlich, dass es auch in Deutschland passiert"

Das in Deutschland immer wieder angeführte Argument, Doping bringe im Fußball nichts, sei noch nie so richtig treffend gewesen, sagte der Sportmediziner Perikles Simon von der Uni Mainz im DLF. Dass es Ärzte wie den britischen Gynäkologen auch in Deutschland gebe, sei sehr wahrscheinlich.

Perikles Simon im Gespräch mit Doris Simon | 04.04.2016
    Der Sportwissenschaftler Perikles Simon von der Universität Mainz.
    Der Sportwissenschaftler Perikles Simon von der Universität Mainz. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Mit dem Anti-Doping-Gesetz habe man erst seit einigen Monaten eine wirksame Waffe zur Bekämpfung von Doping. Strukturmaßnahmen, die Doping verhindern könnten, gebe es allerdings wenige.
    "Der Fall wird früher oder später kommen", ist sich Simon sicher. Er empfiehlt: möglichst viele Fälle ermitteln, die betreffenden Sportler sperren und die Hintermänner aus dem Verkehr ziehen. Verschärfte Tests brächten nur bedingt etwas, räumte Simon ein. Bei dem hohen Niveau des Dopings sei es schwer, entsprechende Nachweise zu führen.
    Dass der Fußball so lange aus der Dopingdiskussion herausgehalten werden konnte, sei auch der Tatsache geschuldet, dass man eine Entzauberung der populärsten Sportart in Deutschland nicht wollte, unterstrich Simon. "Es sieht schon so aus, dass wir es nicht richtig wissen wollten".
    Nach den Enthüllungen, dass ein Londoner Arzt 150 Top-Athleten unterschiedliche Dopingmittel verordnet haben soll, wird jetzt auch über Doping im Fußball diskutiert - betroffen waren auch Fußballer der Premier League.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Dopingfälle kennt man aus vielen Disziplinen, frei davon blieb anscheinend nur der liebste Sport der Deutschen, der Fußball. So hat man jedenfalls bisher gedacht. Alle Hinweise und Verdachtsfälle bis dahin wurden abgebürstet mit dem Argument, im Fußball bringt Doping einfach nichts. Das sieht man aber, wie wir gerade gehört haben, eben teilweise anders, in Großbritannien mit den Stars, die sich gedopt haben sollen.
    Jetzt kommen wir zu Professor Perikles Simon, er beschäftigt sich an der Universität Mainz als Sportmediziner und Molekularbiologe mit Doping, ist am Telefon, guten Morgen!
    Perikles Simon: Guten Morgen!
    D. Simon: Herr Simon, bringt Doping im Fußball also doch was?
    P. Simon: Ja, im Prinzip bringt es was. Man muss allerdings aufpassen, dass man die Leistung der Spieler richtig einschätzt. Es handelt sich halt jetzt bei der Ersten Liga in Deutschland oder in Großbritannien um die besten 800 Spieler des Landes, Ausländer jetzt mal mitgerechnet großzügig, das ist eine andere Situation, als wenn ich über die Top drei eines Landes spreche.
    D. Simon: Das heißt, bringt es was für die Top drei oder für die ersten 800?
    P. Simon: Erfahrungsgemäß sammelt sich dann schon Doping an der Spitze einer Sportart. Wenn Sie jetzt sehen, Nummer 800 Deutschlands im 5.000-Meter-Lauf, da würden wir jetzt auch denjenigen nicht verdächtigen, dass der dopt.
    Es ist im Prinzip schon auch noch relevant, auf welchem Niveau dieses Doping begangen wird. Und ich sage mal so, bei der Nummer 800 in Deutschland handelt es sich im Prinzip formal nicht um einen absoluten Spitzensportler.
    "Es gibt relativ wenige Strukturmaßnahmen, die so etwas verhindern würden"
    D. Simon: Wie unterschiedlich ist denn die Situation in England und Deutschland? Oder anders gefragt, wie wahrscheinlich ist es, dass sich auch in Deutschland zum Beispiel Bundesligaspieler bei einem Dopingdoktor versorgen?
    P. Simon: Es ist leider nicht unwahrscheinlich. Es gibt relativ wenige Strukturmaßnahmen, die so etwas verhindern würden. Mit dem Anti-Doping-Gesetz ist es jetzt ein bisschen anders. In Deutschland wäre so ein Arzt wie in Großbritannien in so einer Situation ... würde sich strafbar machen. Der könnte bis zu 15 Jahren Gefängnis bekommen.
    "Dass es solche Ärzte in Deutschland auch gibt oder gab, ist hoch wahrscheinlich"
    D. Simon: Hält so was denn ab?
    P. Simon: Ich denke, schon. Das darf man nicht unterschätzen. So offen wie der Herr Bonar in Großbritannien könnte man sich da gar nicht äußern, das wäre ja völlig verrückt.
    Es ist auch allerdings eine Maßnahme, die es erst seit ein paar Monaten gibt, da müssen wir auch aufpassen. Ich denke mal, in der Vergangenheit hat es uns nicht geschützt und andere Strukturmaßnahmen sehen nicht anders aus als in Großbritannien. Das heißt also, dass es solche Ärzte in Deutschland auch gibt oder gab, ist hoch wahrscheinlich.
    D. Simon: Und dass sich Bundesligaspieler mit Doping versorgen, ist auch wahrscheinlich?
    P. Simon: Das halte ich für nicht unwahrscheinlich. Allerdings muss man eben, was das Flächendeckende angeht, einschränken und sagen: Es hat nicht jeder Fußballspieler das nötig, zumal nicht auf dem physischen Niveau, auf dem er sich momentan befindet. Also, da gibt es durchaus Maßnahmen außerhalb von Doping, die die Leistung hochbringen können im Fußball noch. Und anders sehe ich das in den absoluten Spitzen der jeweiligen Sportarten, also auch im Fußball.
    D. Simon: Wieso hat es denn, wenn Sie das so darstellen, der Fußball in Deutschland geschafft, sich doch so lange so locker rauszunehmen aus der Doping-Debatte?
    P. Simon: Ach, die gab es immer wieder, das hatten wir jetzt im Zusammenhang mit der Sportmedizin in Freiburg auch, dass man gesagt hat, damals in den 80ern gab es eventuell schon eine Beteiligung vom Fußball, wenn man sich auch streitet, wie stark die überhaupt ausgeprägt war. Es haben sich dann auch Mannschaftsärzte gemeldet, die das bestätigt haben. Also, so gesehen gab es die Diskussion schon, aber man möchte eigentlich keine Konsequenzen daraus ziehen.
    "Doping würde die Sportart schon entzaubern"
    D. Simon: Warum nicht?
    P. Simon: Ja, ich habe das Gefühl, Doping würde eben die Sportart schon entzaubern. Das hat es bei anderen Sportarten wie beim Radsport auch schon getan, da hat man dann selber schon fast den Impuls, das möchte man gar nicht. Viele Anti-Doping-Kämpfer möchten das vielleicht auch gar nicht. Also, ich denke mal, wenn man dem Fußball zu Leibe rücken wollte, müsste man aber auch eher über die Schiene kommen, dass man eben Intelligence einsetzt, also Ermittlungen einsetzt und nicht über Anti-Doping-Tests.
    "Verschärfte Test sind nicht der Königsweg"
    D. Simon: Herr Simon, bleiben wir noch einen kleinen Augenblick noch mal bei den Gründen, warum man das bei uns vielleicht nicht ganz so offensiv geführt hat, Doping und Fußball. Die Älteren erinnern sich ja noch und Sie deuteten es an, an Toni Schumacher, den früheren Nationaltorwart, der hat ja schon vor 24 Jahren in einem Buch ganz deutlich auf Doping hingewiesen.
    Dann gab es einen Aufruhr, der ganze Aufruhr hat sich aber gegen Schumacher gerichtet und nicht gegen das Doping im Fußball. Wollen wir das gar nicht so genau wissen bei unserem Lieblingssport?
    P. Simon: Ja, es sieht schon so aus. Das wundert einen ehrlich gesagt nicht. Was überrascht, ist, dass jetzt die Amerikaner beispielsweise in so Sportarten wie Baseball deutlich früher dran waren. Also, die haben schon über zehn Jahren über einen Skandal dann eben mitbekommt, dass auch diese Sportart, die so komplex ist, nicht rein ist.
    Man muss sich dann nur überlegen, was macht man denn überhaupt? Und ich denke schon, verschärfte Tests im Moment sind nicht der Königsweg, dafür haben wir zu schlechte Möglichkeiten, Hightech-Doping, also Doping, was sich eben Fußballer durchaus leisten können, nachzuweisen. Das heißt, es gibt auch ein gewisses Problem, selbst wenn man jetzt vermutet, dass es im Fußball was zu tun gibt für den Anti-Doping-Kampf, weiß man nicht so richtig, was.
    D. Simon: Wenn Sie sagen, verschärfte Tests sind nicht der Weg und es gibt keinen Königsweg, was sollte man denn dann tun? Oder weiter zuschauen?
    P. Simon: Nein, also, ich denke, das mit dem Anti-Doping-Gesetz war jetzt ein ganz wichtiger Punkt. Man muss eben jetzt, wenn man so einen Fall hätte wie in Großbritannien, richtig dranbleiben, nicht lockerlassen, möglichst viele Fälle daraus ermitteln, Sportler dann auch sperren und vor allem die Hintermänner des Dopings aus dem Verkehr ziehen, sodass es auch wirklich eine Art Warnungscharakter hat und so was nicht um sich greift.
    "Es wird früher oder später diesen Fall auch in Deutschland geben und dann muss man einfach gründlich arbeiten"
    D. Simon: Nun haben wir so einen Fall nicht in Deutschland. Was kann man dann tun?
    P. Simon: Also, der Fall wird früher oder später kommen, das ist für mich nur eine Frage der Zeit. Ich denke jetzt, mit Meldonium und diesem Londoner Arzt, aber auch mit den Doping-Skandalen der Vergangenheit ist relativ schnell klar geworden, dass auch in Deutschland Probleme sitzen. Wir hatten jetzt im Ringen die Diskussion, dass es auch deutsche Sportler sind beziehungsweise russische Sportler, die in Deutschland in der Bundesliga kämpfen im Ringen, die betroffen sind. Aber es wird früher oder später diesen Fall auch in Deutschland geben und dann muss man einfach gründlich arbeiten.
    "Alle Sportarten haben das Problem"
    D. Simon: Fußball ist ja bei uns der Sport schlechthin, Breitensport, Spitzensport, fast jeder Jugendliche, jedes Kind hat einen Fußballgott. Wie problematisch ist das, wenn da jetzt die Doping-Debatte und möglicherweise auch Dopingfälle in Deutschland reinkommen?
    P. Simon: Ich glaube, dass es nicht problematisch ist. Alle Sportarten haben das Problem, ob Sie jetzt da Eisstockschießen nehmen oder 5.000-Meter-Lauf, so unterschiedlich ist das gar nicht. Man soll es kaum glauben, aber es gibt einfach mit den modernen Möglichkeiten der Pharmakologie so viele Chancen, die Leistung zu steigern, dass die Leute nun mal darauf zurückgreifen. Das ist völlig natürlich und normal. Was wichtig ist, ist, dass dieser Kampf nicht völlig verlogen läuft und aus dem Ruder läuft. Also, es geht ja sogar so weit, dass Wissenschaftler ihre Ergebnisse nicht publizieren dürfen und dass hier einfach der Sport quasi in einer Kapsel lebt in gewisser Weise.
    Und das kann so nicht weiterlaufen. Natürlich ist es ein Multimillionendollargeschäft, natürlich muss man auch dort etwas gegen Manipulation und Verbrechen tun. Und sobald das eben etwas stärker ausgeprägt ist, steigen auch die Immunkräfte des Sports wieder und der Sport bleibt einfach wieder eine schöne Nebenbeschäftigung.
    D. Simon: Doping im Sport und ganz besonders im Fußball, das war Professor Perikles Simon von der Universität Mainz. Herr Simon, vielen Dank!
    P. Simon: Bitte.
    D. Simon: Wiederhören.
    P. Simon: Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.