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Dritte Partei in den USA "durchaus vorstellbar"

Für 57 Prozent der Amerikaner sei das jetzt greifende Spargesetz Ausdruck der Unfähigkeit Washingtons, auf anderem Wege die Ausgaben zu senken, sagt Charles King Mallory. Das Vertrauen der US-Bürger in die Politik schwinde, was zur Entstehung einer dritten Partei führen könne, so der Leiter des Aspen-Instituts in Berlin.

Charles King Mallory im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Verspätete Flüge, vorzeitig entlassene Gefangene, eingeschränkte Wehrfähigkeit – der Rasenmäher beschert vielen öffentlichen Bediensteten in den USA einen unbezahlten Zwangsurlaub. Mit 11 Billionen Dollar sind die USA verschuldet, nur Wachstum könne helfen, sagen die Republikaner und wehren sich vehement gegen die Pläne der Demokraten, die Steuern zu erhöhen. Der Streit währt seit Monaten, gipfelte zunächst im Scheitern der Gespräche zum Jahreswechsel, die Lösung blieb aus. Immerhin gab es eine Vertagung, doch auch diese brachte keinen Erfolg, wie wir nun sehen. Aus Washington berichtet unser Korrespondent Marcus Pindur.

    Keine Einigung also im US-Haushaltsstreit, Marcus Pindur berichtete. Die Demokraten wollen die Steuern erhöhen, die Republikaner die Ausgaben senken – einen Zwischenweg scheint es zumindest in den Verhandlungen nicht zu geben. Am Telefon begrüße ich Charles King Mallory. Der US-Amerikaner ist Direktor des deutschen Aspen-Instituts in Berlin und einer eher konservativen Ausrichtung. Guten Morgen, Herr Mallory!

    Charles King Mallory: Guten Morgen!

    Dobovisek: Ich habe den Eindruck, niemand in den USA ist wirklich unglücklich darüber, was gestern geschehen ist. Die Republikaner wollten, wie gesagt, von vornherein Ausgabenkürzungen statt einer Steuererhöhung, und die Demokraten freuen sich offenbar über den stark beschnittenen Verteidigungsetat. Trügt da mein Eindruck?

    Mallory: Überhaupt nicht, 57 Prozent der Amerikaner teilen diesen Eindruck, die sind der Auffassung, dass ohne diese Sequester Washington einfach strukturell unfähig ist, seine Kosten zu senken. Und inzwischen haben wir 3500 Milliarden Ausgaben, und nur 2500 Milliarden Einkünfte – etwas muss dringend gemacht werden.

    Dobovisek: Die einst vorgeschlagene Rasenmähermethode, die Rasenmäherkürzung, der Sequester, sollte eigentlich den Druck auf Demokraten und Republikaner erhöhen, damit diese zu einer Einigung kommen. War der Druck einfach nicht groß genug?

    Mallory: Ich glaube, das kann man so natürlich sagen, ich glaube, das größere Problem liegt darin, dass die Kompromissfähigkeit beider Seiten eigentlich nicht groß genug ist, und dass das ein strukturelles Problem in Washington in dieser letzten Zeit ist.

    Dobovisek: Was sagt uns dieses strukturelle Problem über das politische System der USA? Müsste daran sozusagen etwas geändert werden, damit solche Situationen nicht wieder auftreten?

    Mallory: Das ist das grundsätzlichere Problem, und das hat auch nicht nur mit dem Budget zu tun. Es hat damit zu tun, dass viele Wahlkreise in den Vereinigten Staaten so konzipiert worden sind, dass sie eine eindeutige Mehrheit der einen oder anderen Partei haben, mit dem Ergebnis, dass Leute, die sich streng an eine Parteilinie halten, nicht bestraft werden, und es auch keine Motivierung gibt, mit der anderen Seite der Politik zusammenzuarbeiten.

    Dobovisek: Wie könnte das verbessert werden?

    Mallory: Na ja, Kalifornien hat eine Kondition eingeführt vor ein paar Jahren, die die sogenannten Wahlkreiskarten aus den Händen der Legislatur genommen hat und einer überparteilichen Kommission übergeben hat, mit ziemlich signifikanten Änderungen in der Komposition der Delegation von Kalifornien im Repräsentantenhaus. Es ist noch abzuwarten, ob das das nötige Ergebnis bringt, aber das ist eine Richtung, die man gehen könnte.

    Dobovisek: Das Vertrauen der Bürger in den USA in die Politik, es schwindet. Das Vertrauen in den Senat, in den Kongress, in den Präsidenten – wie gefährlich ist das für die Innenpolitik insgesamt, für die politische Situation in den USA?

    Mallory: Also die Elite muss sich Gedanken machen, ob Protestbewegungen, wie wir in Großbritannien oder sogar auch in Deutschland gesehen haben, nicht irgendwann dann anfangen, mit dem Ansatz, man soll die Gauner einfach rauswerfen. Eben hat Herr Cameron in Großbritannien einen großen Verlust erlitten – es ist durchaus vorstellbar, wenn diese Situation andauert in den Vereinigten Staaten, dass eine dritte Partei sich bildet mit dem Vorsatz: Die existierende Elite ist unfähig zu handeln, unsere Probleme zu lösen, wir brauchen also einen Neuanfang.

    Dobovisek: Würden Sie von einer Krise, einer politischen Krise der USA sprechen?

    Mallory: Krise ist ein Wort, womit man vorsichtig umgehen sollte. Aber auf jeden Fall gibt es in der Entscheidungsfähigkeit der Politik schon seit einiger Zeit eine andauernde Krise. Das heißt nicht, dass es unbedingt zu einer Krise im ganzen Land führen muss. Es handelt sich hier im Endeffekt um 2,3 Prozent der Gesamtausgaben der Vereinigten Staaten, und die Folgen sind weit übertrieben worden.

    Dobovisek: Ist das also, um es mit Shakespeare auszudrücken, viel Lärm um fast nichts?

    Mallory: Ja, und das hat damit zu tun, dass der Herr Obama zur Schlussfolgerung gekommen ist, dass er mit diesem Kongress nicht zusammenarbeiten kann, und ich muss ehrlich gestehen, die Republikaner haben ihm gute Gründe dafür gegeben in seiner ersten Amtsperiode. Und er ist zur Entscheidung übergegangen, dass er eine ständige Wahlkampfkampagne führen muss, um sein Programm durchzusetzen, und mit einer Wahlkampfkampagne kommt Übertreibung, Furcht einjagen und hyperbolische Aussagen.

    Dobovisek: Die Wirtschaftskraft werden leiden – Sie haben es ja auch mit angesprochen –, so war zumindest die Befürchtung einiger Experten. Über 750.000 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel – welche wirtschaftlichen Folgen, aus Ihrer Sicht, wird diese Kürzung tatsächlich haben?

    Mallory: Es ist ohne Zweifel, dass, wenn man dem keynesianischen Ansatz folgt – und die Frage ist, ob der wirklich hier anwendbar ist, das könnte man diskutieren –, dass eben kurzfristig eine Kürzung des Staatsbudgets durch Multiplikatoreffekte zur Kürzung von Arbeitsplätzen führt. Die unausgesprochene Annahme der republikanischen Seite, oder das, worüber man sich streitet, ist, ob die Mittel hier freigemacht werden, effizienter vom privaten Sektor gemanagt werden können, um eigentlich mehr Arbeitsplätze mit den freigewordenen Mitteln zu schaffen, länger- und mittelfristig.

    Dobovisek: Sind also die Rasenmäherkürzungen, ist der Sequester im Grunde sogar gut?

    Mallory: Das ist auf jeden Fall die Einstellung der republikanischen Seite sozusagen. Der Rasen wird schneller wachsen, wenn man ihn mäht – es ist aber von dem Sichtpunkt einfach Good Governance nicht eine Art und Weise, die Geschäfte zu führen, indem man sich gegenseitig eine Pistole gegen den Schädel stellt, um irgendwie Entscheidungen in Washington durchzubringen.

    Dobovisek: Wie wird es jetzt weitergehen im Duell beider Parteien?

    Mallory: Es gibt im März, haben wir eine Entscheidung, die bevorsteht, die Mittel der verschuldeten Vereinigten Staaten noch einmal zu erhöhen. Es gibt auch die normale Haushaltsdebatte, die in den letzten Jahren aufgegeben ist, weil der Senat und der Herr Reid sich nicht an das vorgeschriebene Verfahren gehalten hat, und die Republikaner bestehen jetzt darauf, dass das normale Budgetverfahren durchgemacht wird. Das würde bedeuten, dass es eine sogenannte Continuing Resolution geben wird, die normalerweise die Ausgaben der Regierung dort einfrieren, wo sie entstehen, und in Washington …

    Dobovisek: Das ist das, was wir die letzten vier Jahre bereits erlebt haben, denn so lange haben die USA keinen neuen Haushalt bekommen.

    Mallory: Genau, und wenn man eine Continuing Resolution hat, werden die Ausgaben eingefroren, und für Washington sind das Kürzungen, obwohl eigentlich nichts gekürzt wird – es wird einfach nicht gewachsen mit der Inflation.

    Dobovisek: Charles King Mallory vom Aspen-Institut in Berlin über den Haushaltsstreit in den USA. Ich danke Ihnen für das Gespräch und Ihre Einschätzungen!

    Mallory: Sehr gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.