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"Eichmann wusste natürlich sehr viel"

"Wenn er ausgepackt hätte, dann wären aber etliche Leute ins Schleudern gekommen." Gaby Weber beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Adolf Eichmann und der Rolle der Geheimdienste bei desssen Verhaftung. In Berlin erinnert aktuell eine Ausstellung an den Eichmann-Prozess vor fast 50 Jahren.

Gabriele Weber im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 05.04.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Er gilt als der Prozess des vergangenen Jahrhunderts, das Verfahren gegen den Organisator des Holocaust Adolf Eichmann vor fast genau 50 Jahren. Ab morgen erinnert eine große Ausstellung im Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors" an dieses Ereignis. Heute wird die Ausstellung offiziell eröffnet. Das ist ein Ereignis, das durch erst kürzlich zugänglich gemachte Dokumente neue Brisanz erfahren hat. Die freie Journalistin Gaby Weber nämlich, sie hat sich vor Gericht den Einblick in Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes erstritten und meldet Zweifel an der Version, wonach der israelische Geheimdienst Mossad es gewesen sein soll, der Eichmann in Argentinien aufgespürt und nach Israel entführt haben soll. Gaby Weber habe ich gefragt, weshalb sie Zweifel hat an der offiziellen Version.

    Gaby Weber: Na ja, das sind keine gesicherten Erkenntnisse. Diese Version von der sogenannten Entführung von Eichmann durch den Mossad, die ist ja durch Journalisten entstanden, und dann ab 1975 haben mehrere Mossad-Agenten, darunter auch der Mossad-Chef, Bücher dazu geschrieben, aber es hat sich niemand bemüht, diese Version zu überprüfen. Und ich meine, wir alle wissen doch – und vor allem Historiker sollten das wissen -, dass Geheimdienste nicht dazu da sind, die Wahrheit zu pflegen. Also ich frage mich, warum sich eigentlich niemand mal gefragt hat, ob der Mossad nicht genauso lügt wie alle anderen Geheimdienste auch.

    Heckmann: Wer steckte denn aus Ihrer Sicht dahinter?

    Weber: Na ja, ich habe in sehr vielen Archiven gesucht. Nach meinem Wissen haben die Amerikaner dabei die Regie geführt. Ich habe ja auch den Bundesnachrichtendienst verklagt und habe einen Teil der Akten schon gesehen. Daraus geht hervor, von diesen ganzen Nazis, die hier in Argentinien in den 50er-Jahren gewesen sind, dass die alle mindestens für einen Geheimdienst gearbeitet haben. Zum Beispiel Adolf Eichmann selbst hat nach den BND-Unterlagen Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst gehabt, was auch gar kein Wunder ist, weil die Sowjets haben damals natürlich auch hier in Südamerika mitmischen wollen. Und der Mann, der ihn lange interviewt hat, dieser Wim Sassen, also ein verurteilter, mehrmals verurteilter Kriegsverbrecher, der hat für die CIA. Also er ist zumindest regelmäßig in die US-Botschaft gegangen und hat dort Rapport abgelegt. Also auch andere aus dem Umkreis von Eichmann haben Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit gehabt, und ich wundere mich einfach, dass jetzt, wo die Sachen auf dem Tisch liegen, dass sich die deutsche Wissenschaft so schwer tut, diese neuen Erkenntnisse, überhaupt auf sie einzugehen, sondern sie einfach nur ignoriert.

    Heckmann: Gibt es denn handfeste Belege, Frau Weber, dafür, dass die Amerikaner die Federführung damals gehabt haben sollen, oder sind das nur Indizien?

    Weber: Na ja, man kann natürlich in den USA in den Archiven recherchieren. Da gibt es zum Beispiel das Bundesarchiv. Was dort liegt über die Eichmann-Entführung – die Eichmann-Entführung wird dort praktisch nicht erwähnt. Es geht da bei den Unterlagen nur um das, was im Sicherheitsrat, im UN-Sicherheitsrat passiert ist. Aber alle Berichte des damaligen Botschafters, die liegen dort nicht und es gibt auch keine Hinweise, dass da irgendwo noch Geheimakten seien. Die müssen also noch beim State Departement liegen und die müssen noch bei der CIA liegen.
    Ich habe natürlich seit Jahren versucht, sowohl beim State Departement als auch bei der CIA meine Anträge zu stellen. Das State Departement hat mir überhaupt nicht geantwortet. Also es gibt hier ein sehr liberales, sehr fortschrittliches Freedom of Information Act Gesetz in den USA. Also sie müssten antworten, und das State Departement hat mir gar nicht geantwortet. Die CIA antwortet immerhin und ich habe sehr konkrete Fragen gestellt. Ich habe zum Beispiel gefragt, ich möchte jetzt die Berichte alle über Herrn Sassen haben. Im gesamten US-Bundesarchiv gibt es zu Herrn Sassen, also IM Spitzel in dem Eichmann-Kreis, nicht einen einzigen Hinweis. Der Mann war in der Waffen-SS, der Mann ist in Belgien zum Tode verurteilt wegen Kriegsverbrechen, in Holland zu 20 Jahren, und die USA, also auch das Document Center, die wollen noch nicht mal einen Hinweis, einen Eintrag haben. Das kann also nicht stimmen.
    Jetzt habe ich also bei der CIA beantragt, und dann schicken sie mir als Antwort einen Bericht, der schon vor 30 Jahren freigegeben worden ist, allgemeine Ausführungen über die Nazi-Szene hier in Argentinien. Also sie beantworten die Frage nicht.

    Heckmann: Frau Weber, der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA und der Bundesnachrichtendienst, der deutsche, die wussten vom Aufenthaltsort Eichmanns offenbar schon lange vor seiner Ergreifung. Was ist der Grund aus Ihrer Sicht, dass sich da trotzdem niemand rührte?

    Weber: Also der BND oder damals noch die Organisation Gehlen, die wussten eigentlich seit Kriegsende, wo Eichmann steckte. Das hat der BND jetzt noch mal in anderen Papieren herausgebracht. Auch die CIA wusste das die ganze Zeit. Ich meine, die Geheimdienste, sowohl Ost wie West, hatten ihre eigenen Leute in diesem Nazi-Trupp hier in Argentinien und die haben natürlich auch versucht, sich in die Weltpolitik wieder einzumischen, also vor allem in Fragen, was die Wiedervereinigung angeht, was die Einbindung Deutschlands in die NATO angeht, und da gab es natürlich sehr widersprüchliche Auffassungen. Die Nazis waren überhaupt nicht für eine Anbindung an das Westbündnis, an die NATO, und es kam ja dann auch von Krustschow irgendwann mal das Angebot auf Wahlen in Gesamtdeutschland, aber eben unter der Bedingung einer Entnazifizierung und vor allem einer Entmilitarisierung, und dieses Angebot ist von den Amerikanern als nicht akzeptabel abgelehnt worden.

    Heckmann: Muss man denn so weit gehen zu sagen, dass die Regierung Adenauer Eichmann deckte, um eigene Leute zu schützen, etwa Kanzleramtsminister Hans Globke?

    Weber: Na ja, Eichmann wusste natürlich sehr viel. Aus den BND-Unterlagen habe ich zum Beispiel entnommen, dass er für den sowjetischen Geheimdienst eine Liste von 200 Namen angefertigt hat von Nazis, die in Ostberlin noch in Regierungsposten gesessen haben. Es wäre natürlich interessant, diese Liste zu sehen. Und in Bonn hat eben vor allem Kanzleramtssekretär Globke, aber auch Vertriebenenminister Oberländer, Verkehrsminister Seebohm, das waren alles alte Nazis. Und was da ganz sicher war: die haben ja auch schon ganz treu dem Führer gedient. Also natürlich war Eichmann so was wie eine wandelnde Bombe, weil er wusste sehr viel an Kontinuität von den Nazis, und wenn er ausgepackt hätte, dann wären etliche Leute aber ins Schleudern gekommen. Nur als er dann in Israel war und als er vor Gericht war, er hat ja niemanden belastet, es sei denn Leute, die schon tot waren oder noch im Untergrund waren. Aber da ist ja dann nichts mehr weiter herausgekommen, es gab keine neuen Prozesse, es gab keine neuen Erkenntnisse gegen noch lebende, auch gegen das argentinische Nazi-Exil. Also das finde ich eine sehr große Enttäuschung, auch was sozusagen die israelischen Ermittler gemacht haben, und das lässt darauf schließen, dass es da Absprachen hinter den Kulissen gegeben hat über eine Finanzierung durch die Bundesrepublik.

    Heckmann: Welche Rolle spielte da das israelische Atomprogramm?

    Weber: Na ja, die Israelis haben ja versucht, seit den 50er-Jahren schon in den Besitz der Atombombe zu gelangen, und die Amerikaner waren damals noch dagegen. Und sie haben sich dann zuerst an die Franzosen gewandt, die standen dann auch unter Druck der Amerikaner. De Gaulle hat ihnen dann gesagt, das geht nicht, und dann haben sie sich an die Deutschen gewandt. Sie haben zunächst drei Millionen aus dem Etat des Atomministeriums bekommen und dann haben sie noch einmal im Laufe von mehreren Jahren 630 Millionen D-Mark bekommen, und zwar vorbei am Finanzminister, vorbei am Parlament, das war ein Deal zwischen Ben-Gurion und Adenauer, und ich habe die Dokumente ja eingesehen im Auswärtigen Amt, die damit überhaupt nicht glücklich waren, und da geht es um die Finanzierung eines Entwicklungsprojekts in der Negev-Wüste. Also das ist das Atomkraftwerk Dimona in der Negev-Wüste.

    Heckmann: Wie geht der Bundesnachrichtendienst heute mit den Akten um? Sie haben sich ja Akteneinsicht gerichtlich erstritten.

    Weber: Ich hatte das erste Verfahren im April letzten Jahres gewonnen und ich habe einen Teil der Akten schon bekommen, mit sehr vielen Schwärzungen. Das sind praktisch nur Unterlagen über den Prozess und sehr wenige interessante Sachen. Ich bin jetzt in der zweiten Runde. Frau Merkel hat dann eine zweite Sperrerklärung nachgereicht, die praktisch identisch ist mit der ersten, und ihr einziges Argument, das sie noch hat, ist, ja, der Mossad, also ein Geheimdienst im Nahen Osten, der würde sich ärgern, wenn wir das jetzt freigeben würden. Aber ich meine, das interessiert natürlich ein bundesdeutsches Gericht nicht. Also mein Anwalt meint, wir werden den Prozess gewinnen, im Endeffekt vielleicht scheibchenweise, aber ich gehe davon aus, dass wir alle Akten bekommen werden und dass am Ende auch die Wahrheit auf den Tisch kommt.

    Heckmann: Und dann werden wir vielleicht Näheres erfahren. – Heute wird die Ausstellung "Der Prozess- Adolf Eichmann vor Gericht" im Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors" in Berlin offiziell eröffnet. Wir haben gesprochen mit der freien Journalistin Gaby Weber. Ihr Feature "Die Entführungslegende oder: Wie kam Eichmann nach Jerusalem?" können Sie nachlesen unter www.dradio.de. Frau Weber, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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