Christian Schütte: Vertrauensverlust, politische Eiszeit, statt gemeinsamer Ziele krawallige Wortgefechte, so oder ähnlich lauteten Einschätzungen zum Zustand der Großen Koalition. Infolge der Landtagswahlkämpfe sei das Verhältnis zwischen Union und SPD schlechter denn je. Ist die Regierung nicht mehr handlungsfähig? Kanzlerin Merkel hat solche Befürchtungen beiseite getan bei ihrem mit Spannung erwarteten Besuch in der Bundespressekonferenz gestern. Doch nicht alle hat sie überzeugen können. (
MP3-Audio
, Beitrag von Wolfgang Labuhn)
Am Telefon ist nun Hans Eichel, früherer Finanzminister und derzeit als Abgeordneter für die SPD im Bundestag. Guten Morgen, Herr Eichel!
Hans Eichel: Guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Im Krieg und in der Liebe, da ist alles erlaubt. Herr Eichel, gilt das auch für Wahlkämpfe?
Eichel: Nein, natürlich nicht und ein Teil der Schärfe kommt daher, dass jedenfalls meine Partei den Eindruck hat, dass insbesondere in Hessen Herr Koch mit der Art, wie er die Debatte ja nicht um Jugendkriminalität, sondern um jugendliche Ausländer - die Debatte kann und darf man selbstverständlich führen, muss man auch führen , aber wie er sie geführt hat, eigentlich das überschritten hat, was man in Wahlkämpfen jedenfalls als jemand, der führend Verantwortung trägt, machen darf.
Schütte: Weil er mit Ängsten der Bevölkerung spielt?
Eichel: Weil er den Versuch unternimmt, jedenfalls billigend in Kauf nimmt und wohl doch auch kalkuliert, gegen eine Minderheit die Mehrheit zu mobilisieren, pauschal, statt das Thema beim Namen zu nennen. Und dann wird natürlich noch eines sichtbar: Er ist seit neun Jahren Ministerpräsident, und dann wird die Frage gestellt, was hast du denn gemacht? Und was hat er gemacht? Er hat zum Beispiel die Bewährungshilfe abgebaut. Er hat dadurch, dass er Richterstellen abgebaut hat, dafür gesorgt, dass von einer Tat bis zur Verurteilung - und bei jungen Leuten ist es wichtig, dass die Strafe auf dem Fuße folgt - die längste Zeit, die es in Deutschland überhaupt gibt, in Hessen vergeht. Und er hat Polizeistellen abgebaut. Das war kein Beitrag zur inneren Sicherheit und zur Bekämpfung der Kriminalität. Deswegen wird von vielen ja auch diese Debatte als nicht legitim angesehen. Man kann sich nicht einerseits so verhalten und andererseits im Wahlkampf ein solches Thema hochziehen und auf diese Weise.
Schütte: 1999 waren Sie, Herr Eichel, Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl in Hessen. Sie haben damals gegen Roland Koch verloren. Koch hatte mit einer Unterschriftenaktion der Union gegen die doppelte Staatsbürgerschaft - ein Projekt der rot-grünen Bundesregierung - für sich geworben. Nun der Wahlkampf in Hessen mit dem Thema Jugendstrafrecht. War das für Sie ein Déjà-vu-Erlebnis?
Eichel: Ich habe mich da sehr zurückgehalten, gerade aus dem Grunde, den Sie nennen. Wir haben übrigens damals als Sozialdemokraten zugelegt, aber die Grünen haben stark verloren und dadurch konnte die Koalition ja nicht mehr fortgesetzt werden. Aber es war so, dass die Menschen sofort ein Déjà-vu-Erlebnis hatten und alle gesagt haben, Moment, das kommt uns doch bekannt vor. Deswegen glaube ich ja auch, dass Herr Koch einen schweren Fehler gemacht hat, das Thema so hochzuziehen, weil sich alle sofort erinnert haben und weil dann auch anders als '99, als er selber in der Opposition war, diesmal nach neun Regierungsjahren die Frage gestellt wurde, was hast du denn zu diesem Thema wirklich beigetragen, was hast du getan in deiner Regierungszeit, um uns vor Kriminalität besser zu schützen?
Schütte: Roland Koch hat beim Wahlkampf die Grenzen überschritten, sagen Sie. Nun ist aber auch die SPD nicht gerade ein Unschuldslamm. Man denke an die Äußerungen des Fraktionschefs Peter Struck, "die CDU kann mich mal". Koch sei insgeheim froh gewesen über den Vorfall in der Münchener U-Bahn. (Text/ MP3-Audio ) Auch das eine Grenzüberschreitung?
Eichel: Ich bin dafür, dass wir solche Fragen möglichst trotzdem bei aller notwendigen Härte und Schärfe in der Sache auch persönlich wenig zugespitzt diskutieren. Das hängt in meinem Fall ja auch damit zusammen, dass ich selber Ministerpräsident in Hessen war, und das führt dann dazu, dass man sich selber etwas anders verhält. Peter Struck steht in der Nachfolge von Herbert Wehner, und Herbert Wehner hat gelegentlich deftige Ausdrücke gebraucht. Peter Struck tut das auch.
Schütte: Damit nimmt die SPD aber in Kauf, dass weiterhin Vertrauen verloren geht - jetzt gerade auch im Hinblick auf die Weiterarbeit in der Großen Koalition.
Eichel: Na gut, das sind zwei verschiedene Dinge. Wir wollen jetzt nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Es ging darum, was hier im Wahlkampf wie gemacht worden ist und ob man das eigentlich als führender Politiker, der eine Gesellschaft nicht spalten, sondern zusammenführen muss, tun darf. Da hat Peter Struck auch nicht zimperlich hingelangt. Das gibt es bei der Union auch. Da hat jeder seinen eigenen Stil, und, wie gesagt, meiner ist schon deswegen zurückhaltend, weil ich selber ja in Hessen Ministerpräsident gewesen bin. Dann betrachtet man das alles oder verhält sich ein bisschen anders.
Schütte: Man müsse das alles trennen, sagen Sie. Aber wie viel Unmut aus der Zwangsehe Große Koalition entlädt sich in diesen Tagen unter dem Deckmantel Wahlkampf?
Eichel: Es kann ja eines nicht dadurch ausgeschaltet werden, dass es in Berlin eine Große Koalition gibt: Die beiden großen Volksparteien sind die Hauptkonkurrenten, und ich glaube, auch im Sinne der Menschen im Lande ist, dass wir das Land nicht mit lauter Großen Koalitionen überziehen. Das ist ja auch gerade der Sinn dieses Wahlkampfs. Deswegen kämpft da jede der beiden großen Volksparteien um den Führungsanspruch und möglichst, ohne dass es nachher eine Große Koalition dort auch geben muss.
Schütte: Die Koalition sei weiterhin handlungsfähig und regierungswillig. Das ist die offizielle Linie, wie sie auch die Bundeskanzlerin vertreten hat. Für wie glaubwürdig halten Sie, Herr Eichel, den Auftritt der Regierungschefin gestern bei der Bundespressekonferenz?
Eichel: Es war jedenfalls das Signal, dass sie doch nicht gänzlich sich in das Fahrwasser von Herrn Koch begeben hat, obwohl das zunächst so zu sein schien. Und sie muss als Regierungschefin auch versuchen, da ein bisschen Abstand zu halten.
Schütte: Aber sie hat Koch unterstützt?
Eichel: Sie hat Koch unterstützt. Deswegen war das für sie auch ein Balanceakt. Sie hat ihn allerdings nicht unterstützt bei der letzten Forderung, das Jugendstrafrecht gegebenenfalls auch auf 12- oder 13-Jährige zu übertragen. Da hat sich der CDU-Bundesvorstand ja ausdrücklich distanziert, und da musste Herr Koch dann auch zurückrudern. Aber natürlich muss man in einer solchen Situation als Regierungschefin ein bisschen darauf achten - und Kurt Beck hat ja entsprechend reagiert -, dass die Gräben nicht so tief werden, dass hinterher, wenn die Wahlkämpfe um sind, nicht die Sacharbeit fortgesetzt werden kann. Ich glaube aber das wird gelingen. Dafür sind alle Beteiligten lange genug in der Politik, um zu wissen, dass die Große Koalition, die ja keiner gewollt hat, aber die die Wähler erzwungen haben, natürlich bis 2009 nicht nur zusammenhalten muss - darum geht es eigentlich gar nicht -, sondern dass sie vernünftige Arbeit leisten muss. Und das Land ist ja in den letzten Jahren und in Fortsetzung der Reformen, die wir in rot-grüner Zeit gemacht haben, auch gut voran gekommen. Das kann man doch nicht anders sagen. Also hat die Regierung etwas zu Wege gebracht, und sie wird auch weiter etwas zu Wege bringen.
Schütte: Was war denn Ihr Eindruck, wohin Angela Merkel die Koalition führen will?
Eichel: Das war eigentlich von Anfang an das große Problem. CDU und SPD sind ja aus sehr, sehr kontroversen Positionen in diese Koalition hineingegangen. Die Union, wenn Sie sich erinnern, wollte von Vornherein die Arbeitnehmerrechte beschneiden, also die Mitbestimmung, den Kündigungsschutz und die Tarifautonomie. Das war das grundsätzliche Nein der SPD zu solchen Vorhaben, und das hat die Union ja auch akzeptiert, dass in einer Großen Koalition mit der SPD das auf gar keinen Fall geht und das überhaupt nicht erst Gegenstand von irgendwelchen Verabredungen oder irgendwelchen politischen Ansätzen wird. Danach haben wir doch wie beim Thema Mindestlohn, wenn das alles auch sehr schwierig ist zwischen den beiden Parteien, einiges zu Wege gebracht. Die Überprüfung der Zeit- und Leiharbeit auf Missbrauchstatbestände ist gemeinsam verabredet. Und wenn Sie sich die wirtschaftliche Lage, den Abbau der Arbeitslosigkeit, auch den Rückgang der Staatsverschuldung ansehen - jedenfalls der Neuverschuldung, noch nicht der absoluten Verschuldung, die wächst ja immer noch ein Stückchen, obwohl sie im vorigen Jahr nicht gewachsen ist -, dann sind das doch alles erfolgreiche Ansätze. Das, denke ich, wird auch gehen, aber es gibt natürlich Dinge wie bei der Gesundheitsreform, wo nach wie vor die Union den Beitrag pro Kopf, also eine richtige Kopfpauschale, will und die Sozialdemokratie die Bürgerversicherung. Da wird man sich nicht einigen. Da muss man die nächste Wahl abwarten und sehen, ob da eine Entscheidung getroffen wird durch die Wähler, die dann eine eindeutige Lösung möglich macht.
Schütte: Herr Eichel, das Jugendstrafrecht soll weiter Thema sein auch nach den Landtagswahlen, so die Union. Kurz zum Schluss: Wird sich die SPD nach den Wahlen dem Thema öffnen?
Eichel: Nicht im Sinne einer Verschärfung der Strafen. Das haben ja auch alle Fachleute ganz deutlich gesagt. Aber zum Beispiel, es kann nicht so weitergehen, dass in Hessen und manchem anderen Bundesland auch es viele Monate dauert, ehe dann die Strafe, ehe das Urteil auf die Tat folgt. Das muss sehr rasch geschehen. Im Übrigen muss man sehr viel früher noch ansetzen - das fängt ja bei den Krippenplätzen an -, jungen Leuten eine Perspektive zu geben. Darum geht es in dieser Gesellschaft. Nur für den Extremfall, dass dies nicht gelungen ist, muss das Strafrecht eingreifen und dann insbesondere schnell und nicht langsam wie in Hessen.
Schütte: Hans Eichel, früherer Bundesfinanzminister und heute als Abgeordneter der SPD im Bundestag. Ich danke für das Gespräch!
Eichel: Ja. Bitteschön Herr Schütte.
Am Telefon ist nun Hans Eichel, früherer Finanzminister und derzeit als Abgeordneter für die SPD im Bundestag. Guten Morgen, Herr Eichel!
Hans Eichel: Guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Im Krieg und in der Liebe, da ist alles erlaubt. Herr Eichel, gilt das auch für Wahlkämpfe?
Eichel: Nein, natürlich nicht und ein Teil der Schärfe kommt daher, dass jedenfalls meine Partei den Eindruck hat, dass insbesondere in Hessen Herr Koch mit der Art, wie er die Debatte ja nicht um Jugendkriminalität, sondern um jugendliche Ausländer - die Debatte kann und darf man selbstverständlich führen, muss man auch führen , aber wie er sie geführt hat, eigentlich das überschritten hat, was man in Wahlkämpfen jedenfalls als jemand, der führend Verantwortung trägt, machen darf.
Schütte: Weil er mit Ängsten der Bevölkerung spielt?
Eichel: Weil er den Versuch unternimmt, jedenfalls billigend in Kauf nimmt und wohl doch auch kalkuliert, gegen eine Minderheit die Mehrheit zu mobilisieren, pauschal, statt das Thema beim Namen zu nennen. Und dann wird natürlich noch eines sichtbar: Er ist seit neun Jahren Ministerpräsident, und dann wird die Frage gestellt, was hast du denn gemacht? Und was hat er gemacht? Er hat zum Beispiel die Bewährungshilfe abgebaut. Er hat dadurch, dass er Richterstellen abgebaut hat, dafür gesorgt, dass von einer Tat bis zur Verurteilung - und bei jungen Leuten ist es wichtig, dass die Strafe auf dem Fuße folgt - die längste Zeit, die es in Deutschland überhaupt gibt, in Hessen vergeht. Und er hat Polizeistellen abgebaut. Das war kein Beitrag zur inneren Sicherheit und zur Bekämpfung der Kriminalität. Deswegen wird von vielen ja auch diese Debatte als nicht legitim angesehen. Man kann sich nicht einerseits so verhalten und andererseits im Wahlkampf ein solches Thema hochziehen und auf diese Weise.
Schütte: 1999 waren Sie, Herr Eichel, Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl in Hessen. Sie haben damals gegen Roland Koch verloren. Koch hatte mit einer Unterschriftenaktion der Union gegen die doppelte Staatsbürgerschaft - ein Projekt der rot-grünen Bundesregierung - für sich geworben. Nun der Wahlkampf in Hessen mit dem Thema Jugendstrafrecht. War das für Sie ein Déjà-vu-Erlebnis?
Eichel: Ich habe mich da sehr zurückgehalten, gerade aus dem Grunde, den Sie nennen. Wir haben übrigens damals als Sozialdemokraten zugelegt, aber die Grünen haben stark verloren und dadurch konnte die Koalition ja nicht mehr fortgesetzt werden. Aber es war so, dass die Menschen sofort ein Déjà-vu-Erlebnis hatten und alle gesagt haben, Moment, das kommt uns doch bekannt vor. Deswegen glaube ich ja auch, dass Herr Koch einen schweren Fehler gemacht hat, das Thema so hochzuziehen, weil sich alle sofort erinnert haben und weil dann auch anders als '99, als er selber in der Opposition war, diesmal nach neun Regierungsjahren die Frage gestellt wurde, was hast du denn zu diesem Thema wirklich beigetragen, was hast du getan in deiner Regierungszeit, um uns vor Kriminalität besser zu schützen?
Schütte: Roland Koch hat beim Wahlkampf die Grenzen überschritten, sagen Sie. Nun ist aber auch die SPD nicht gerade ein Unschuldslamm. Man denke an die Äußerungen des Fraktionschefs Peter Struck, "die CDU kann mich mal". Koch sei insgeheim froh gewesen über den Vorfall in der Münchener U-Bahn. (Text/ MP3-Audio ) Auch das eine Grenzüberschreitung?
Eichel: Ich bin dafür, dass wir solche Fragen möglichst trotzdem bei aller notwendigen Härte und Schärfe in der Sache auch persönlich wenig zugespitzt diskutieren. Das hängt in meinem Fall ja auch damit zusammen, dass ich selber Ministerpräsident in Hessen war, und das führt dann dazu, dass man sich selber etwas anders verhält. Peter Struck steht in der Nachfolge von Herbert Wehner, und Herbert Wehner hat gelegentlich deftige Ausdrücke gebraucht. Peter Struck tut das auch.
Schütte: Damit nimmt die SPD aber in Kauf, dass weiterhin Vertrauen verloren geht - jetzt gerade auch im Hinblick auf die Weiterarbeit in der Großen Koalition.
Eichel: Na gut, das sind zwei verschiedene Dinge. Wir wollen jetzt nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Es ging darum, was hier im Wahlkampf wie gemacht worden ist und ob man das eigentlich als führender Politiker, der eine Gesellschaft nicht spalten, sondern zusammenführen muss, tun darf. Da hat Peter Struck auch nicht zimperlich hingelangt. Das gibt es bei der Union auch. Da hat jeder seinen eigenen Stil, und, wie gesagt, meiner ist schon deswegen zurückhaltend, weil ich selber ja in Hessen Ministerpräsident gewesen bin. Dann betrachtet man das alles oder verhält sich ein bisschen anders.
Schütte: Man müsse das alles trennen, sagen Sie. Aber wie viel Unmut aus der Zwangsehe Große Koalition entlädt sich in diesen Tagen unter dem Deckmantel Wahlkampf?
Eichel: Es kann ja eines nicht dadurch ausgeschaltet werden, dass es in Berlin eine Große Koalition gibt: Die beiden großen Volksparteien sind die Hauptkonkurrenten, und ich glaube, auch im Sinne der Menschen im Lande ist, dass wir das Land nicht mit lauter Großen Koalitionen überziehen. Das ist ja auch gerade der Sinn dieses Wahlkampfs. Deswegen kämpft da jede der beiden großen Volksparteien um den Führungsanspruch und möglichst, ohne dass es nachher eine Große Koalition dort auch geben muss.
Schütte: Die Koalition sei weiterhin handlungsfähig und regierungswillig. Das ist die offizielle Linie, wie sie auch die Bundeskanzlerin vertreten hat. Für wie glaubwürdig halten Sie, Herr Eichel, den Auftritt der Regierungschefin gestern bei der Bundespressekonferenz?
Eichel: Es war jedenfalls das Signal, dass sie doch nicht gänzlich sich in das Fahrwasser von Herrn Koch begeben hat, obwohl das zunächst so zu sein schien. Und sie muss als Regierungschefin auch versuchen, da ein bisschen Abstand zu halten.
Schütte: Aber sie hat Koch unterstützt?
Eichel: Sie hat Koch unterstützt. Deswegen war das für sie auch ein Balanceakt. Sie hat ihn allerdings nicht unterstützt bei der letzten Forderung, das Jugendstrafrecht gegebenenfalls auch auf 12- oder 13-Jährige zu übertragen. Da hat sich der CDU-Bundesvorstand ja ausdrücklich distanziert, und da musste Herr Koch dann auch zurückrudern. Aber natürlich muss man in einer solchen Situation als Regierungschefin ein bisschen darauf achten - und Kurt Beck hat ja entsprechend reagiert -, dass die Gräben nicht so tief werden, dass hinterher, wenn die Wahlkämpfe um sind, nicht die Sacharbeit fortgesetzt werden kann. Ich glaube aber das wird gelingen. Dafür sind alle Beteiligten lange genug in der Politik, um zu wissen, dass die Große Koalition, die ja keiner gewollt hat, aber die die Wähler erzwungen haben, natürlich bis 2009 nicht nur zusammenhalten muss - darum geht es eigentlich gar nicht -, sondern dass sie vernünftige Arbeit leisten muss. Und das Land ist ja in den letzten Jahren und in Fortsetzung der Reformen, die wir in rot-grüner Zeit gemacht haben, auch gut voran gekommen. Das kann man doch nicht anders sagen. Also hat die Regierung etwas zu Wege gebracht, und sie wird auch weiter etwas zu Wege bringen.
Schütte: Was war denn Ihr Eindruck, wohin Angela Merkel die Koalition führen will?
Eichel: Das war eigentlich von Anfang an das große Problem. CDU und SPD sind ja aus sehr, sehr kontroversen Positionen in diese Koalition hineingegangen. Die Union, wenn Sie sich erinnern, wollte von Vornherein die Arbeitnehmerrechte beschneiden, also die Mitbestimmung, den Kündigungsschutz und die Tarifautonomie. Das war das grundsätzliche Nein der SPD zu solchen Vorhaben, und das hat die Union ja auch akzeptiert, dass in einer Großen Koalition mit der SPD das auf gar keinen Fall geht und das überhaupt nicht erst Gegenstand von irgendwelchen Verabredungen oder irgendwelchen politischen Ansätzen wird. Danach haben wir doch wie beim Thema Mindestlohn, wenn das alles auch sehr schwierig ist zwischen den beiden Parteien, einiges zu Wege gebracht. Die Überprüfung der Zeit- und Leiharbeit auf Missbrauchstatbestände ist gemeinsam verabredet. Und wenn Sie sich die wirtschaftliche Lage, den Abbau der Arbeitslosigkeit, auch den Rückgang der Staatsverschuldung ansehen - jedenfalls der Neuverschuldung, noch nicht der absoluten Verschuldung, die wächst ja immer noch ein Stückchen, obwohl sie im vorigen Jahr nicht gewachsen ist -, dann sind das doch alles erfolgreiche Ansätze. Das, denke ich, wird auch gehen, aber es gibt natürlich Dinge wie bei der Gesundheitsreform, wo nach wie vor die Union den Beitrag pro Kopf, also eine richtige Kopfpauschale, will und die Sozialdemokratie die Bürgerversicherung. Da wird man sich nicht einigen. Da muss man die nächste Wahl abwarten und sehen, ob da eine Entscheidung getroffen wird durch die Wähler, die dann eine eindeutige Lösung möglich macht.
Schütte: Herr Eichel, das Jugendstrafrecht soll weiter Thema sein auch nach den Landtagswahlen, so die Union. Kurz zum Schluss: Wird sich die SPD nach den Wahlen dem Thema öffnen?
Eichel: Nicht im Sinne einer Verschärfung der Strafen. Das haben ja auch alle Fachleute ganz deutlich gesagt. Aber zum Beispiel, es kann nicht so weitergehen, dass in Hessen und manchem anderen Bundesland auch es viele Monate dauert, ehe dann die Strafe, ehe das Urteil auf die Tat folgt. Das muss sehr rasch geschehen. Im Übrigen muss man sehr viel früher noch ansetzen - das fängt ja bei den Krippenplätzen an -, jungen Leuten eine Perspektive zu geben. Darum geht es in dieser Gesellschaft. Nur für den Extremfall, dass dies nicht gelungen ist, muss das Strafrecht eingreifen und dann insbesondere schnell und nicht langsam wie in Hessen.
Schütte: Hans Eichel, früherer Bundesfinanzminister und heute als Abgeordneter der SPD im Bundestag. Ich danke für das Gespräch!
Eichel: Ja. Bitteschön Herr Schütte.