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Druck auf Opposition wächst

Nach dem Attentat auf die Minsker Metro befahl Präsident Alexander Lukaschenko, Weißrussland bei der Jagd auf die Täter "auf den Kopf zu stellen". Beobachter fürchten, dass die Regierung den Anschlag zum Anlass nimmt, die Opposition verstärkt ins Visier zu nehmen. Die allerdings erlebt bereits seit den Präsidenschaftwahlen eine bis dato ungekannte Repressionswelle.

Von Anja Schrum | 13.04.2011
    Valentin Stefanowitsch setzt Teewasser auf, stellt einige Tassen auf den Besprechungstisch in der Küche. Nimmt dann Platz. "Das hier ist so etwas wie die Zentrale von Viasna", sagt der Jurist. 1996 wurde die weißrussische Menschrechtsorganisation gegründet, nachdem auf einer Kundgebung hunderte von Demonstranten festgenommen wurden:
    "Die Situation ist seit 1996 nicht besser geworden, sondern eher schlechter. Noch vor drei Jahren, 2008, war die Situation etwas ruhiger – bis zur Wahl im Dezember 2010. Seitdem sitzen wieder viele im Gefängnis. Jetzt ist alles noch schlimmer. Ein Beispiel dafür ist auch, dass von allen Menschenrechtsorganisationen in Weißrussland nur eine einzige offiziell zugelassen ist."
    Viasna wurde vor fast zehn Jahren die notwendige Zulassung entzogen. Doch Stefanowitsch und seine Kollegen machten einfach weiter. Bis heute protokollieren sie Menschrechtsverstöße, besuchen Prozesse, berichten über juristische und politische Willkürakte. Misstrauisch beäugt von den weißrussischen Sicherheitsbehörden.

    Seit den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Dezember hat der Druck auf die Opposition in Weißrussland bisher ungekannte Dimensionen erreicht. Zeitungsredaktionen und Büros von Nichtregierungsorganisationen wurden durchsucht, zahllose Computer beschlagnahmt. Journalisten wurden verhaftet, etliche Oppositionspolitiker sitzen in Untersuchungshaft. Zu den Inhaftierten besteht kaum Kontakt, berichtet Stefanowitsch. Seit einigen Wochen finden regelmäßig Prozesse statt: Fast immer lautet die Anklage "Organisation von Massenkrawallen". Dafür können bis zu 15 Jahre Haft verhängt werden, so der Jurist, der immer wieder diese Prozesse besucht. Auch die Verteidiger der Angeklagten hat der weißrussische Staat im Visier:
    "Auf die Anwälte selbst ist Druck ausgeübt worden und dieser Druck hält bis heute noch an. In den meisten Fällen bekommt die Öffentlichkeit davon nichts mit. So haben schon fünf Anwälte, die diese Menschen vor Gericht verteidigt haben, ihre Lizenz verloren oder wurden aus dem Anwaltskollegium der Stadt Minsk ausgeschlossen."
    In den letzten Jahren hat die Lukaschenko-Administration ein Instrumentarium entwickelt, mit dem sie jederzeit jeden auf Linie bringen kann - vom Anwalt über den Angestellten bis zum Studenten. Oftmals reicht es schon, Flugblätter zu verteilen oder Unterschriften für oppositionelle Präsidentschaftskandidaten zu sammeln:

    "Es gibt Ex-Matrikulationen von der Universität und Kündigungen am Arbeitsplatz. Man muss sagen, dafür ist unser Vertragssystem wie geschaffen. Wenn dein Vertrag zu Ende ist, wird er einfach nicht mehr verlängert. Es wird nicht mal erklärt warum. Nach Angaben der Gewerkschaften haben 70 Prozent der Bevölkerung befristete Verträge mit Dauer von ein bis drei Jahren. Es ist natürlich bequem für die Macht, wenn man nur einen Vertrag für ein Jahr unterschreiben kann."
    Stefanowitsch schüttelt den Kopf. Die Verhaftungs- und Durchsuchungswelle in den letzten Monaten, die Eskalation der Repression, erklärt er sich so:
    "Ich habe den Eindruck, dass nicht Lukaschenko, sondern der KGB das Land regiert. Weil der KGB sich willkürlich und dreist in der Öffentlichkeit präsentiert. Sie können einem Anwalt den Kontakt mit einem Gefangenen verwehren oder nicht. Oder sie verbieten den Leuten ins Ausland zu fahren oder sie nehmen ihnen den Pass weg. Es ist dem Geheimdienst vollkommen egal, ob man sich beschwert, anruft oder schreibt."
    Nach der Bombenexplosion in der Minsker Metro-Station wird die Machtfülle des Geheimdienstes noch einmal zunehmen. Und damit vermutlich auch der Druck auf die Opposition.