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Edelgard Bulmahn: Sonderprogramme helfen den Hochschulen nicht

Ein Mangel der Bologna-Reform sei, dass an vielen Hochschulen veränderte Studiengänge nicht mit veränderten Curricula einhergegangen seien, sagt die ehemalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn. Für die Hochschulen fordert sie eine bessere Grundfinanzierung.

Edelgard Bulmahn im Gespräch mit Sandra Pfister | 08.08.2012
    Sandra Pfister: Studierende von der Uni Köln waren das, denen vor allem drei Dinge beim Bachelor aufgestoßen sind: dass das Studienkorsett zu eng sei, dass sie nur noch nach Punkten jagen und dass es zu Wissensbulimie kommt, also, dass sie schnell Wissen reinschaufeln, um es umso rascher wieder rauszuwürgen, wenn man das mal so formulieren kann. Reden wir darüber mit Edelgard Bulmahn, guten Tag!

    Edelgard Bulmahn: Guten Tag!

    Pfister: Frau Bulmahn, eine Reform hat natürlich viele Mütter und Väter, aber Sie waren die Bundesbildungsministerin, unter der die Reform in Fahrt kam, 2009. Das Ergebnis war ja dann, dass vor zehn Jahren die neuen Abschlüsse Eingang ins Hochschulrahmengesetz gefunden haben. Wenn ich Sie, Frau Bulmahn, als deutsche Mutter der Bildungsreform bezeichne, schämen Sie sich heute manchmal insgeheim für Ihr Kind?

    Bulmahn: Nein, ich hätte mir gewünscht – das ist eben so bei Kindern –, dass es die Pubertät schneller und besser übersteht. Aber so wie bei Kindern geht es auch nicht nur bei vielen Veränderungen immer nur geradlinig, sondern die Bologna-Reform hat, glaube ich, sicherlich einen Mangel gehabt, dass tatsächlich an vielen Schulen die veränderten Studiengänge nicht immer einhergegangen sind auch mit veränderten Curricula. Also, eine echte Curriculum-Reform ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass auch eine andere Studienstruktur – das sind ja die Bachelor- und Masterstudiengänge – dann tatsächlich erfolgreich studiert werden kann. Und die große Zielsetzung …

    Pfister: … also, man quetscht die gleiche Menge an Wissen rein und hätte eigentlich bisschen strukturieren müssen …

    Bulmahn: … genau, man kann nicht den Diplomstudiengang sozusagen einfach umbenennen mit einem Bachelor-Studiengang oder in einen Bachelor-Studiengang umbenennen, die gleiche Menge dann in sechs oder sieben Semestern studieren in einem Zeitraum, für den man früher dann eben neun oder acht Semester gebraucht hat. Das allerdings, die Umsetzung und wie ein Studiengang organisiert wird, ist keine Frage staatlicher Verordnungen. Das soll und darf der Staat nicht tun, das finde ich auch richtig, sondern das ist eine Sache der Hochschulen.

    Pfister: Eine Sache der Hochschulen. Spielen wir trotzdem den Ball an die Politik zurück: Eines der größten Argumente für die Reform war ja damals: Studierende kriegen damit eine viel bessere Lehre, sie werden auch in kleinen Tutorien – Vorbild England – stärker geführt, sie werden viel besser betreut. Das kostet aber. Waren Sie nicht in gewisser Weise naiv zu glauben, dass die Länder auf einmal wahnsinnig viel Geld dafür in die Hand nehmen würden?

    Bulmahn: Nein, so naiv war ich nicht. Ich hatte den Ländern angeboten, dass wir ein Bund-Länder-Programm gemeinsam gut ausgestattet durchführen, um eben die Umsetzung dieser Studienreform auch finanziell entsprechend zu unterfüttern. Leider ist dieses Angebot von den Ländern damals vehement abgelehnt worden mit der Begründung, dass der Bund keine Zuständigkeit für Lehre hat. Was ich heute offen gesagt immer noch sehr, sehr ärgerlich finde.

    Pfister: Annette Schavan hat ja dann nachgedreht, es gibt ja durchaus jetzt mehr Geld für die Lehre, zumindest partiell. Wenn Annette Schavan zu Ihnen käme und sie um Rat bitten würde, was Sie denn jetzt mit Bologna aktuell anfangen soll und wo sie da noch mal nachsteuern soll, was würden Sie ihr raten?

    Bulmahn: Ich würde ihr raten, dass wir eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern brauchen, die eine dauerhafte, deutlich bessere Grundfinanzierung der Hochschulen beinhaltet. Es hilft überhaupt nichts, wenn wir wieder ein neues Sonderprogramm machen. Das Problem der Sonderprogramme liegt darin, dass sie immer zeitlich befristet sind. Die Hochschulen scheuen sich dann, Personal einzustellen, Professorinnen, Professoren, Dozenten einzustellen, weil sie dafür unbefristete Mittel brauchen. Und deshalb brauchen wir eine dauerhafte, deutlich bessere Grundfinanzierung der Hochschulen, damit sie mehr Personal einstellen können. Denn ohne mehr Personal können sie auch die Lehre nicht wirklich so durchführen mit einer besseren Studienbetreuung, mit einer besseren Professoren-Studierenden-Relation. Und das brauchen wir wirklich dringend!

    Pfister: Darauf wollte ich hinaus, Geld ist nicht alles. Wir müssen da vielleicht doch noch mehr in die Strukturreform gehen, welche Strukturreformen würden Sie vornehmen jenseits dessen, dass Sie den Hochschulen raten, ihre Curricula mal ein bisschen zu entschlacken?

    Bulmahn: Ja, Sie haben ja vorhin schon einige Kritikpunkte genannt: An einigen Hochschulen sind die Module zum Beispiel zu kleinformatig gewählt worden, zu viele Einzelprüfungen. Das kann man aber als Hochschullehrerin, als Hochschullehrer gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen verändern. Und das hat im Übrigen auch nicht jede Hochschule so gemacht, sondern es gibt eben sehr, sehr große Unterschiede bei der Umsetzung der Bologna-Reform. Also, großformatigere Module, die Zahl der Prüfungen, dort wo sie noch immer extrem hoch ist, sehr stark deutlich reduzieren, und natürlich auch wie gesagt dann die Studienreform so durchführen, dass auch der Inhalt des Studienganges innerhalb von sechs oder sieben Semestern studierbar ist. Im Hochschulrahmengesetz damals ist ja noch nicht mal die Semesterzahl festgelegt worden, sondern es ist dort damals auch den Hochschulen die Freiheit gelassen worden, was ich auch für richtig fand. Deshalb haben wir es damals so gemacht, zu entscheiden, wie lang ein Bachelor-Studiengang sein soll und wie lang eben auch ein Master-Studiengang sein soll. Das muss man von den Inhalten des Studienganges, von dem Fach her abhängig machen und nicht sozusagen bürokratisch entscheiden.

    Pfister: Die ehemalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, nach wie vor Abgeordnete des Deutschen Bundestages für die SPD. Danke, Frau Bulmahn!

    Bulmahn: Bitte!

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