Mittwoch, 31. Mai 2023

Dopingverdacht gegen russische Eiskunstläuferin
Worum es im Fall Kamila Walijewa geht

Die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa gilt als Wunderkind. Bei den Olympischen Spielen gewann sie Gold mit der Mannschaft. Danach wurde bekannt, dass sie vor den Spielen positiv auf eine Dopingsubstanz getestet wurde. Anfang 2023 hat die RUSADA auf eine Sperre verzichtet, die Welt-Anti-Doping Agentur möchte Berufung einlegen. Ein Überblick.

Von Olivia Gerstenberger und Jessica Sturmberg | 21.02.2023

    Die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa mit verzweifeltem Gesichtsausdruck auf dem Eis
    Die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa steht bei den Olympischen Spielen in Peking unter Dopingverdacht (picture alliance/dpa/TASS)
    Bei den olmypischen WInterspielen in Perking galt die damals 15 Jahre alte russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa als Wunderkind des Eiskunstlaufs. Sie beherrscht Vierfach-Sprünge und hatte mit der russischen Mannschaft den Olympiasieg im Teamwettbewerb errungen. Am 25. Dezember 2021 war sie jedoch positiv auf eine verbotene Substanz getestet worden – was erst am 8. Februar 2022 herauskam, einen Tag nach der Entscheidung im Teamwettbewerb. Nach einem Urteil des internationalen Sportgerichtshofs CAS durfte Walijewa am olympischen Einzelwettbewerb teilnehmen. Anfang 2023 hat die RUSADA entschieden keine Sperre gegen Walijewa zu verhängen – wogegen die Welt-Anti-Doping Agentur WADA sowie die internationale Eislaufunion ISU jetzt vor dem CAS Berufung einlegen.
    Junge Athleten und Athletinnen müssten vor Doping geschützt werden und dafür brauche es bei Dopingvergehen auch Sanktionen. Mit diesen Worten begründet die ISU in einer am 22.02.23 veröffentlichten Pressemitteilung ihre Entscheidung analog zur Wada ebenfalls Berufung gegen den Freispruch von Walijewa einzulegen. Dabei fordert die ISU eine ab dem 25. Dezember 2021, dem Tag ihres positiven Dopingtests, rückwirkende Sperre Walijewas sowie die Aberkennung aller Medaillen, Punkte und Preise in diesem Zeitraum. Zudem solle der CAS den Fall neu bewerten und auch das endgültige Ergebnis des Eiskunstlauf-Teamwettbewerbs der Peking-Spiele ermitteln, über das bis heute nicht offiziell entschieden ist.

    Was war nach dem Olympiasieg über Kamila Walijewa bekannt geworden?

    Kamila Walijewa ist am 25. Dezember 2021 positiv auf eine verbotene Substanz getestet worden - das Herzmittel Trimetazidin. Das hat die vom Internationalen Olympischen Komitee beauftragte Internationale Testagentur ITA am 11. Februar offziell bekannt gegeben.
    Laut ITA ist die Probe während der russischen Eiskunstlauf-Meisterschaft genommen worden und dann in einem Labor in Stockholm untersucht worden.
    Offenbar ist das Ergebnis aber erst dann bekannt geworden, als der olympische Teamwettbewerb am 7. Februar beendet worden war. Walijewa hatte dort mit dem russischen Team vor den USA und Japan gewonnen. Walijewa stand dabei als erste Frau überhaupt bei Olympischen Spielen Vierfachsprünge.

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    Als Grund für die Verzögerung nennt die RUSADA Corona-Fälle im schwedischen Labor. Die WADA behauptet, dass die RUSADA es versäumt habe, die Proben als dringlich zu deklarieren.

    Was für eine Substanz ist Trimetazidin?

    Trimetazidin ist ein Herzmedikament. Es ist ein Stoffwechsel-Modulator, der die Ausdauer und den Blutfluss steigern kann. Auch bei der russischen Bobfahrerin Nadescha Sergejewa wurde bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang Trimetazidin entdeckt. Zudem war der chinesische Schwimmstar Sun Yang 2014 mit dem Mittel erwischt und für drei Monate gesperrt worden.

    Welche Konsequenzen hat es für Walijewa gegeben?

    Als die RUSADA von dem positiven Test erfahren hat, hat sie Walijewa laut ITA zunächst vorläufig suspendiert. Die Siegerehrung zum Teamwettbewerb wurde daraufhin erst einmal verschoben. Walijewa legte gegen diese Suspendierung Einspruch ein. Die RUSADA nahm die Suspendierung daraufhin zurück.
    Der Internationale Sportgerichtshof CAS entschied dann nach einem Eilverfahren, dass die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa erst einmal am Einzel-Wettbewerb teilnehmen durfte. Einer der Gründe für die Entscheidung ist auch hier das Alter der Athletin. Zudem begründete der CAS seinen Beschluss damit, dass es aufgrund einer unklaren Beweislage und der Verzögerungen bei der Auswertung des Dopingtests unfair wäre, der Russin eine Teilnahme am Damen-Einzel zu verwehren.

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    Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA zeigte sich enttäuscht über die Entscheidung. In einem Statement heißt es: "Das CAS-Panel scheint beschlossen zu haben, die Bestimmungen des Codes nicht anzuwenden, die keine spezifischen Ausnahmen in Bezug auf obligatorische vorläufige Suspendierungen für 'geschützte Personen', einschließlich Minderjähriger, zulassen."

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    Die Einzel-Entscheidung wurde dann zu einem Drama. Führte Walijewa nach dem Kurzprogramm noch die Gesamtwertung an, zerbrach sie in der Kür am Druck aufgrund des Dopingverdachts. Die Russin zeigte mehrere Fehler und Stürze und wurde am Ende Vierte. Olympiasiegerin wurde Weltmeisterin Anna Schtscherbakowa (255,95 Punkte) vor ihrer Landsfrau Alexandra Trussowa (beide Russisches Olympisches Komitee) und der Japanerin Kaori Sakamoto.

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    Sie alle erhielten nach dem Wettbewerb ihre Medaillen. Für den Fall, dass Walijewa eine Medaille gewonnen hätte, hatte das IOC angekündigt, dass es keine Siegerehrung gegeben hätte.

    Was hat die RUSADA Anfang 2023 entschieden?

    Ende Januar 2023 hat die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA entschieden, keine Sperre gegen die mittlerweile 16-Jährige zu verhängen. Zwar habe Walijewa gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen, es sei aber keine "Schuld und Fahrlässigkeit" festgestellt worden. Gleichzeitig entzog die RUSADA ihr aber den Titel der russischen Meisterschaft im Eiskunstlauf 2021.
    Eine Entscheidung, die bei Doping-Experten, aber auch beim US-Anti-Doping-Verband für Kritik sorgte: Die WADA und der Eislauf-Weltverband ISU müssten "gegen diese Entscheidung Berufung einlegen, um die Glaubwürdigkeit des Anti-Doping-Systems und die Rechte aller Athleten zu wahren", sagte der USADA Chef Travis Tygart im Januar.
    Ende Februar hat die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA tatsächlich Beurufung gegen die RUSADA-Entscheidung vor dem internationalen Sportgerichtshof CAS eingelegt. Sie fordert eine vierjährige Sperre für Walijewa und die Aberkennung aller Ergebnisse ab dem 25. Dezember 2021 - dem Tag, an dem sie die Probe abgab. Davon betroffen wäre das olympische Team-Gold von Peking.

    Welche möglichen Erklärung gibt es für den positiven Dopingtest?

    Für viele Beobachter ist Walijewa Opfer eines unbelehrbaren Systems und kriminellen Umfelds und keine eiskalte Betrügerin. Dennoch wird sie sich für die verbotene Substanz Trimetazidin verantworten müssen.
    Laut dem Vorsitzenden der IOC-Disziplinarkommission, Denis Oswald, hatten Waljewas Anwälte bei der CAS-Anhörung auf die Kontamination mit einem Medikament ihres Großvaters verwiesen. "Es ist wahr, dass dieses Mittel etwas seltsam ist, vor allem für ein Mädchen in ihrem Alter", sagte Oswald bei einer Pressekonferenz des IOC am 15.02.
    "Aber solange wir nicht genau wissen, was passiert ist, ist es schwierig, ein Urteil zu fällen." Sein Eindruck sei deshalb, dass der Fall in "keinem Zusammenhang" zum "institutionalisierten Staatsdoping" in Russland stehe.
    Laut New York Times wurden in der Dopingprobe Walijewas sogar drei Substanzen zur Behandlung von Herzproblemen entdeckt - eine verbotene und zwei erlaubte. Das gehe aus einem Dokument hervor, das bei der Anhörung um die Starterlaubnis der Russin im Einzelwettbewerb der Winterspiele in Peking vor dem CAS vorgelegt worden war.
    Russische Medien berichteten, Walijewa habe angeblich aus demselben Glas wie ihr Opa getrunken. Ihre Mutter sagte, Walijewa nehme die Substanz Hypoxen gegen Herzrhythmusstörungen. Zudem tauchte in der Analyse L-Carnitin auf, das gegen Durchblutungsstörungen helfen kann.

    Wie reagierte Russland?

    Das Russische Olympische Komitee Russland (ROC) sprach nach dem CAS-Urteil von der "besten Nachricht des Tages". Und: "Das ganze Land wird Kamila Walijewa und auch alle anderen unserer wundervollen Eiskunstläuferinnen unterstützen."
    Zuvor hatte das ROC den positiven Test im Dezember infrage gestellt. "Die Verzögerungen bei der Analyse der Probe werfen ernsthafte Fragen auf", sagte ROC-Chef Stanislaw Posdnjakow der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti: "Es scheint, dass jemand die Probe bis zum Ende des Mannschaftswettbewerbs zurückgehalten hat."
    Er verweist zudem auf zwei negative Dopingtests der Athletin aus dem Januar bei der EM und während der Spiele in Peking. Der Kreml stellte sich während der Spiele ebenfalls "auf ganzer Linie" hinter die Sportlerin.

    Welches Licht wirft der Fall auf die russischen Athleten?

    Wenn sich der Dopingverdacht bestätigt, wäre das ein ziemlich brisanter Fall, da es sich dabei um Kinder-Doping handele, sagte Doping-Experte Hajo Seppelt am 10. Februar 2022 im Deutschlandfunk. Zudem könne der Fall zeigen, "dass die Kultur der Manipulation des Sportbetrugs in Russland noch lange nicht vorbei ist", so Seppelt. In einem Land wie Russland, indem eine jahrzehntelange Kultur des Sportbetrugs herrschte, sei dies nicht von heute auf morgen zu ändern.
    Doping-Experte Hajo Seppelt zu Fall Walijewa
    Die russische Mannschaft tritt auch bei diesen Winterspielen in Peking als Russisches Olympisches Komitee an. Flagge und Nationalhymne sind wie bei den Sommerspielen von Tokio 2021 verboten - als Folge des massiven Dopingskandals bei den Winterspielen 2014 in Sotschi.
    Welche Auswirkungen könnte der Fall haben?
    Generell halten Dopingexperten die Entscheidung, dass Walijewa im Einzelwettbewerb starten durfte, für richtig. ARD-Experte Seppelt sagte, es laste ein unfassbarer Druck auf der Jugendlichen. Sie sei auch in ihrem jungen Alter nicht in der Lage, die Folgen des Dopings abzuschätzen. Sie wüsste wahrscheinlich gar nicht, was Trimetazidin sei.
    Seppelt wertet den Fall zugleich als schallende Ohrfeige für das Anti-Doping-System. Auch Sportrechtsanwalt Michael Lehner sieht die vorläufige Teilnahme von Kamila Walijewa am Einzel-Wettbewerb als richtig an und die Aufklärung solle anschließend erfolgen. Es sei "gerechter so herum". Und wichtig sei - bei entsprechender Beweislage - das Umfeld hart zu bestrafen.
    Sportanwalt Michael Lehner: Leistungssport unter 16 Jahren ist Kindesmissbrauch
    Minderjährige könnten in solchen Fällen nie zur Verantwortung gezogen werden. Auch deshalb forderte Lehner im Dlf-Interview eine Altersgrenze bei den Olympischen Spiele von 16 Jahren. Ihm täten sie Sportlerinnen und Sportler leid, die ihre Kindheit für den Sport hergäben und als Erwachsene oft schwere Schicksale als Folge erleiden würden. Michael Lehner ist auch Vorsitzender der Doping-Opfer-Hilfevereins DOH.
    In den USA werden indes Rufe lauter, mögliche Verantwortliche des Doping-Vergehens nach dem sogenannten „Rodchenkov Act“ zur Verantwortung zu ziehen, erklärt SZ-Journalist Thomas Kistner. Dabei geht es weniger um eine Verfolgung der Sportler, als um die Verfolgung der Hinterleute.
    Das noch recht junge Gesetz, benannt nach dem russischen Whistleblower Grigorij Rodtschenkow, der maßgeblich an der Aufdeckung des russischen Staatsdopings von Sotchi beteiligt war, stellt Doping bei internationalen Großevents unter Strafe. Es zielt dabei auf Events, an denen US-amerikanische Firmen etwa als Sponsoren beteiligt sind und betrifft damit praktisch alle sportlichen Großevents. Eine weltweite Verfolgung ist dann die Folge.
    Auf Verstöße gegen den „Rodchenkov Act“ stehen bis zu eine Million Euro Geldstrafe und bis zu zehn Jahren Haft. Verdächtige, die sich den Verfahren entziehen oder auch Personen und Organe, die in Abwesenheit verurteilt werden, müssen Länder meiden, die Auslieferungsabkommen mit den USA haben, erklärt Thomas Kistner weiter.
    Dass der „Rodchenkov Act“ im Fall Walijewa greifen sollte, findet unter anderem USADA-Chef Travis Tygart. Sofern ein Arzt, Trainer oder Funktionär dafür verantwortlich sei und Walijewa das starke Herzmittel nicht selbst erworben habe, passe das Gesetz wie angegossen, so Tygart gegenüber dem Nachrichtensender CNN.
    Quellen: Hajo Seppelt, IOC, ITA, RUSADA, sid, dpa