
Es war dieser eine Zeuge der Anklage, der ehemalige Leibwächter von "El Chapo", dem Kurzen, dem Drogenboss und Angeklagten. Und, sagt Emily Palmer, Gerichtsreporterin der New York Times, der Leibwächter Valdez schaffte, was 55 andere Zeugen zuvor nicht schafften. Er ließ die Geschworenen blass werden, Zuschauer und Journalisten geschockt zurück.
Valdez berichtete nicht nur vom Drogenschmuggel. 155 Tonnen sollen es gewesen sein. Nicht von 14 Milliarden Dollar Drogengeldern. Er berichtete detailliert, wie "El Chapo", der 61-jährige Joaquin Guzman, eigenhändig Menschen umbrachte, folterte, lebendig begraben ließ: Zwei Konkurrenten schoss Guzman in den Kopf und ließ sie anschließend ins Feuer werfen.
Der Zeuge schockierte einen ganzen Gerichtssaal, der bis dahin schon über hundert Stunden Zeugenaussagen gehört hatte. Aber hier hörten sie vom Mörder Guzman, nicht vom Drogenboss: So detailliert, weil der Zeuge als Leibwächter stets dabei war: Etwa als Guzman ein Opfer mit einem Dampfbügeleisen foltern ließ und man die Löcher der Dampfdüsen später auf der Brust des Opfers sehen konnte.
Auf einer Länge mit Al Capone
Es ist ein Jahrhundertprozess hier in New York. Zehn Anklagepunkte gegen den Mann, den die US-Justiz zum gefährlichsten Verbrecher in den USA erklärte. Ein Titel, den zuletzt Al Capone erhielt. Drogenschmuggel. Geldwäsche. Organisierte Kriminalität. Schweigend sitzt er im Gerichtssaal, der Drogenboss, der zwei Mal aus Gefängnissen floh, der im Gericht hier Brooklyn, das zur Hochsicherheitszone wurde, jetzt beinahe zu genießen scheint, seine Geschichte noch einmal erzählt zu bekommen.
Alle, sagt Gerichtsreporterin Emily Palmer seien in den vielen Stunden dieses Mammutprozesses gelegentlich eingeschlafen, Geschworene, Staatsanwälte, Verteidiger. Nur einer nicht: "El Chapo".

Die Geschworenen, geschützt von US-Marschalls, sie erfahren alles. Chapos Vorliebe für quadratische, weiße Unterhosen. Größe 30. Sie hören wie er einst, als ein Antiterrorteam sein Haus stürmte, nackt mit seiner Geliebten ins Badezimmer rannte, einen Knopf drückte und die Badewanne sich hydraulisch hob, um einen Fluchttunnel freizugeben. Sie hören von Drogen, die sogar per U-Boot in die USA kamen. Sie hören, dass Flugzeuge zu Spitzenzeiten drei Mal täglich acht Millionen Dollar Drogengeld, die Einnahmen aus den USA, zu "El Chapo" einflogen. Geschichten wie aus einem Film. Dass der Hauptdarsteller einer Netflix-Drogenserie, in der er "El Chapo" spielt, zuletzt als Zuschauer im Gerichtssaal saß und "El Chapo" seinem Filmdouble freundlich zuwinkte, passt ins Bild. Einer der seltenen Momente übrigens, da "El Chapo", der knapp 1,60 Meter kurze Guzman, Gefühle zeigte.
"Die Jury wird nicht lange für ihr Urteil brauchen"
"El Chapo" schreibt mit, hört zu. Sieht jeden Tag seine Ehefrau Emma, zweite Reihe rechts sitzt sie. 29 Jahre alt. Auch sie verfolgt schweigend und scheinbar unbeteiligt die wilden Geschichten über Flucht, über Geliebte, über Morde und weiße Unterhosen. Die Anklage fuhr 56 Zeugen auf, spielte abgehörte Telefonate, Videos vor, ließ Raketenwerfer aus Chapos Waffenarsenal und Kokainkisten im Gerichtssaal aufbauen. Und die Verteidigung? Bot einen Zeugen und 30 Minuten Befragung. Nach den Schlussplädoyers haben ab Montag die zwölf Geschworenen das Wort. Schuldig oder nicht schuldig? Die Gerichtsreporterin der New York Times sagt, die Jury werde nicht lang brauchen.
Bei einem Schuldspruch erwartet Guzman Lebenslang. Über das genaue Strafmaß wird der Richter nach dem Verdikt der Geschworenen befinden. Die gute Nachricht für "El Chapo". Die Todesstrafe ist ausgeschlossen. Das hatten die USA Mexiko 2017 bei der Auslieferung von "El Chapo" als Dankeschön zugesagt.