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Dunkle Materie
Experimente liefern widersprüchliche Resultate

Nach der sogenannten Dunklen Materie, die nach gängiger Hypothese die Galaxien zusammenhält, fahnden Physiker mit aufwendigen Versuchen. Zwei dieser Experimente haben in der Fachwelt nun für Verwirrung gesorgt.

Von Frank Grotelüschen | 06.01.2014
    "Wenn sie Ihre Hand ausstrecken, dürften pro Sekunde 20 Millionen Dunkle-Materie-Teilchen durch sie durchfliegen. Warum man davon nichts mitbekommt? Nun, diese Teilchen interagieren kaum mit gewöhnlicher Materie. Das einzige, durch das sie sich bemerkbar machen, ist ihre Schwerkraft. Aber die ist in mikroskopischen Dimensionen so schwach, dass sie so gut wie gar nicht ins Gewicht fällt."
    Wie weist man etwas nach, das nicht nur durch Hände unbemerkt hindurchgeistert, sondern auch durch Häuser, Berge und ganze Planeten? Mit extrem raffinierter Versuchstechnik, sagt Enectali Figueroa-Feliciano, Physiker am MIT in Boston. Tief unter der Erde, in einer ehemaligen Eisenmine in Minnesota, haben er und seine Kollegen das CDMS-Experiment aufgebaut: vier Kilogramm an hochreinen Kristallen aus Silizium und Germanium, abgekühlt bis an den absoluten Temperaturnullpunkt. Das Kalkül der Forscher: Prallt zufällig ein Dunkle-Materie-Teilchen gegen einen Atomkern des Kristalls, sollte dieser in extrem zaghafte Schwingungen versetzt werden, die hochempfindliche Sensoren dann detektieren können. Und tatsächlich: Die jüngsten Analysen der Messdaten geben Anlass zur Hoffnung.
    "Wir haben drei Ereignisse beobachtet. Nach sorgfältigen Analysen halten wir es für unwahrscheinlich, dass diese drei Ereignisse von irgendwelchen Störungen herrühren. Es gibt also zwei Möglichkeiten: Entweder, die Ereignisse werden durch eine noch unbekannte Fehlerquelle verursacht. Oder es handelt sich tatsächlich um Teilchen der Dunklen Materie. Und zwar Teilchen, die achtmal so schwer sind wie Wasserstoffkerne."
    Von einer Entdeckung könne man zwar noch nicht sprechen, sagt Figueroa-Feliciano. Dazu sei die Zahl von drei Ereignissen schlicht zu mickrig. Aber es ist immerhin ein Indiz, dass es Dunkle Materie wirklich geben könnte.
    Auch Markus Horn, ein deutscher Physiker in Diensten der amerikanischen Yale-Universität, ist mit seinem Team hinter den ominösen Geisterteilchen her. LUX, so heißt das Experiment. Es steht, um es möglichst gut gegen Störeinflüsse wie die kosmische Strahlung abzuschirmen, tief unten in einer alten Goldmine in South Dakota.
    "Im Prinzip ist unser Detektor ein großer Eimer mit Flüssig-Xenon drin. Wir gucken nach einfachen Kernrückstößen. Das Dunkle-Materie-Teilchen stößt auf einen Kern von den Xenon-Atomen und macht einen einfachen Rückstoß wie Billardkugeln."
    Dieser Rückstoß würde ein Lichtsignal produzieren, das hochsensible Sensoren aufschnappen sollen. Das Besondere am LUX-Experiment: Es basiert auf 350 Kilogramm Xenon – und damit auf einer höheren Detektormasse als alle anderen Experimente auf der Welt. Und je höher die Detektormasse, umso größer die Chance, Dunkle-Materie-Teilchen aufschnappen zu können. Anfang 2013 starteten die Messungen in South Dakota. Haben Horn und seine Leute seitdem schon irgendwelche Hinweise auf die Geisterteilchen aufgespürt, so wie das CDMS-Experiment?
    "Leider nicht. Und das ist schade. Denn es gab andere Experimente, die möglicherweise einen Hauch von einem Signal gesehen haben. Hätten diese Experimente Recht, dann hätten wir extrem viele Ereignisse gesehen. Aber leider wurde daraus nichts."
    Ein Resultat, das im krassen Widerspruch steht zum Ergebnis von CDMS in Minnesota. Zwar ließen sich mit einiger Mühe Erklärungsversuche konstruieren, die diesen Widerspruch auflösen würden: So ist denkbar, dass Dunkle-Materie-Teilchen mit Xenon anders reagieren als mit Silizium und Germanium. Doch die meisten Fachleute dürften derzeit eher den Messdaten des größeren LUX–Detektors trauen als denen des kleineren CDMS-Experiments. Gewissheit werden erst neue Messdaten bringen. Für die aber braucht es wahrscheinlich neue und größere Experimente. Und das ist ein Punkt, in dem sich Markus Horn und Enectali Figueroa-Feliciano einig sind.
    "Wir wollen im gleichen Labor in South Dakota einen um den Faktor 20 größeren Xenon-Detektor bauen. Von 350 Kilogramm gehen wir dann auf sieben Tonnen."
    Die einzige Möglichkeit ist, mehr Daten zu nehmen. Genau das werden wir im Laufe des Jahres 2014 machen. Für danach planen wir ein größeres Nachfolge-Experiment mit einer 100 Mal höheren Messeempfindlichkeit. Und damit sollten wir dann definitiv beantworten können, ob es Dunkle Materie nun gibt oder nicht.