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Duma-Wahl in Russland
Kleine Verluste für demokratischen Anstrich

Vorwahlen und ein gemischtes Wahlrecht mit Direktwahl von 225 Kandidaten sind Neuerungen bei der Duma-Wahl in Russland. Damit will der Kreml die Parlamentswahl transpartent und demokratisch erscheinen lassen. Der ein oder andere Kandidat von Präsident Putins Regierungspartei "Einiges Russland" wird wohl verlieren. Aber das nehmen die Machthaber in Kauf. Denn Proteste gegen Wahlfälschung wollen sie vermeiden.

Von Gesine Dornblüth |
    Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew vor der Duma
    Die Wahl des russischen Parlaments (Duma) wird im September 2016 stattfinden. (picture-alliance / epa/Yuri Kochetkow)
    Im Jahr 2011 lösten Manipulationen bei der Parlamentswahl in Russland Proteste aus. Mehr als hunderttausend Menschen gingen in den folgenden Wochen auf die Straße. Erreicht haben sie bekanntlich wenig. Bei den kurz darauf folgenden Präsidentenwahlen wurde Wladimir Putin zurück an die Staatsspitze gewählt. Und die Proteste sind weitgehend erlahmt. In diesem Jahr stehen in Russland wieder Parlamentswahlen an, im September. Die Vorbereitungen haben längst begonnen, und viel deutet darauf, dass die Machthaber die Wahl in diesem Jahr so transparent und demokratisch wie nur möglich erscheinen lassen wollen.
    Erstmals wird es in Russland in diesem Jahr Vorwahlen geben. Die bisher nicht in der Duma vertretene "Demokratische Koalition" hat sich dazu entschieden und auch die Regierungspartei "Einiges Russland". Bei einem Treffen der Russischen Volksfront, einer landesweiten Unterstützerorganisation Wladimir Putins, sorgte das kürzlich für ungläubige Fragen.
    "Sind die Primaries kein Fake, ist das wirklich keine Augenwischerei?"
    Daraufhin Wjatscheslaw Wolodin von der Präsidialverwaltung:
    "Wladimir Putin hat schon vor zehn Jahren angemahnt, innerparteiliche Demokratie zu entwickeln. Sie stärkt die Partei. "Einiges Russland" geht jetzt diesen Weg."
    Ein Wahlkreis verlieren, um Proteste zu vermeiden
    Die Vorwahlen sind nur eine der Neuerungen, die die diesjährige Duma-Wahl demokratischer aussehen lassen. Außerdem hat Russland das gemischte Wahlrecht wieder eingeführt. Es war 2008 abgeschafft worden. Die Wähler werden nur noch eine Hälfte der 450 Abgeordneten über Parteilisten bestimmen, die andere Hälfte dagegen direkt wählen. Der Moskauer Politologe Nikolaj Petrow geht davon aus, dass dadurch auch Politiker in die Duma kommen, die nicht vom Kreml, sondern von lokalen Eliten, zum Beispiel von Geschäftsleuten, abhängig sind.
    "Die Macht wird lieber einige Wahlkreise verlieren, als mit groben Fälschungen Proteste zu provozieren. Sie hat Angst vor Protesten. Darauf deuten die Wahlen in Irkutsk, wo der Kreml es vorzog, die Niederlage des amtierenden Gouverneurs zu akzeptieren, statt ihn zum Sieger zu erklären und damit Proteste auszulösen."
    Bei der Gouverneurswahl im sibirischen Irkutsk im vergangenen Herbst hatte ein Kommunist den zweiten Wahlgang mit 56 Prozent der Stimmen für sich entschieden und damit den Amtsinhaber von "Einiges Russland" abgelöst.
    Dafür, dass die Mächtigen bei der Duma-Wahl im September grobe Fälschungen vermeiden wollen, spricht auch, dass der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission abgelöst wurde. Neun Jahre stand Wladimir Tschurow an der Spitze der Kommission. Er verkörperte in den Augen von Kremlkritikern Ignoranz und unbedingte Loyalität zu Putin. Seinen Posten hat Ella Pamfilowa übernommen, bis vor kurzem russische Menschenrechtsbeauftragte. Sie hat bereits mit einer ersten Entscheidung von sich reden gemacht.
    In Barwicha, einem Ort im Moskauer Umland, waren für den gestrigen Sonntag vorgezogene Lokalwahlen angesetzt. Im Vorfeld kam es zu Unregelmäßigkeiten, unter anderem wurden mehrere Kandidaten der Opposition von der Wahl ausgeschlossen. Pamfilowa schritt ein. Die Behörden in Barwicha sagten die Wahl daraufhin ab. Mit einer anderen Begründung zwar, nicht wegen der Einwände der Opposition, es seien vielmehr Fristen verletzt worden. Für Grigorij Melkonjants von der Wahlbeobachterorganisation Golos trotzdem ein gutes Zeichen.
    "Pamfilowa muss Signale senden, dass Wahlen in Russland nicht mehr so stattfinden können wie früher. Sie hat jetzt erst mal eine Diagnose gestellt und öffentlich erklärt, dass es ein Problem gibt. Das ist neu und ein erster Schritt."
    Wahlbeobachter sind eingeschränkt
    Doch zugleich gibt es Rückschritte, was die Transparenz der Wahlen betrifft. Denn Russland hat die Möglichkeiten der lokalen Wahlbeobachter weiter eingeschränkt. Sie müssen sich mehrere Tage vor der Wahl in einem konkreten Wahllokal anmelden und haben dann auch nur zu diesem einen Wahllokal Zutritt. Grigorij Melkonjants:
    "Die lokalen Wahlkommissionen, die wir ja verdächtigen, an Wahlbetrug beteiligt zu sein, bekommen dadurch vorab eine Karte mit den Wahllokalen, in denen Beobachter sein werden.
    Das schränkt die Möglichkeiten der Kontrolle stark ein."
    Dafür, ob eine Wahl demokratischen Kriterien genügt, ist nicht nur der Wahltag entscheidend, sondern auch der Verlauf des Wahlkampfes. Hier stehe es nach wie vor schlecht, betont Melkonjants.
    Die russische Opposition hat weiterhin kaum Zugang zu den staatlichen und den kremlnahen Medien. Mehr noch, ihre Vertreter werden dort gezielt diffamiert. Der kremlnahe Sender NTW strahlte kürzlich einen Film über Michail Kasjanow aus, den Spitzenkandidaten der "Demokratischen Koalition". Er war bei intimen Szenen mit einer Parteifreundin zu sehen. Unter der Bettdecke wetterten beide angeblich gegen andere Mitglieder der Koalition. Die forderten Kasjanow daraufhin auf, seinen Spitzenplatz auf der Parteiliste abzugeben. Kasjanow weigerte sich und stellte fest, der Fernsehfilm habe sein Ziel erreicht: Die Opposition zerlege sich selbst.