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Dopingskandal Fuentes
Unbekannte Blutbeutel

2006 schreckte die spanische Polizei den gesamten Radsport auf. Die Guardia Civil nahm den damaligen Teamarzt der Radsportmannschaft Liberty Seguros, Eufemiano Fuentes fest und beschlagnahmte zudem mehr als 200 Blutbeutel. Bis heute ist nicht bekannt, von wem das Blut in den Beuteln stammt. Jetzt sollen die Blutbeutel sogar vernichtet werden.

Von Hans-Günter Kellner | 11.06.2016
    Ein Filmmitschnitt des spanischen Innenministeriums zeigt einen beschlagnahmten Blutbeutel bei der Razzia im Zuge der "Operacion Puerto"
    Ein Filmmitschnitt des spanischen Innenministeriums zeigt einen beschlagnahmten Blutbeutel bei der Razzia im Zuge der "Operacion Puerto" (picture-alliance / dpa / dpawe)
    Lockere Atmosphäre im Olympiastützpunkt Madrid, Lautsprecher unterhalten die Athleten auf der Laufbahn mit Musik. Die Läufer diskutieren aber auch, etwa über die Blutbeutel von Dopingarzt Eufemiano Fuentes.
    Jesús España erinnert sich an dessen Festnahme vor zehn Jahren: "Das war ein Schock. Mehr als 200 Blutbeutel wurden sichergestellt! Scheinbar ging es immer nur um Radsportler. Aber im Fernsehen war auch der Kalender von Eufemio Fuentes zu sehen. Dort war der August rot angekreuzt. Es waren genau die Wochen der Leichtathletik-Europameisterschaft in Göteborg! Wenn dieser Arzt diese Termine markiert hat, dann hat er auch Leichtathleten unter seinen Kunden."
    Doping war 2006 in Spanien noch keine Straftat
    Leichtathleten traten damals nach der Festnahme ihres Arztes in Göteborg womöglich nicht an und ermöglichten ihm so den Europameistertitel über 5.000 Meter, spekuliert der Leichtathlet heute, der diesmal in Rio beim Marathon antritt. Er kann es aber nur vermuten.
    Denn auch zehn Jahre nach der Festnahme von Fuentes ist immer noch nicht bekannt, welchen Athleten das Blut in den Beuteln gehört, die bei dem Arzt sichergestellt wurden. Mehr noch, die Richterin in dem Fall hatte die Zerstörung der Blutbeutel angeordnet. Denn Doping war 2006 in Spanien noch keine Straftat.
    Spanische Sportler fühlen sich unter Generalverdacht
    Aber gerade deshalb fühlen sich spanische Sportler oft unter Generalverdacht gestellt. "Diese Spekulationen sind nicht gut. Man muss wissen, wer damit in Verbindung steht und wir, die sauberen Sportler, wären dann nicht immer diesen Verdächtigungen ausgesetzt. Darum sollen die Blutbeutel unbedingt analysiert werden. Auch wenn diese Dinge inzwischen verjährt sind oder nicht als Straftaten zu behandeln sind. Es soll wenigstens bekannt werden, was passiert ist".
    España erhebt die Forderung nicht alleine. Die Gruppe habe ihn zum Sprecher bestimmt, weil ihm - einem der bekanntesten Leichtathleten Spaniens - niemand vorwerfen könne, er wolle sich ins Gespräch bringen.
    Vorwürfe gegen den Verband
    Schwere Vorwürfe richtet Jesús España auch gegen den spanischen Leichtathletikverband und dessen Vorsitzenden José María Odriozola. Er hatte die 2015 vom Internationalen Sportgerichtshof 2015 für drei Jahre gesperrte Leichtathletin und Fuentes-Kundin Marta Domínguez lange gegen Dopingvorwürfe verteidigt: "Da hat er sich die Hände verbrannt. Aber das war nicht das Schlimmste. Er sagte ja auch, der Biologische Pass wäre nicht zuverlässig bei der Ermittlung von Dopingtätern. Dabei gibt es überhaupt nichts Besseres. Wer weiß von welchen Interessen er da gelenkt wurde. Er hat dem spanischen Sport sehr geschadet. Sie haben gedopte Sportler aus dem Ausland als Trickser beschimpft und die aus dem eigenen Land als Opfer einer Verschwörung behandelt. So geht das nicht."
    Doch es hat sich auch viel geändert in Spanien. Nicht nur die Athleten fordern nun ein energischeres Vorgehen. Das Land hat nun auch eine eigene, von den Sportverbänden unabhängige Antidoping-Agentur. Ihr Chef ist der Polizist, der die Untersuchung gegen Eufemio Fuentes geleitet und den Arzt vor zehn Jahren auch verhaftet hatte: Enrique Gómez Bastida.
    WADA hat Madrider Labor die Zulassung entzogen
    Auch er hofft, dass ein Berufungsgericht die Blutbeutel endlich zur Analyse freigibt: "Welche Botschaft senden wir an die Sportler, wenn wir jetzt einen Schlussstrich ziehen? Wenn wir einfach nur sagen, ab jetzt läuft alles andere? Kein Sportler darf den Eindruck haben, dass mit der letzte Dopingkontrolle nach seinem letzten Wettkampf für ihn das Thema beendet ist. Die Analyseverfahren werden ja immer besser, wir können auch alte Proben erneut testen. Denn wir müssen die ganze Wahrheit kennen. Um Doping vorzubeugen, unsere Sportler dagegen zu schulen und um zu wissen, was in unserem System nicht funktioniert."
    So überzeugend das klingt, Gomez Bastida hat noch weitere Probleme. Die Welt-Anti-Doping-Agentur hat seinem Labor gerade die Anerkennung verweigert. Grund: Spanien hat seine Gesetze nicht dem WADA-Code angepasst. Die von der Politik angeführte Entschuldigung, dass Spanien seit einem halben Jahr keine Regierung hat, will die WADA nicht gelten lassen. Das Land habe dafür zwei Jahre Zeit gehabt. Blutproben aus Spanien sollen nun an der Sporthochschule Köln analysiert werden.
    Jesús España schüttelt angesichts der Leichtfertigkeit der Politiker im Umgang mit dem Thema Doping den Kopf: "Schon als sich Madrid um die Austragung der Olympischen Spiele für 2020 bewarb, waren wir beim Thema Doping wenig überzeugend. Wenn jemand Müll zu Hause hat, bringt er den doch auch raus zum Mülleimer. Niemand versteckt den Müll in der Wohnung, sonst stinkt das ganze Haus. Dabei ist unsere Sportwelt gesund. Wir wollen positive Werte vermitteln, statt immer über das Selbe reden zu müssen."