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Duma droht mit Blockade

Die russische Duma will Atomabrüstungsverhandlungen blockieren, sollten die USA an ihrer geplanten Raketenabwehr festhalten. Die Lage ist ernst: 25.000 nukleare Sprengköpfe soll es zur Zeit auf der Welt geben.

Von Andrea Rehmsmeier |
    Wenigstens der russische Winter scheint Hillary Clinton einen schönen Empfang bereiten zu wollen: Der Himmel strahlend und blau, die Luft klar und kalt. Und auch die Moskauer, die gestern beim Schaufensterbummel über den Arbat schlenderten, ließen sich von Atombomben, zwischenstaatlichem Machtgerangel und einem aufmüpfigen Parlament nicht den Feierabend verderben. Ein älterer Passant:

    "Einfache Bürger wie wir – was haben wir damit zu tun, was die Duma da ratifiziert oder nicht? Das ist eine andere Welt. Abrüstung ist eine gute Sache. Und was diese Funktionäre sich da ausdenken – daran können wir nichts ändern. Uns fragen sie doch nicht! Wir sind für den Frieden!"

    Der Arbat, die berühmte Moskauer Einkaufsstraße, ist auch Anziehungspunkt für viele Ausländer. Hier kann man Spanisch, Finnisch und Deutsch hören – besonders oft jedoch Englisch. Eine Passantin aus den USA, die in Moskau für die russisch-amerikanischen Kulturaustausch arbeitet, kennt die Befindlichkeiten auf beiden Seiten. Doch für die Abrüstungsverhandlungen interessiert auch sie sich nur am Rande.

    "Die Amerikaner interessieren sich für Jobs, Jobs – und für Terroristen. Für Russland ist immer noch Amerika der Feind, aber für Amerika ist das längst der radikale Islam, der Terrorismus – und immer mehr auch das was von innen kommt: Die Politik der Konzerne, die Zerstörung der Mittelschicht. Russland haben die Amerikaner gar nicht mehr auf ihrer Landkarte!"

    Dabei ist die Lage ernst. 25.000 nukleare Sprengköpfe soll es zur Zeit auf der Welt geben. Und die Begehrlichkeiten wachsen: Nicht nur der Iran, auch Ägypten, Saudi-Arabien und die Türkei würden gerne in die exklusive Riege der Atombomben-Mächte aufsteigen. Höchste Zeit für die USA und Russland, den im Dezember ausgelaufenen Abrüstungsvertrag START I zu erneuern und damit ein gemeinsames Zeichen gegen die unkontrollierte Ausbreitung dieser immens teuren und umweltschädlichen Massenvernichtungswaffen zu setzen. Doch stattdessen: Raketenabwehr-Pläne bei den Amerikanern, Abrüstungsblockade auf Seiten des russischen Parlaments – der Duma. Droht gar eine Rückkehr in den Kalten Krieg? Auf keinen Fall, glaubt der politische Analyst Konstantin von Eggert.
    EINSPIELUNG: O-TON KONSTANTIN VON EGGERT

    "Warum ist die Abrüstungs-Idee der Obama-Adminstration für die Russen interessant? Weil sie sie zurück versetzt in die 60-er und die 70-er Jahre, als die Angst vor einem echten Krieg groß war. Damals hat Breschnew mit Nixon und mit Carter echte Abrüstungsgespräche geführt, die die Welt wieder ins Gleichgewicht gebracht haben. Heute aber droht uns kein Atomkrieg – schon deshalb nicht, weil Russland gar nicht die Stärke besitzt, einen Krieg gegen Amerika zu führen. Hier geht es um Prestige – also um nichts, das irgendeinen Nutzen hätte"

    Prestige-Gerangel statt Weltpolitik, Wichtigtuerei statt diplomatischem Weitblick. Konstantin von Eggert, russischer Historiker mit ostpreußischen Wurzeln, analysiert die russisch-amerikanischen Verhandlungen für das Moskauer Forschungsinstitut Pir-Zentrum. Und er weiß: Eigentlich hat Russland ein ureigenes Interesse an der Abrüstung. Die meisten Sprengköpfe in dem gewaltigen Nukleararsenal haben ihre Betriebsdauer längst überschritten. Sie kosten nur, aber sie nützen nichts. Und so ist die Abrüstungsinitiative von Präsident Obama an sich eine perfekte Gelegenheit, die längst überfällige Vernichtung mit dem politischen Gütesiegel "START-II" zu versehen.