Donnerstag, 28. März 2024

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Duisburg-Marxloh
Das Geschäft mit der Armut

Der Stadtteil Marxloh im Norden von Duisburg ist als sozialer Brennpunkt bekannt. Armutszuwanderer aus Südosteuropa hausen in dem Viertel unter teils menschenunwürdigen Zuständen. Vermieter und Strohmänner verdienen an ihrem Elend. Pünktlich zum NRW-Wahlkampf geht die Ruhrgebietsstadt nun verstärkt gegen diesen Missstand vor.

Von Claudia Hennen | 05.04.2017
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    Heruntergekommenes Hinterhaus in Duisburg-Marxloh (Deutschlandradio / Claudia Hennen)
    "Welche Hausnummer ist das hier? 51?”
    "Ja, hier sind 65 gemeldet, davon 45 Minderjährige ...”
    Einsatz der städtischen "Task Force Problemimmobilien” in Duisburg-Marxloh vor einem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus. Angeführt wird die etwa zwanzigköpfige Gruppe von Feuerwehrleuten und TÜV-Mitarbeitern. Reinhold Mettler, Leiter des Duisburger Ordnungsamtes erklärt, warum:
    "Wir hatten schon Situationen, wo Elektro und Gasleitungen manipuliert wurden und für uns Verletzungsgefahr bestand. Deshalb gehen Feuerwehr und TÜV zuerst.”
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    Duisburg Marxloh (Deutschlandradio / Claudia Hennen)
    Die Tür in den Hausflur steht offen, die Glasscheiben sind herausgebrochen. Im Hof und Dachgeschoss: Berge von Unrat und Müll. Eine Stunde später die Entscheidung: Das Haus wird geräumt. Gefahr durch mangelnden Brandschutz, so die Begründung von Duisburgs Dezernentin für Recht und Sicherheit, Daniela Lesmeister. Sie erklärt, was nun mit den Bewohnern passiert:
    "Es wird ihnen circa vier Stunden Zeit gegeben, die Wohnung zu verlassen. Dann wird das Haus verschlossen mit Stahltüren und auch die Fenster fest verschlossen. Falls die Bewohner dann noch einmal hereinmöchten, um nochmal Gegenstände zu holen, können sie einen Termin mit unserem Ordnungsamt ausmachen.”
    Die Stadt zählt derzeit 45 Problemhäuser
    Laut Gesetz sind die Eigentümer verpflichtet, Ersatzwohnraum zu schaffen. Doch das tun sie nicht. Viele haben die sanierungsbedürftigen Häuser ersteigert, ohne die Darlehen zurückzuzahlen. Duisburgs Sicherheitsdezernentin spricht von organisiertem kriminellen Verhalten:
    "Die Eigentümer fahren oftmals selbst oder mit Strohmännern nach Rumänien oder Bulgarien, mit Bussen, sammeln dort Menschen ein, verfrachten die nach Duisburg auf engstem Raum. Dann sind sie oftmals auch noch Scheinarbeitgeber, sie stellen Scheinarbeitsverträge aus und beantragen beispielsweise eine Aufstockung beim Jobcenter. Wir haben es mal hochgerechnet, so eine Schrottimmobilie bringt circa Hunderttausend Euro für den Eigentümer. Und die meisten Eigentümer haben mehrere solcher Immobilien, so dass sie auf eine halbe Million bis eine Million Einnahmen im Monat kommen.”
    Die Problematik ist seit Jahren bekannt. Doch erst seit etwa einem halben Jahr geht die Stadt mit harter Hand dagegen vor. Es ist Wahlkampf in NRW. 15 Häuser wurden seit Oktober geschlossen, insgesamt 45 Problemhäuser listet die Stadt aktuell auf, vor Wochen war noch von doppelt so vielen die Rede.
    4.000 Armutszuwanderer aus Bulgarien und Rumänien leben in Marxloh
    Nicht nur Armutszuwanderer, auch ältere Menschen, die in den Häusern seit Jahrzehnten leben, sind die Leidtragenden. Heike Priebe leitet die Sozialen Dienste beim Runden Tisch Marxloh, der zum Ziel hat, die Lebensverhältnisse im Stadtteil zu verbessern.
    Heike Priebe, Sprecherin des Bürgerforums Runder Tisch Marxloh e. V.
    Heike Priebe, Sprecherin des Bürgerforums Runder Tisch Marxloh e. V. (*) (Deutschlandradio / Claudia Hennen)
    Sie hat vor Weihnachten eine alleinstehende ältere Frau aus einer von Ungeziefer befallenen Wohnung herausgeholt:
    "Die Dame war gehunfähig und auf dem Teppich, überall, krabbelten die Tiere rum. Sie war so hilflos. Ich hab dann die Hausverwaltung angerufen und die sagten doch echt, ob ich mir nichts besseres vorstellen könnte, als mir eine Woche vor Weihnachten Ärger einzuhandeln! Ich hab dann sofort die Stadt angerufen, das Ordnungsamt.”
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    Vermüllter Dachstuhl in einem heruntergekommenen Haus in Duisburg-Marxloh. (Deutschlandradio / Claudia Hennen)
    Mittlerweile leben etwa 4.000 Armutszuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in Marxloh, ein Fünftel der Bevölkerung. Auch an diesem Vormittag füllt sich der Bürgersteig mit Familien, die ihr Hab und Gut in große Tücher gepackt haben. Frauen tragen Kleinkinder auf dem Arm. Auch die Eigentümerin ist aufgekreuzt.
    Eine Bewohnerin schreit: "Wir zurückbleiben mit unseren Kindern. Gehen auf die Straße, ist nicht Dein Problem!”
    "Sie haben monatlich Miete bezahlt?”
    Bewohner: "Ja.”
    "Wieviel haben Sie bezahlt?”
    Bewohner: "Vierhundert pro Monat”
    Dass die Mieten bar kassiert wurden, dürfte die Steuerfahnder interessieren. Das Haus stand längst unter Zwangsverwaltung. Die Behörden vermuten, dass die Eigentümerin mehrere Schrottimmobilien an Armutzuwanderer vermietet hat. Die Situation ihrer Mieter interessiert die ältere Dame mit der auffälligen Perlenkette nicht:
    Eigentümerin:"Ich habe noch mehr zu tun, da vergeude ich doch meine Zeit nicht damit.”
    Reporterin: "Aber Sie haben doch Miete kassiert, was haben sie damit gemacht?”
    Eigentümerin:"Das ist richtig. Aber für mich habe ich kein Geld verbraucht. Ich habe alles verkauft, meine Häuser, mein Auto, mein Klavier – um das Haus zu verwalten. Es hat leider nicht geklappt.”
    Reporterin: "Sie haben mehrere Häuser in Marxloh, nicht wahr?”
    Eigentümerin verneint vehement.
    Durch Räumungen sind nun ganze Häuserzeilen verwaist
    Die Häuserräumungen werden auch kritisiert: Die Stadt lasse die Armutszuwanderer im Stich, die meisten der Familien zögen in die nächste Problemimmobilie. Zwar stellt die Stadt für ein paar Tage eine Notunterkunft, vermittelt Rechtshilfe, nur: Bislang kommt darauf niemand zurück. Dezernentin Daniela Lesmeister verteidigt das Vorgehen:
    "Wir kriegen Rückmeldung von den alteingesessenen Bewohnern, dass die Maßnahme wirkt. Wir bekommen sogar Dankesbriefe. Der Staat guckt nicht weg, der greift durch. Denn durch Unordnung und Unrat entsteht schneller Kriminalität. Das ist die ‘broken windows’ -Theorie”
    Ganze Häuserzeilen wie in der Marxloher Hagedornstraße sind verwaist, Ladenlokale zugenagelt. Fraglich, ob sie je wieder bezogen werden können. Vielleicht werden sie irgendwann abgerissen werden. Von den geschlossenen Häusern ist bislang keines wieder bewohnbar.

    (*) Anmerkung der Redaktion: In der Bildunterschrift wurde die Funktionsbezeichnung von Heike Priebe korrigiert.