Donnerstag, 18. April 2024

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Struck: Koch will mit Ausländerfeindlichkeit Wahl gewinnen

In der Debatte über Jugendgewalt verschärft SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck seine Angriffe gegen den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). "Ich glaube, dass Roland Koch ja eigentlich von Herzen froh war, dass dieser schreckliche Vorfall in München in der U-Bahn passiert ist", sagte Struck. Es stelle sich die Frage, ob der CDU-Politiker das Thema auch so hochgezogen hätte, wenn die Täter deutscher Herkunft gewesen wären.

Moderation: Christoph Heinemann | 11.01.2008
    Christoph Heinemann: Peter Struck freut sich. Auch für den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion kommt es nicht alle Tage vor, dass er einem Literaturnobelpreisträger die Hand schütteln darf, noch dazu einem, der politisch ins sozialdemokratische Weltbild passt. Günter Grass wird heute den SPD-Bundestagsabgeordneten seine Aufwartung machen. Ob es dabei um ideologischen Beistand geht, oder ob sich die Volksvertreter eher sprachlich befruchten lassen wollen - vielleicht ja keine schlechte Idee angesichts einfältiger Wahlkampfprosa -, das wollen wir gleich den Fraktionschef selbst fragen. Guten Morgen, Peter Struck!

    Peter Struck: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Wieso also haben Sie Günter Grass eingeladen?

    Struck: Günter Grass ist einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller. Er ist ein Sozialdemokrat vom Herzen her, nicht vom Parteibuch her, hat unserer Partei immer kritisch zur Seite gestanden. Das letzte Mal war Günter Grass in der SPD-Fraktion vor 34 Jahren. Herbert Wehner hatte ihn damals eingeladen. Das war die Zeit der sozialliberalen Koalition, eine kritische Zeit, auch kurz vor dem Rücktritt von Willy Brandt. Es ist ein ganz besonderes Ereignis für die SPD-Fraktion. Wir wollen ja unsere Jahresauftaktklausur auch vor allen Dingen mit der Planung des politischen Jahres 2008 vor allen Dingen bestreiten, aber Günter Grass ist nun wirklich ein großes Highlight in der Fraktion.

    Heinemann: Und was erwarten Sie sich? Wahlkampfhilfe mit der Blechtrommel, oder eher kritische Unkenrufe?

    Struck: Ich denke eher kritische Unkenrufe, denn Günter Grass ist jemand, der sehr sozial engagiert ist. Ich habe auch von ihm freundlicherweise seine Rede vorab bekommen gestern, die er heute Morgen halten wird. Da gibt es schon einige kritische Bemerkungen über die Arbeit der Großen Koalition, aber vor allen Dingen dann über den Anteil der Sozialdemokraten in dieser Großen Koalition. Der Tenor ist dann vor allen Dingen auch, dass Günter Grass uns darauf hinweist, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen noch wirklich großer Handlungsbedarf besteht. Zum Beispiel bei dem Thema Bekämpfung der Kinderarmut macht Grass bedeutend eindringliche Aussagen dazu.

    Heinemann: Zum Beispiel?

    Struck: Er sagt, ein Land wie Deutschland, ein so reiches Land, ein auch sozial gesichertes Land wie unser Land kann es sich überhaupt nicht erlauben, dass wir über Kinderarmut hier reden müssen, dass wir klagen müssen, dass Kinder obdachlos sind, dass er uns auffordert, hier auch mehr zu tun, als bisher getan worden ist. Ich sehe das genauso. Wir haben ja auch in unserer SPD-Fraktion eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Kinderarmut beschäftigt: Was können wir alles tun? Können wir einen Kinderzuschlag für geringverdienende Eltern geben? Wo können wir einen sogenannten Erwerbstätigenzuschlag auch festlegen? Wie ist es mit den Regelsätzen bei Hartz IV, also beim Arbeitslosengeld II? Da wird im Herbst dieses Jahres ja dann ein Bericht vorliegen, wie sich diese Sätze entwickelt haben und wie sie angepasst werden müssten. Das sind so die allgemeinen Hinweise von Grass auf das, was wir politisch dann umzusetzen haben.

    Heinemann: Schon peinlich für Ihre Partei. Sie sind schließlich seit 1998 an der Macht.

    Struck: Peinlich insofern, als wir es nicht geschafft haben, Kinderarmut zu verhindern. Nun weiß man, dass es immer in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die aus welchen Gründen auch immer stark benachteiligt sind, die zu einer unteren Schicht gehören, denen man intensiver helfen muss als bisher. Dieses Phänomen wird es immer geben, in jeder zivilisierten Gesellschaft oder einer Arbeitsgesellschaft, so wie wir sie in Deutschland haben. Trotzdem sehe ich schon Handlungsmöglichkeiten und auch Verbesserungsmöglichkeiten.

    Heinemann: Herr Struck, es ist Wahlkampf auch in Berlin. Wenn man von der rhetorischen Schale jetzt mal zum inhaltlichen Kern vordringt, also sozusagen beim Häuten der Zwiebel, dann müssten Sie eingestehen, dass Roland Koch Ihnen die Butter vom Brot genommen, sprich das Thema Mindestlohn aus den Schlagzeilen gestrichen hat. Zumindest im Wahlkampf ist die Rollenverteilung zwischen Katz und Maus klar?

    Struck: Na ich denke schon, dass die Katze, wenn ich Roland Koch mal mit der Katze vergleiche, sich inzwischen in den Schwanz gebissen hat. Nachdem mehr und mehr Fakten bekannt werden, auch vor allen Dingen aus dem Land, in dem er seit einigen Jahren ja regiert, was die Streichung von Stellen für den Bereich Justiz angeht - also Richter und Justizvollzugsbeamte und den Bereich der Polizei angeht-, dann wendet sich das alles gegen ihn inzwischen. Jeder weiß, dass es einmal ein rein wahlkampftaktisches Thema war, das er da plötzlich hochgezogen hat, und zum anderen weiß man, dass gerade in seinem Land nicht genügend getan worden ist, um zum Beispiel Verfahren zu beschleunigen, um zu erreichen, dass jemand, der eine solche Tat begeht, auch relativ schnell verurteilt werden kann.

    Heinemann: Gleichwohl setzt die CDU die Themen. Wäre so etwas Franz Müntefering eigentlich auch passiert?

    Struck: Das sehe ich eigentlich nicht, Herr Heinemann, dass die CDU die Themen setzt. Es ist dieses eine Thema. Es wendet sich gegen sich selbst. Wir haben die Themen gesetzt, nicht nur im Wahlkampf in Hessen, sondern auch in Niedersachsen, in Hamburg, vor allen Dingen auch im Bund, in der öffentlichen Debatte mit dem Thema "Gute Arbeit, guter Lohn". Mindestlohn ist ein Thema, das ja weit in die Wählerschaft der CDU auch hineinwirkt, deren Anhänger zu 80 Prozent ebenso der Meinung sind, dass wir einen Mindestlohn in Deutschland brauchen wie in vielen anderen europäischen Ländern. Dieses Thema Mindestlohn oder "Gute Arbeit, guter Lohn" wird uns das ganze Jahr 2008 beschäftigen, weil die Union sich dort nach wie vor weigert, einen solchen gesetzlichen Mindestlohn für Deutschland festzulegen.

    Heinemann: Nur während des Wahlkampfs ruht der Mindestlohn in der Schublade.

    Struck: Nein. Es ist vereinbart worden, dass wir bis Ende März die Branchen auffordern, die in das sogenannte Entsendegesetz aufgenommen werden wollen, entsprechende Anträge zu stellen. Wir reden von etwa jetzt im Augenblick zirka zehn Branchen - zum Beispiel das private Sicherungsgewerbe oder die Entsorgungswirtschaft oder die fleischverarbeitende Industrie -, die auf der Liste stehen und die sagen wir wollen, dass ein solcher Mindestlohn installiert wird bei uns. Da gibt es zusätzlich dann noch das so genannte Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Das heißt, da, wo es überhaupt keine Tarifvereinbarungen gibt, kann über eine Novellierung eines ganz alten Gesetzes aus den 50er Jahren auch ein gesetzlicher Mindestlohn vereinbart werden. Das geht das ganze Jahr über, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Struck, noch mal zum Erscheinungsbild der SPD bei dem wichtigsten Wahlkampfthema oder dem augenblicklich wichtigsten Wahlkampfthema. Man hört, dass sich auch in der Fraktion die Begeisterung zum Beispiel über den Auftritt von Frau Zypries im Fernsehen bei "hart aber fair" in Grenzen gehalten haben soll. Wieso saß da nicht Kurt Beck oder Peter Struck?

    Struck: Ich habe das nicht gehört, so wie Sie das jetzt eben dargestellt haben. Ich finde, Brigitte Zypries hat eine völlig klare Linie und sehr konsequente und überzeugende Linie vertreten in dieser Fernsehsendung. Es ist auch nicht das Hauptthema im Landtagswahlkampf, in Hessen möglicherweise, weil Herr Koch jeden Tag darüber redet, aber zu seinen Lasten, wie sich inzwischen auch in den Meinungsumfragen zeigt. In anderen Ländern, in dem Land, aus dem ich komme, in Niedersachsen, ist das Thema Lohn das Hauptthema, auch in Hamburg. Von daher sage ich, dass wir mit unserer nicht nur Wahlkampfstrategie, sondern politischen Arbeit, die wir heute ja auch intensiv erörtern werden, noch genau richtig liegen.

    Heinemann: Stichwort Wahlkampf in Hamburg: "Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus und zwar schnell." So schrieb Gerhard Schröder, der jetzt wieder Wahlkampf macht, am 20. Juli - übrigens ausgerechnet 20. Juli - 1997. Mit welchem Recht kritisieren Sie heute Roland Koch?

    Struck: Ich glaube, dass Roland Koch ja eigentlich von Herzen froh war, dass dieser schreckliche Vorfall in München in der U-Bahn passiert ist.

    Heinemann: Das ist eine böse Unterstellung!

    Struck: Ja, das weiß ich. Aber trotzdem: Ich meine, er arbeitet auch nur mit Unterstellungen.

    Heinemann: Womit arbeitet denn Schröder?

    Struck: Moment mal, Herr Heinemann. Ich frage mich, ob Herr Koch zum Beispiel das Thema auch so hochgezogen hätte, wenn es zwei deutsche Jugendliche gewesen wären, die diesen Rentner da malträtiert haben. Insofern sage ich, es ist sozusagen der reine zweite Versuch gewesen, mit dem Thema Ausländer und Ausländerfeindlichkeit wieder eine Wahl zu gewinnen, die auch bei ihm auf der Kippe steht. Und man muss nun wirklich bei den Fakten bleiben. Ich rede jetzt nicht nur von Hessen, sondern es geht darum, dass wir in Deutschland - jedenfalls in seinem Land ganz besonders - zu lange Zeit haben zwischen der Straftat selbst, der Ermittlung der Täter und der Verurteilung der Täter. Und wenn jemand als ausländischer Mitbürger eine solche Straftat begeht, ist natürlich auch die Möglichkeit, die rechtliche Möglichkeit, ihn abzuschieben. Dass das in seinem Land nicht so gemacht worden ist, das bedauere ich, aber es ist ja halt so.

    Heinemann: Ich hatte eigentlich nach Gerhard Schröder gefragt. Wenn Michael Naumann ihn, den Altkanzler einlädt, dann eben den ganzen Schröder, das heißt auch denjenigen, der Putin für einen lupenreinen Demokraten hält.

    Struck: Wollen wir jetzt über Schröder reden?

    Heinemann: Würde sich Willy Brandt nicht im Grabe umdrehen, wenn er so etwas hört?

    Struck: Was soll das denn! Was wollen Sie mit mir über Schröder reden? Dass Schröder eine gute Regierungszeit gehabt hat, das ist ja in Ordnung und ist doch gar keine Frage.

    Heinemann: Aber mit welchen Parolen, und wieso kritisieren Sie dann Herrn Koch? Mit welchem Recht kritisieren Sie Herrn Koch, wenn ein Wahlkämpfer von einem lupenreinen Demokraten spricht?

    Struck: Weil er eine völlig falsche Politik macht. Wir reden doch im Wahlkampf nicht über Putin. Was soll denn das!

    Heinemann: Ja, aber Sie werben mit jemandem, der Putin …

    Struck: Lassen Sie das sein, Herr Heinemann. Das macht doch gar keinen Sinn, mit mir über Putin zu reden, wenn wir über den hessischen Landtagswahlkampf sprechen.

    Heinemann: Wir reden über Schröder, den Wahlkämpfer Schröder.

    Struck: Ja. Schröder hat eine gute Regierungsarbeit gemacht. Das werden Sie ja wohl nicht bestreiten. Und dass Schröder in vergangenen Zeiten auch bestimmte Aussagen gemacht hat, sehr exponiert, will ich auch nicht bestreiten. Wir reden über die absolute Situation jetzt, wie es im Lande Hessen ist, und da sage ich: Die von Herrn Koch losgetretene Kampagne fällt gegen ihn zurück.

    Heinemann: Herr Struck, mit Blick auf die Art und Weise, wie sich SPD und Union gegenseitig behaken - Sie haben von Zickereien gesprochen -, beginnen jetzt die Hundejahre der Koalition?

    Struck: Nein. Es ist so, dass man natürlich in Wahlkampfzeiten - wir haben jetzt drei Landtagswahlen in den nächsten zwei Monaten – natürlich pointierter Formuliert. Es ist völlig klar, dass diese Koalition bis zum Jahr 2009 zusammen bleiben wird, zusammenarbeiten wird. Wir haben noch einige Punkte zu erledigen. Zum Beispiel auch heute bei uns in der Fraktion über das Thema Klimakatastrophe geredet, das sogenannte Klimapaket, das die Bundesregierung beschlossen hat, das wir jetzt umsetzen werden in den nächsten Monaten im Parlament. Da stehen natürlich auch noch andere Fragen an wie Neuordnung der Arbeitsförderungsbedingungen im Arbeitsministerium und in der Bundesagentur für Arbeit, Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Also insofern werden wir noch nach den Wahlen, die jetzt bis Ende Februar laufen - zuletzt mit Hamburg -, natürlich wieder zu einer vernünftigen Sacharbeit zurückkehren können.

    Heinemann: Günter Grass kommt also heute in die Fraktion. Ganz kurz zum Schluss. Ich habe jetzt während des Gesprächs einige Titel genannt. Welches Buch von Grass ist Ihr Lieblingswerk?

    Struck: Das ist "Das weite Feld", das sich ja sehr auf Fontane bezieht. Das finde ich ein ganz beeindruckendes Buch. Ich denke jedes Mal an das Buch, wenn ich im Bundesfinanzministerium bin, denn da arbeitet ja die Hauptfigur Fonty von Günter Grass.

    Heinemann: Genau. Peter Struck, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Struck: Danke auch. Tschüss, Herr Heinemann.