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Doping in Westdeutschland
Ein noch immer verkanntes Problem?

Doping in Westdeutschland seit den 1960er-Jahren war heute Thema im Sportausschuss des Bundestags. Ehemalige Sportler und Wissenschaftler waren geladen: Sie beklagen, dass das Problem bis heute noch nicht ernst genommen werde. Und sie machen der Politik schwere Vorwürfe.

Von Daniela Siebert | 28.06.2017
    Der deutsche Diskuswerfer Alwin Wagner hält sein Sportgerät bei der Leichathletik-EM 1986 in Stuttgart in der Hand.
    Der deutsche Diskuswerfer Alwin Wagner, hier bei der Leichtathletik-EM 1986 in Stuttgart, hat Doping während seiner aktiven Laufbahn zugegeben. Er war im Bundestags-Sportausschuss zu Gast. (imago sportfotodienst)
    Um 14 Uhr begann die Sitzung des Sportausschusses. Wieder einmal: nicht öffentlich. Sämtliche Reporter mussten draußen bleiben. Ein Unding - kritisiert auch André Hahn, der für die Fraktion Die Linke im Ausschuss sitzt.
    "Wir haben hier vier Stunden in diesem Sportausschuss diskutiert über Doping in Russland. Öffentlich. Und diese hochspannende Sitzung wird nicht öffentlich abgehalten, ich halte das für falsch."
    Außerdem moniert er, erkrankte westdeutsche Dopingopfer würden keinerlei Unterstützung kriegen, die ehemaligen Athleten der DDR schon. Das missfällt auch Alwin Wagner. Der 66-Jährige war heute als Zeitzeuge in den Ausschuss geladen. Der ehemalige Diskus-Werfer hatte Dopingmissbrauch zugegeben. Viele andere täten das bis heute nicht.
    Wagner: viele Leichen im Keller
    "Es sind sehr viele Leichen im Keller, es gibt ganz wenige Leute, die wie ich zum Beispiel das als Aktive gesagt haben, was sie genommen haben, aber ich sage, hab's auch heute gesagt: dass Leute zum Beispiel, die eine Medaille gewonnen haben und immer noch sagen, sie sind dopingfrei gewesen, nach den 30, 40 Jahren, wo sie gelogen, betrogen, manipuliert haben, dass sie jetzt mit der Wahrheit rausrücken, ist unwahrscheinlich."
    Auch in Westdeutschland hätten die Sportler nicht einsam und allein gedopt, erklärte er den Politikern. In das System seien auch Ärzte, Verbandsfunktionäre und Politiker verstrickt gewesen.
    Der Mainzer Sportwissenschaftler und Doping-Experte Andreas Singler erörterte den Abgeordneten hinter verschlossenen Türen, welche Rolle die Sportmediziner an der Universität Freiburg über Jahre im bundesdeutschen Doping gespielt hatten. Insgesamt hätten aber in dieser Frage viele Institutionen - nicht nur in Freiburg - und die Politik versagt.
    Hat die Politik das Problem nie verstanden?
    "Insgesamt, glaube ich, hat die Politik das Doping-Problem nie verstanden, in der Größenordnung, auch in der Brutalität, mit der Doping auch auf die Psyche einzelner Menschen, einzelner Sportler einwirkt. Für die DDR ist man geneigt, das so anzunehmen, dass das auch im Westen eine sehr ernste Angelegenheit war, das haben viele Abgeordnete bis heute nicht verstanden. Einzelne verstehen das, glaube ich, sehr gut."
    Sehr wohl verstanden hatten die Parlamentarier nach der Sitzung, dass auch heute gegen Doping mehr getan werden sollte. Özcan Mutlu von den Grünen schlug vor, auch in diesem Bereich Whistleblower besser zu schützen, ebenso wie André Hahn plädiert er dagegen, die Spitzensportler so sehr auf einen Medaillengewinn zu fixieren. Mehrere Abgeordnete, darunter auch der ehemalige Spitzenturner und CDU-Politiker Eberhard Gienger, sehen auch mehr Geld für WADA und NADA und mehr Prävention auf der To-Do-Liste.