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Edathy-Affäre
Strafrechtlerin: "Ermittlungen einstellen"

Sebastian Edathy habe Material im Grenzbereich bestellt: Mit dieser Behauptung hat die Staatsanwaltschaft Hannover spekulativ und "vollkommen rechtswidrig" gehandelt, sagte die Strafrechtlerin Monika Frommel im Deutschlandfunk. Der Schaden für den SPD-Politiker sei groß, weitere Ermittlungen unzumutbar.

Monika Frommel im Gespräch mit Martin Zagatta | 22.02.2014
    Porträt der schwarzhaarigen Strafrechtlerin Monika Frommel
    Die Strafrechtlerin Monika Frommel bewertet die Rolle der Staatsanwaltschaft Hannover in der Edathy-Affäre kritisch (dpa / picture-alliance / Ulrich Perrey)
    Martin Zagatta: Knapp zwei Wochen ist das jetzt her, dass die Staatsanwaltschaft Hannover die Wohnungen und Büros des da ja schon zurückgetretenen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy durchsuchen ließ. Der Verdacht, so verlautete ganz schnell: Der Abgeordnete habe womöglich kinderpornografische Bilder oder Filme erwoben. Landwirtschaftsminister Friedrich musste zurücktreten, weil er die SPD-Spitze informiert hatte. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Oppermann steht unter Druck, weil er BKA-Präsident Ziercke angerufen hat. Wir haben die Affäre aus politischer Sicht, aus moralischer Sicht, aus Sicht möglicher Opfer und aus juristischer Sicht seither ausführlich schon beleuchtet und wollen da noch einmal ansetzen mit der Strafrechtlerin Monika Frommel, die gleich nach Bekanntwerden dieser Vorwürfe in unserem Programm heftige Kritik an der Staatsanwaltschaft geübt hat. Schönen guten Morgen, Frau Frommel!
    Monika Frommel: Guten Morgen!
    Zagatta: Frau Frommel, Sie haben darauf hingewiesen, dass es strafrechtlich gesehen ja nicht verboten ist, Bilder von nackten Jungen zu besitzen, die Staatsanwaltschaft sei also rechtswidrig vorgegangen. Inzwischen ist der zuständige Staatsanwalt selbst an die Öffentlichkeit gegangen und hat gesagt, Edathy habe nach seinen Erkenntnissen Material im Grenzbereich zu dem, was die Justiz unter Kinderpornografie versteht, bestellt. Hat die Staatsanwaltschaft Hannover also doch richtig gehandelt?
    "Richtiges Handeln der Staatsanwaltschaft? Nein!"
    Frommel: Nein, denn im Strafgesetzbuch steht ganz deutlich – seit 40 Jahren –, dass sexuelle Handlungen, - also das, was dargestellt sein muss auf einem solchen Bild - von einer Erheblichkeit festgestellt werden müssen. Bei dem Material, was er vermutet, gibt es weder sexuelle Handlungen noch haben sie eine Erheblichkeit, sondern er spekuliert ganz offen, so nach dem Motto: Wer solche Bilder hat, könnte auch noch andere haben. Und das darf er nicht. Er hat also vollkommen rechtswidrig gehandelt. Er ist uneinsichtig und geht damit auch noch an die Öffentlichkeit. Das heißt, die deutschen Strafverfolgungsbehörden möchten sich im materiellen Strafrecht an das völlig uferlose US-amerikanische Recht angleichen. Gleichzeitig aber übernehmen sie nicht die hohen Hürden, die das US-amerikanische Recht hat bei der Durchsuchung von Wohnungen und bei der Beschlagnahme von Material. Das heißt, die Amerikaner schützen die Bürger vor rechtswidrigen Eingriffen, indem sie die Beschlagnahme und die Durchsuchung hoch hängen, und in der deutschen Tradition hat man das materielle Recht relativ eng gefasst.
    Zagatta: Ist das in Deutschland aber dann kein Anfangsverdacht, wie manche Experten sagen? Also auch der Bund der Kriminalbeamten argumentiert ja, wer solche, sagen wir, erlaubte Nacktfotos besitzt, der beschaffe sich oft auch eindeutig verbotenes pornografisches Material. Begründet das keinen Anfangsverdacht?
    Frommel: Es ist eine Erfahrungstatsache, die falsch ist. Außerdem ist der Bund der Kriminalbeamten nicht dafür da, das Recht auszulegen, sondern es ist eine Vollzugsbehörde.
    Zagatta: Die Staatsanwaltschaft hat ja ähnlich argumentiert.
    "Spekulativ und dahergeholt"
    Frommel: Ja. Anfangsverdacht – meinetwegen, Sie können ein Aktenzeichen dem Vorgang geben. Aber für eine Durchsuchung brauchen Sie einen tatsachengestützten Verdacht, und die Tatsachen müssen konkret sein und nicht spekulativ und irgendwie dahergeholt.
    Zagatta: Wie ordnen Sie das ein? Nun will ja niemand einen Abgeordneten im Parlament, der Nacktbilder von Kindern bestellt, aber Sie sagen: Juristisch geht uns das nichts an. Muss man denn jetzt mit Edathy, muss man mit ihm Mitleid haben, dass seine Existenz – so sieht es ja aus –, dass seine Existenz durch diese Veröffentlichungen quasi vernichtet wurde?
    Frommel: Also ich weiß nicht, was für eine sexuelle Orientierung Edathy hat. Die Tatsache, dass man möglicherweise Nacktbilder sich anschaut, spricht übrigens nicht schon für Pädophilie, also das ist auch schon stark übertrieben. Das kann schon sein, dass man im politischen Geschäft, im Postengeschachere sich zurückziehen sollte, wenn man sozusagen erpressbar ist. Das ist eine andere Sache. Aber es darf nicht über eine Strafverfolgungsmaßnahme ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden.
    Zagatta: Innenminister Friedrich – beziehungsweise als Landwirtschaftsminister ist er ja jetzt zurückgetreten – hat sich anschließend sinngemäß gerechtfertigt, er musste damals Schaden von der Koalition abwenden beziehungsweise vom Staat abwenden, indem er die SPD-Führung informiert hat, und wenn dem Gesetze entgegenstehen, so hat er gesagt, dann müssten die eben geändert werden. Kann man das nachvollziehen?
    "In dubio pro Herrn Friedrich"
    Frommel: In dem Gesetz steht es drin, um das es hier geht, dass er zugleich durch den Geheimnisverrat öffentliche Interessen schaden muss. Das heißt, er hat sich gesetzeskonform, wenn auch etwas sehr flexibel verhalten. Da würde ich sagen, das ist im Graubereich, okay, dann sage ich, in dubio pro Herrn Friedrich. Okay, lassen wir mal so stehen. Die Gesetze müssen nicht geändert werden, er hat sich noch im Rahmen der Gesetze gehalten.
    Zagatta: Gilt das auch für den SPD-Fraktionschef Oppermann? Der hat ja den BKA-Chef Ziercke angerufen, ein etwas bizarres Gespräch, so wurde uns das jedenfalls dann anschließend dargestellt, also ein Gespräch, bei dem es angeblich keine Fragen und keine Antworten gegeben hat. Durfte Oppermann beim BKA in dieser Sache anrufen, ist das juristisch in Ordnung?
    Frommel: Nein. Da ist die Grenze überschritten, weil nämlich wir haben eine Zentralisierung vorgenommen durch die Prävention gegen Kinderpornografie, weil nämlich das Bundeskriminalamt die zuständige Behörde ist zur Verfolgung von Kinderpornografie. Das heißt, Oppermann hat direkt bei der Behördenspitze angerufen in einem Verfahren, in dem die Polizei sozusagen die Herrin des Verfahrens ist, das ist auch nicht so ganz nach der Strafprozessordnung, aber so ist die Praxis. Das heißt, das finde ich sehr viel problematischer.
    Zagatta: Frau Frommel, wie erklären Sie sich solche Verfehlungen? Also Sie kritisieren jetzt Oppermann, Sie kritisieren das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Wie erklären Sie sich solche Verfehlungen? Wir sind doch keine Bananenrepublik, oder doch?
    Frommel: Die Anforderungen an Durchsuchung und Beschlagnahme ist von allen Staatsanwaltschaften, also zum Beispiel auch in Bayern – wo man meint, in Bayern sei die Welt noch in Ordnung, soll er sich mal angucken, was die Staatsanwaltschaft Augsburg so treibt –, ... also in fast allen jedenfalls – es gibt bestimmte Staatsanwaltschaften, da ist das besonders auffällig – ... haben ganz niedrige Anforderungen an die Durchsuchung und Beschlagnahme von Wohn- und Geschäftsräumen, das heißt, wir haben da eigentlich keinen Rechtsstaat mehr, sondern eine relative Willkür und eine Politisierung des Strafrechts. Im übrigen Bereich ist die Rechtskultur reichlich notleidend, weil es immer um Posten geht und um mediale Selbstdarstellung statt um die Sache. Also die wollen nicht mehr Probleme lösen, sondern sie kämpfen nur noch um ihre mediale Darstellung – also nicht Bananenrepublik, aber wir haben sozusagen eine plebiszitäre Demokratie, und sie schielen nur noch auf die Medien.
    Zagatta: Und vielleicht in einem Satz aus Ihrer Sicht jetzt noch: Was müsste jetzt passieren? Müssten die Ermittlungen jetzt eingestellt werden oder wie sehen Sie das?
    "Der neue Justizminister sollte aufhören, so plebiszitär zu reagieren"
    Frommel: Ja, aber sicher, weil der Schaden ist schon so groß für diesen Verdächtigten, dass es unzumutbar ist, wenn es noch weiter ermittelt wird. Außerdem würde ich mal sagen, dass der neue Justizminister aufhören sollte, so plebiszitär hier zu reagieren und sich mal anschauen, was Staatsanwaltschaften in Deutschland tun, wenn sie beschlagnahmen. Und vielleicht sollte er in der Strafprozessordnung deutlich machen, dass hier besonders hohe Hürden zu sein haben.
    Zagatta: Die Strafrechtlerin Monika Frommel heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau Frommel, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Frommel: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.