Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

EEG-Umlage
Vassiliadis: "Wettbewerb verzerrt, wenn Ausnahmen fallen"

Der Vorsitzende der Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, warnt vor einer Abschaffung der Vergünstigungen beim Erneuerbare-Energien-Gesetz. Dadurch würden innovative Industriebereiche und Arbeitsplätze bedroht, so Vassiliadis.

Michael Vassiliadis im Gespräch mit Friedbert Meurer | 11.02.2014
    Friedbert Meurer: Unlängst war BDI-Präsident Ulrich Grillo - Bundesverband der Deutschen Industrie - in Brüssel, und da schlug er Alarm. Die nächsten Wochen würden über die Zukunft energieintensiver Industrien in Deutschland entscheiden. Die EU-Kommission pocht auf fairen Wettbewerb, die Regierungen sollen ihre Industrien nicht subventionieren, auch nicht mit Rabatten oder Befreiungen bei der Öko-Umlage. Was sagen die Gewerkschaften? Heute ist Gipfel im Wirtschaftsministerium. Mit dabei Michael Vassiliadis von der IG Bergbau, Energie, Chemie, IG BCE abgekürzt. Guten Morgen, Herr Vassiliadis.
    Michael Vassiliadis: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Wollen die Gewerkschaften ähnlich wie Seehofer die Energiewende wieder zurückdrehen?
    Vassiliadis: Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen die Energiewende realisieren und wir wollen sie so realisieren, wie ein Industrieland das tut, nämlich indem man natürlich sich Ziele setzt, natürlich auch dafür Rahmenbedingungen schaffen muss. Aber vor allen Dingen eins, dass wir unser industrielles Netz, das am Ende die Voraussetzung dafür ist, dass wir das technisch und wirtschaftlich auf den Weg bringen, dabei auch in die Lage versetzen, das zu tun. Und der jetzige Stand der Energiewende bedroht durchaus Arbeitsplätze, aber auch ganze innovative Industriebereiche.
    Meurer: Stemmen Sie sich gegen Subventionskürzungen?
    Ziemlich große Subventionsmaschinerie aufgebaut
    Vassiliadis: Na ja, der Punkt ist: Wir haben eine ziemlich große Subventionsmaschinerie aufgebaut, um den Erfolg der Erneuerbaren zu bekommen. Das war ganz am Anfang auch sinnvoll, das habe ich auch immer unterstützt. Das hat mittlerweile eine Größenordnung erlangt, die finanziell, aber auch wirtschaftspolitisch natürlich sichtbar ist und umstritten ist. Und die Ausnahmen, die die energieintensiven Industrien bislang davon haben, dienen eigentlich der Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit. Und Brüssel hat nun ausgerechnet diese Ausnahmen und damit die gleichen Bedingungen, wie sie an den Weltmärkten herrschen, als Subvention bezeichnet und tituliert. Das stellt das Ganze jetzt auf den Kopf. Die Subventionen der Erneuerbaren führen jetzt auch noch zu Problemen in den Bereichen, die effiziente Energie benötigen, um ihre Produktion voranzubringen.
    Meurer: Aber der Punkt, Herr Vassiliadis, ist: Die EU-Kommission sagt oder hat den Verdacht, das ist unerlaubte Beihilfe. Wie wollen Sie aus der Nummer rauskommen?
    Vassiliadis: Na ja, Sie müssen ja sehen: Was vergleichen wir eigentlich? Wir vergleichen Strompreise und Energiepreise in Europa und in der Welt. Und wenn Sie das tun und diese energieintensiven Industrien, die bedauerlicherweise alle konzentriert sind bei mir in der Gewerkschaft und die gute Produktion und Innovation liefern, wenn Sie das vergleichen mit Frankreich, mit Italien, aber vor allen Dingen, wenn Sie es vergleichen mit USA und China, dann sind da keine Subventionen zu erkennen. Der eigentliche Punkt der Diskussion ist in Deutschland, nämlich die Frage, ob es gerecht ist, dass einzelne Akteure, dass wir, die Industrie, von den Umlagekosten ausgenommen sind. Die Wettbewerbsbedingungen sind dann verzerrt, wenn die Ausnahmen fallen.
    Meurer: Verzerren die Rabatte nicht die Produktion in Deutschland selbst? Nicht alle haben den Luxus, auf einer Liste zu stehen von mittlerweile, ich glaube, 3000 Betrieben, die von der EEG-Umlage befreit sind.
    Gerechtfertigte Grenzen zur Ausnahme?
    Vassiliadis: Unmittelbar stehen diejenigen, die nicht unter diese Sonderregelung fallen und die darunter fallen, in der Regel nicht in Konkurrenz und sind unterschiedliche Branchen. Der Punkt ist natürlich: Man kann die Frage stellen, ob jede Grenze, die man dort zieht zur Ausnahme, ob die gerechtfertigt ist. Das ist immer das Problem, wenn Sie ein Förderregime schaffen und dann Ausnahmen machen. Diese Debatte um die Frage, ist die Grenze richtig, die kann ich nachvollziehen. Da hat es auch eine Ausweitung gegeben, über die man sprechen kann, weil da zum Teil auch Unternehmen reingekommen sind in die Ausnahmeregelung, über die man streiten kann.
    Meurer: Wer gehört nicht hin auf die Liste?
    Vassiliadis: Es gab ja diese Beispiele von Golfplätzen und so weiter. Es gab vorher eine Definition, die die energieintensive und im Wettbewerb bestehende Industrie definiert hat, vor der Ausweitung. Eine Rückführung auf diese Grenze, darüber kann man reden, halte ich auch für sinnvoll, damit man diese Debatte beendet über Subventionen der Industrie. Es sind keine Subventionen aus meiner Sicht und es ist sozusagen das Herstellen gleicher Bedingungen in Europa und in der Welt.
    Meurer: Es geht ja nicht um Ja oder Nein, Herr Vassiliadis, sondern es geht, wie Sie sagen, um die Grenze. 3000 Betriebe oder nur 100 Betriebe – wo werden wir landen am Ende?
    Vassiliadis: Es waren vorher Tausend Betriebe, die mit einer Definition einer energieintensiven Produktion definiert waren. Und mit guter Absicht, vermute ich mal, hat die Bundesregierung gesagt, wir wollen das ausweiten, um Wettbewerbsprobleme zu vermeiden. Und diese Ausweitung hat auch zu diesen häufig in der Öffentlichkeit dargestellten, berechtigt dargestellten Fällen geführt, für die man wenig Argumente finden kann. Die Rückführung auf die ehemalige Regelung zehn Gigawatt als Identifikation halte ich für machbar. Das löst immer noch nicht die Debatte mit Europa, aber das löst sie vielleicht in Deutschland.
    Rückführung auf ehemalige Regelung zehn Gigawatt
    Meurer: Herr Vassiliadis, die Gewerkschaft IG BCE, der Sie vorstehen, vertritt natürlich die Interessen der Arbeitnehmer, die Angst um ihre Jobs haben. Steht die Gewerkschaft da nicht vor dem Zwiespalt, dass Sie die Arbeitnehmerinteressen doch höher setzen müssen als den Öko-Umbau?
    Vassiliadis: Sagen wir mal so: Wir stellen natürlich sehr, sehr kritisch die Frage, ob eine Abwägung zwischen wirtschaftlichen, zwischen sozialen Arbeitnehmerinteressen und dem Öko-Umbau wirklich in der Politik heute balanciert ist. Ich kann schon feststellen, dass in den letzten Jahren die Ziele des Ausbaus und die Ziele der Ökologie sehr, sehr hoch taxiert sind in Deutschland.
    Meurer: Zu hoch?
    Vassiliadis: Mit Blick auf viele, viele Probleme, die es in den Industrien gibt, hätte ich mir mehr Balance gewünscht. Da haben Sie völlig den Punkt getroffen. Und ich glaube auch, dass das geht. Man muss das nicht gegeneinander stellen. Man kann das besser ausbalancieren. Das ist allerdings nicht immer passiert.
    Meurer: Die Frage ist, ob das nicht ein bisschen kurzsichtig ist, jetzt auf die Jobs zu schauen. Es geht um eine Menge. Es geht um Klimawandel, es geht um eine gesunde Zukunft für unsere Kinder.
    Vassiliadis: Das ist richtig. Und wenn man den erreichen will, da bin ich ganz tief in der Debatte und gerne auch bereit, diese Diskussion aufzunehmen, wenn man den wirklich erreichen will, für den Klimawandel, für eine moderne, gute und in der Welt sonst nicht zu findende neue Energieversorgung Innovationen auf den Weg zu bringen, dann ist es sinnvoll, das in Industrien zu tun, die in Deutschland unter Bedingungen, sowohl sozial als auch ökologisch, unter Innovationsbedingungen, unter Know-how-Bedingungen arbeiten, die das realisieren können. Wenn man das hier verdrängt – bei der Solarindustrie haben wir das gesehen, die ist jetzt in China -, dann haben wir weder dem Klimaschutz, noch den guten Jobs, noch dem Standort einen Gefallen getan. Es geht nicht darum, Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß, wie Sie das vorhin schon sagten, sondern es geht darum, ob wir die Stärken dieses Standorts nutzen, um eine Energiewende gut zu machen. Dafür stehe ich.
    Meurer: Wenn Sie heute im Wirtschaftsministerium sind, bei Sigmar Gabriel, wird die Stromtrasse, über die jetzt alle reden, ein Thema sein?
    Über Michael Vassiliadis
    Geboren 1963 in Essen, Nordrhein-Westfalen. Der Gewerkschafter machte bis 1983 eine Ausbildung zum Chemielaboranten bei der Bayer AG in Dormagen und war im Anschluss daran bis 1986 dort beschäftigt. 1980 wurde er Mitglieder der IG Chemie-Papier-Keramik (IG CPK), die später in die IG Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) aufging. Seit 1981 ist er Mitglied der SPD. Seit 1986 widmet sich Vassiliadis hauptamtlich der Gewerkschaftsarbeit in unterschiedlichen Funktionen. 2009 wurde er zum Vorsitzenden der IG BCE gewählt.
    Vassiliadis: Mit Sicherheit. Das ist jetzt nicht in erster Linie das Thema der energieintensiven Industrien, aber das ist ein Thema der Energiewende. Was wir ja sehen können ist, dass die Überschrift Energiewende und Klimaschutz allen Politikern förmlich in jede Rede geschrieben wird, aber wenn es konkret wird, auch die Infrastruktur aufzubauen, um diese Energiewende voranzubringen, dann wird es doch manchmal sehr regional und die einzelnen Interessen der Regionen, der Länder kommen durch. Ich habe kein Verständnis dafür, wie Bayern sich in dieser Frage, wie die Regierung von Bayern sich in dieser Frage aufstellt. Bayern hat 60 Prozent Kernenergie, immer noch. Und hängt davon quasi ab, hat die höchste Dringlichkeit, erneuerbare Energien auch ins Land zu bekommen. Und dazu gehört natürlich auch eine Stromtrasse.
    Meurer: Man darf Stromtrassen nicht über die Köpfe der Betroffenen hinwegbauen, sagt Horst Seehofer. Was entgegnen Sie?
    Vassiliadis: Nein, da hat er völlig recht. Wir haben im übrigen – das wird ja oft gescholten: Aber wenn man sich mal genauer damit befasst, wie die traditionelle, konventionelle Energieerzeugung mit solchen Themen umgegangen ist – man kann da unterschiedlicher Meinung zu sein. Aber ich sage Ihnen: Dort wo wir in der Braunkohle beispielsweise massive Umsiedlungen, also wirklich harte Entscheidungen treffen müssen, da gibt es einen Interessensausgleich. Da werden die Menschen, ob die das nun für richtig oder falsch halten, ist eine andere Frage -, ihre Interessen und ihre finanziellen Sorgen werden ausgeglichen, die Natur wird renaturiert, da wird eine Menge Geld investiert, um diesen Ausgleich zu organisieren. Davon sind die Investoren erneuerbarer Energien weit entfernt. Und da muss es auch eine neue Diskussion über den Ausgleich von Interessen geben.
    Neue Diskussion über den Ausgleich von Interessen
    Meurer: Im Wirtschaftsministerium in Berlin gibt es heute einen Gipfel mit Vertretern der Industrie, der energieintensiven Industrie und der Gewerkschaften. Dabei auch Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie. Herr Vassiliadis, danke und auf Wiederhören.
    Vassiliadis: Vielen Dank, Herr Meurer. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.