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"Ein Bundespräsident kann nicht Reformmotor einer Nation sein"

"Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kennt keinen Macherpräsidenten", sagt Klaus Schrotthofer. Horst Köhlers Amtsverständnis und aktive Einmischung müsse vom Nachfolger schnell geändert werden.

29.06.2010
    Tobias Armbrüster: In Berlin kommt morgen die Bundesversammlung zusammen, um einen neuen Bundespräsidenten zu wählen. Mit dieser Wahl wird dann auch ein Schlussstrich unter die Ära Horst Köhler gezogen; am Donnerstag wird ein neues Staatsoberhaupt einziehen ins Schloss Bellevue in Berlin. Die Gründe und die Begleitumstände für den Rücktritt von Horst Köhler, die sind unterdessen immer noch nicht ganz genau geklärt. Köhler selbst hat die Reaktion auf sein umstrittenes Afghanistan-Interview als Beweggrund genannt, aber in den letzten Wochen ist auch klar geworden, dass der Präsident möglicherweise die falschen Berater hatte. Was muss sich also ändern in Schloss Bellevue, wenn der neue einzieht? – Darüber habe ich gestern mit Klaus Schrotthofer gesprochen, er war vor einigen Jahren Sprecher für den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau. Und ich habe Herrn Schrotthofer zunächst gefragt, was der neue Präsident am schnellsten ändern sollte.

    Klaus Schrotthofer: Ich glaube, am allerschnellsten sollte der neue Bundespräsident das Amtsverständnis des bisherigen Bundespräsidenten ändern.

    Armbrüster: Nämlich? Wie lautete das?

    Schrotthofer: Ich habe jedenfalls den Eindruck in den letzten Jahren gehabt, dass Horst Köhler zumindest die Idee hatte, dass sein Amt eine operative Aufgabe, eine operative Komponente enthält, und ich glaube, das ist der Kern eines großen Missverständnisses, das dieser Amtsführung dann zugrunde gelegen hat und das letztlich auch dann zu diesem, wie ich finde, doch sehr überraschenden Abgang geführt hat.

    Armbrüster: Was verbirgt sich denn hinter diesem Wort "operative Bedeutung"? Was hat er gedacht, was könnte er bewirken?

    Schrotthofer: Horst Köhler hat ja von sich selber gleich am Anfang gesagt, dass er das Amtsverständnis sozusagen verändern will. Er hat gesagt, er will Reformmotor dieses Landes sein, und das ist eine Aufgabe, die ein Bundespräsident jedenfalls nach den Möglichkeiten, die ihm die Verfassung gibt, gar nicht leisten kann. Horst Köhler hat zu ganz vielen tagespolitischen Fragen sehr detailliert Stellung genommen und das führt dazu, dass man natürlich, wenn man sich in die Tagespolitik einlässt, auch mit Kritik rechnen muss, mit anderen Äußerungen rechnen muss. Das hat ihn ja zum Schluss, wie er sagt, einen Mangel an Respekt empfinden lassen. Es zeigt aber zugleich – und das ist die ernst zu nehmendere Dimension des Ganzen -, wie begrenzt diese operative Komponente, so es sie denn überhaupt gibt – ich bestreite das ja -, dieses Amtes tatsächlich ist. Ein Bundespräsident kann nicht Reformmotor einer Nation sein. Ein Bundespräsident kann auch nicht der Schiedsrichter sein in tagespolitischen Angelegenheiten. Ich glaube, es ist ein Missverständnis zu erwarten, dass der Bundespräsident sich als 37. zum Thema Steuererhöhungen ja oder neun äußert. Ich glaube, es ist nicht Aufgabe des Bundespräsidenten, sich im Detail zu Gesetzgebungsvorgängen zu äußern.

    Armbrüster: Aber Herr Schrotthofer, zeigt die Debatte der vergangenen Wochen denn nicht, dass sich die Deutschen genau einen solchen, ich sage mal, eher Macherpräsidenten wünschen?

    Schrotthofer: Es mag ja sein, dass die Deutschen sich einen Macherpräsidenten wünschen. Ich bin gar nicht sicher, ob das tatsächlich so ist. Aber das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kennt keinen Macherpräsidenten und ich glaube, das ist ein anderes, was sich mit dem neuen Bundespräsidenten hoffentlich ändern wird, im Interesse dieses Amtes, dass der Bundespräsident sich nämlich nicht mehr als Gegenentwurf zur politischen Klasse positioniert und profiliert.

    Armbrüster: Sind Sie denn da zuversichtlich, wenn wir uns mal die Kandidatenriege ansehen, dass sich der nächste Bundespräsident tatsächlich so doch eher zurücknehmen wird?

    Schrotthofer: Er muss sich nicht zurücknehmen. Ich glaube, er muss andere Schwerpunkte und Akzente setzen. Schauen Sie, Horst Köhler hat ja immer wieder – sehr häufig jedenfalls nach meinem Dafürhalten – den Eindruck vermittelt, die politischen Parteien würden wider besseres Wissen das objektiv Richtige blockieren, und das halte ich für eine außerordentlich fragwürdige Positionierung für den Repräsentanten dieses politischen Systems. Der Bundespräsident repräsentiert ja nicht die Fußballnation Deutschland, sondern er präsentiert ein ganz konkretes staatspolitisches Modell, und in diesem staatspolitischen Modell in unserer Verfassung sind die politischen Parteien, sind die handelnden Politiker die Träger der operativen Dinge. Indem sich ein Bundespräsident sozusagen als Gegenentwurf zu den Handelnden und den dafür vorgesehenen Menschen positioniert, kann er sicherlich sehr einfach Popularitätspunkte bei den Menschen im Lande sammeln, aber er fördert auch in letzter Konsequenz, auch wenn das zunächst hart klingen mag, Demokratieverdrossenheit, denn wenn der Bundespräsident sagt, ich weiß ja, wo es langgeht, aber die politischen Parteien tun das nicht, weil sie sich ständig im politischen Klein-Klein verhaken, sagt er etwas objektiv Falsches. Demokratie ist ja nicht irgendeine Schönwetterveranstaltung. Es gibt politische Parteien, die streiten miteinander. man muss nicht mit jeder Partei übereinstimmen, aber man kann doch nicht – und noch dazu als höchster Repräsentant dieses Systems – den Generalverdacht ständig unterstützen, dass die da oben sich in Wahrheit um ganz andere Dinge kümmern, als die Menschen unten im Land verlangen würden. Das halte ich für einen Bundespräsidenten jedenfalls eine sehr einfache und sehr schlichte Position.

    Armbrüster: War Horst Köhler da schlecht beraten im Schloss Bellevue?

    Schrotthofer: Das weiß ich nicht. Ich war ja nicht im Schloss Bellevue in den letzten Jahren. Aber es gibt ja Hinweise darauf, dass es Menschen gab, die ihn beraten haben, sehr stark in diese Tagespolitik hineinzugehen, sehr stark auch in Schlagzeilen zu operieren, zu agieren, und es gab Menschen offenbar, die auch mit Blick auf die Balance in unserem politischen Gefüge stärker wieder den Akzent auf die eigentliche Aufgabe des Bundespräsidenten gelegt haben. Die, hoffe ich, kommt in Zukunft wieder stärker zum tragen, denn ich glaube, das Amt des Bundespräsidenten ist von großer Bedeutung für dieses Land, aber nicht in dem Sinne, dass der Bundespräsident tagespolitische Hinweise gibt, sondern tatsächlich langfristige, sehr grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen erkennt und Impulse gibt.
    Ich sage mal ein konkretes Beispiel, das ich in meiner Zusammenarbeit mit dem Bundespräsidenten Johannes Rau erlebt habe. Da ist früh erkannt worden, dass beispielsweise die Betrachtung der Migration in Deutschland zwischen Vorurteilen, Klischees und auch der Negierung von Realitäten bestanden hat. In einer seiner ersten Berliner Reden, "Ohne Angst und ohne Träumereien" war der Titel dieser Rede, hat er versucht darzulegen, wie beide Seiten, damals noch rechtes und linkes politisches Lager, sich der Realität annähern müssen und damit, glaube ich, auch den Weg geebnet zu einer späteren Gesetzgebung, ohne sich aber im Detail auf diese Gesetzgebung einzulassen.

    Armbrüster: Das heißt, man muss da ein bisschen indirekt agieren als Bundespräsident?

    Schrotthofer: Nicht indirekt – grundlegend. Ich glaube, der künftige Bundespräsident muss diesem Amt eine gedankliche und intellektuelle Tiefe wiedergeben, die wir jedenfalls in den letzten Jahren gelegentlich vermisst haben.

    Armbrüster: Ich muss da noch mal zu meiner Ausgangsfrage zurückkommen. Heißt das, wir brauchen, oder der neue Bundespräsident sollte sich um neues Personal kümmern, vor allen Dingen in seinen Beraterstäben?

    Schrotthofer: Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Ich hoffe, dass der neue Bundespräsident, egal wie er nun heißen wird, die geeigneten Beraterinnen und Berater finden wird. Es gibt bestimmt keinen Mangel auch an hervorragenden Beratern in diesem Bundespräsidialamt, das ich immer – damals jedenfalls in meiner Zeit – erlebt habe als Einrichtung, die sich so ein bisschen auch als Elite versteht, jedenfalls als Elite des Beamtentums und als Menschen, die wirklich viel Lebenszeit, viel Engagement, viel Leidenschaft investieren in das Anliegen, in das Ziel, diesem Staatsoberhaupt tatsächlich zu helfen, es zu unterstützen. Das gelingt umso leichter, je mehr sich der Bundespräsident auf seine eigentlichen Tätigkeiten konzentriert, und da ist viel, viel zu tun. Ich glaube, dass diesem Land ganz dringend eine Instanz wiedergegeben werden muss, die in den langen Linien tatsächlich Visionen entwickelt und die dem Land auch das Gefühl vermittelt, dass es identitätsstiftende Institutionen gibt. So viele davon haben wir ja nicht mehr in dieser Zeit, in der sich auch Lebensstile, in der sich soziale Strukturen immer stärker ausdifferenzieren und auseinander wegbewegen.

    Armbrüster: ... , sagt Klaus Schrotthofer, ehemaliger Sprecher des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schrotthofer.

    Schrotthofer: Ich danke Ihnen.

    <u>Zur Wahl des Bundespräsidenten auf dradio.de:</u>

    Die Wahl des neuen Bundespräsidenten - Ablauf und Hintergründe

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