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Drago Jančar: "Wenn die Liebe ruht“
Der Krieg bezwingt alles

In "Wenn die Liebe ruht" zeichnet Drago Jančar ein ausgesprochen düsteres Bild. Was Sonja oder ihr Freund Valentin auch tun – die Umstände gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zwingen sie zu Handlungen, die ihnen zuwider sind. Am Ende bleibt nur Resignation.

Von Birgit Koß | 30.09.2019
Der Schriftsteller Drago Jančar und sein Roman „Wenn die Liebe ruht“
1948 in Maribor in der Südsteiermarkt geboren, wurde Drago Jančar 1974 wegen "publizistischen Ungehorsams" inhaftiert und zählt heute zu den bedeutendsten Autoren Sloweniens. (Zsolnay Verlag)
Mit der Beschreibung einer Fotografie eröffnet Drago Jančar seine Geschichte und erweist sich gleich als Meister der kleinteiligen, genauen Beobachtung, die dann in eine größere Erzählung mündet. Auf dem Foto sind unter anderem ein junges Mädchen im Karorock und ein Mann in Uniform zu sehen. Es handelt sich um die junge Medizinstudentin Sonja und den SS-Obersturmbannführer Ludwig Mischkolnig. Sie hatte ihn als 12jährige in Nordslowenien beim Skilaufen kennengelernt, damals hieß der deutschstämmige Slowene noch Ludek.
Inzwischen schreibt man das Jahr 1944. Vor drei Jahre ist die deutsche Wehrmacht in das Königreich Jugoslawien eingefallen und hat die Obersteiermark zwangseingedeutscht. In seinem Roman "Wenn die Liebe ruht" schildert Drago Jančar, wie die große Liebe zwischen Sonja und ihrem Freund Valentin durch das Eingreifen von Ludek oder, weiter gefasst, durch die Umstände des Krieges zerstört wird. Dabei erzählt Jančar seine Geschichte nicht linear, sondern setzt zwischen die kleinen Episoden der handelnden Personen einen allwissenden Erzähler. Mit seiner Hilfe werden geschickt Geschehnisse aus der Vergangenheit, aber auch der Zukunft ins Licht gerückt, so dass der Roman weit über den eigentlichen Handlungsspielraum der Jahre 1944 bis 46 hinausreicht. Kurz vor Beginn des Krieges kehrt der Erzähler zum Beginn der Liebesgeschichte zwischen Sonja und Valentin zurück. Die beiden glauben an die Unverbrüchlichkeit ihrer Liebe, zitieren Liebesgedichte in ihren Briefen. Sonja studiert Medizin in Graz. Valentin ist Geodät in Ljubljana.
"...er wird zurückkehren, er wird zurückkehren, die Zugräder rattern über die Brücke, auch ich werde zurückkehren, sie würden sich finden, die Liebe überwindet jegliche Distanz, die Liebe überwindet alles. Außer den Krieg. Der Krieg bezwingt alles, sogar diejenigen, die sich bekriegen."
Verhängnisvolle Begegnung in Maribor, genannt Marburg
Dargo Jančar zeichnet ein ausgesprochen düsteres Bild. Was immer die einzelnen Figuren tun und welche Entscheidungen sie treffen, die Umstände zwingen sie zu Handlungen, die ihnen zuwider sind. Der Krieg erzeugt Gewalt und Verrat und lässt den einzelnen seine Machtlosigkeit spüren. Auch wer gut sein will, wird schuldig. Dabei schlägt Dargo Jančar weite Bögen und vermeidet es, seine Charaktere schwarz-weiß zu zeichnen. Auch Ludek, inzwischen Ludwig, ist nicht nur der böse Nazi. Der Autor nutzt die Figur, um historische Verwicklungen zu zeigen, Fragen nach der Identität zu stellen.
Nicht nur die Personen, auch Städte und Nationen ändern mit den jeweiligen Machtverhältnissen ihre Namen. Bis zum ersten Weltkrieg gehörte das Gebiet, in dem Jančars Roman spielt, zu Österreich, danach war es das Königreicht Jugoslawien. Nun im Jahr 1944 heißt Maribor Marburg. Hier begegnen sich Sonja, die aus dem nahegelegenen Graz angereist ist und Ludek wieder. Sie bittet ihn, ihren Freud Valentin zu retten, der inzwischen im Gefängnis der Gestapo sitzt und dort schwer gefoltert wird. Ludek, der als Jugendlicher im jugoslawischen Königreich unter seiner Deutschstämmigkeit gelitten hatte, ist inzwischen zu Macht und Ansehen gelangt und aus vollem Herzen Nationalsozialist. Trotz seiner Überzeugung geht Ludek auf die Bitte der attraktiven jungen Frau ein und sie zahlt den zu erwartenden Preis. Obwohl Valentin aus der Haft entlassen wird und Sonja wiedersieht, findet das Liebespaar nicht mehr zueinander.
"Er entfernte sich schnellen Schrittes, er wusste wirklich nicht, wohin er ging, nur nicht dorthin, wo er soeben gewesen war, nur nicht dorthin, von wo sie ihn entlassen hatten, bedingt, wie jener Mann mit dem knochigen Gesicht gesagt hatte, jener Miskolnik, mit dem Sonjas Vater vor dem Krieg am Pohorje Ski gefahren war, auch Sonja war dort Ski gefahren. Er ging von diesem Kastanienbaum für immer weg, zumindest das war ihm klar, er würde nie mehr hierher zurückkehren. Und sie sah ihm nach, wie er die nasse Straße hinunterging, auch sie dachte, er ginge für immer, dass er vielleicht nie wieder zurückkehren würde. Sie hatte ihn gerettet, damit er für immer fortging."
Fluch der guten Taten
Die Trennung geschieht bereits im ersten Drittel des Romans. Damit stellt sich die Frage, ob die Liebe gar keine Chance hat oder doch nicht so groß war? Werden alle liebesfähigen Menschen durch den Krieg deformiert? Das Leben der Protagonisten wird im Laufe der Zeit noch weitaus schwieriger. Den Obersturmbannführer überkommen Zweifel wegen seiner Schwäche für Sonja und Angst vor seinen deutschen Kollegen. Er veranlasst, dass sie deportiert wird. Valentin verschwindet in die nahen Berge und geht zurück zu den Partisanen. Doch statt dort von den alten Kämpfern mit offenen Armen aufgenommen zu werden, erwarten ihn Brutalität und Misstrauen – er könne doch nur ein Spitzel der Gestapo sein. Zum Beweis seiner Loyalität soll er einen Bauern – einen Kollaborateur – erschießen.
"Aber ich werde es tun, ich werde tun, was Vaja will, nicht, weil er es will, sondern weil ich es auch will, Furchtlosigkeit, Wahrheit und Treue, hatte das nicht Mischkolnig gesagt? Valentin goss sich Gift in die Seele. Wut, Hass. Wenn es in ihm keine Wut gab, würde er nicht tun können, was ihm seine Genossen befehlen würden. Was er auch selbst tun wollte."
Brutalität auf beiden Seiten
Eindrücklich beschreibt der Autor die grauenvolle Situation der Partisanen im kalten Winter 1945, wo schon absehbar ist, dass die Deutschen den Krieg verlieren werden, aber trotzdem oder gerade deshalb besonders brutal zurückschlagen. Doch setzt Drago Jačar das Misstrauen der Partisanen untereinander und die daraus resultierenden Ermordungen einiger alt gedienter Kämpfer nicht mit den Methoden der verhassten Gegner gleich? Die Brutalität und das Vorgehen, das er beschreibt, haben erschreckend ähnliche Züge. Trotz all seinem Engagement rettet Valentin schließlich nur die Nachricht, dass Sonja ins KZ deportiert wurde davor als Verräter erschossen zu werden. Im dritten Teil des Romans wird ihr Leiden im KZ Ravensbrück durch eine berührende Begegnung der gebrochenen jungen Frau mit einem Landsmann, der sich bei ihr "erholen" soll, äußerst einfühlsam beschrieben. Danach fasst der allwissende Erzähler das Geschehen zusammen.
Das Sonderprogramm, in dem Sonja Belak aus Maribor mitarbeitete, ehemalige Medizinstudentin der Reichsuniversität Graz, der man nach einer Untersuchung in der Ambulanz erklärte, dass sie mit ihren psychischen und geistigen Dispositionen zum Sieg der deutschen Heimat beitragen würde, die man dort getestet hatte, hieß Maßnahmen zur Steigerung der männlichen Schöpfungskraft. Der Plan umfasste eine Unmenge an genauen Instruktionen, darin wurde unter anderem angeordnet, dass eine Frau zehn Soldaten in einem Zyklus empfangen könne, für jeden habe sie fünfzehn Minuten zur Verfügung.
Schatten des Krieges bis in die Gegenwart
Immer wieder distanziert sich der Autor von der aktuellen Handlung, ändert die Perspektive, lässt den Erzähler das Grauen nochmals zusammenfassen und wieder und wieder fast bis zur Unerträglichkeit auferstehen. Ist das nicht zuviel? Der Roman hört nicht mit dem Kriegsende auf, sondern zeigt auch die Verwerfungen 1946 in Titos neuem Jugoslawien, den Terror der kommunistischen Funktionäre und der OZNA, dem neuen Geheimdienst. Nicht nur der allwissende Erzähler ist resigniert, sondern der ganze Tenor des Romans zeugt von einer tiefen Ausweglosigkeit und Resignation gegenüber den Verhältnissen. Es gibt keinerlei positiven Veränderungen. Der Kreis der Geschichte schließt sich, als am Ende Ludek aus dem Strafgefangenlager Sterntal, wo die neuen Machthaber jeden einsperren, der im Verdacht steht, mit den Deutschen kollaboriert zu haben, ausgerechnet zu der Widerstandkämpferin Katica flieht. Ihr Mann ist von der Gestapo ermordet worden. Beide sind zutiefst verwundet und gezeichnet von ihren Erlebnissen, aber auch einsam und bedürftig nach Nähe. Doch nachdem Katica erfährt, wer der Fremde wirklich ist, kann auch hier die Liebe keine Chance haben – es bleibt bei dem schon viel früher im Roman gezogenen deprimierenden Resümee, "der Krieg bezwingt alles".
Drago Jančar: "Wenn die Liebe ruht"
Aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 395 Seiten, 25 Euro