Dienstag, 07. Mai 2024

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"Ein Freund der Action und ein schießwütiger Pistolero"

Kurt Breucker, ehemaliger Vorsitzender des Staatsschutzsenats beim Oberlandesgericht Stuttgart, hat sich skeptisch zum Gnadengesuch des RAF-Terroristen Christian Klar geäußert. Er habe Zweifel, ob eine Kriminalprognose positiv ausfallen würde. Über das Gnadengesuch müsse der Bundespräsident entscheiden. Er könne auch berücksichtigen, ob Klar Worte des Bedauerns ausgesprochen habe, betonte Breucker.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 30.01.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Er war der jüngste Richter im Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart und hatte es mit einem Prozess zu tun, der in die Geschichte der Bundesrepublik einging: mit dem Stammheim-Prozess gegen die RAF-Terroristen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Später verurteilte Kurt Breucker als Vorsitzender Richter Beteiligte an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Vor ihm saßen RAF-Terroristen wie Adelheid Schulz und Susanne Albrecht, aber auch Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar, über deren Haftentlassung beziehungsweise Begnadigung derzeit heftig diskutiert wird in Deutschland. - Am Telefon ist jetzt Kurt Breucker, ehemaliger Vorsitzender des Staatsschutzsenats beim Oberlandesgericht Stuttgart, des Senates also, der nun über eine Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt zu entscheiden hat. Herr Breucker, jetzt wollen Sie Ihren Nachfolgern sicher nicht ins Geschäft funken. Dennoch: worauf sollten sie achten, wenn es um die Entlassung von Brigitte Mohnhaupt geht?

    Kurt Breucker: Über diesen Punkt ist in der Öffentlichkeit oft der falsche Eindruck entstanden, dass der Strafsenat, dem ich ja früher als Vorsitzender angehört habe, jetzt frei sei in der Entscheidung, ob Frau Mohnhaupt entlassen werden kann oder nicht nach 24 Jahren, oder ob sie länger drin bleiben muss. Darüber wird der Senat jetzt nicht mehr entscheiden, denn das ist bereits entschieden. Zwar hat die Frau Mohnhaupt hohe Schuld auf sich geladen, denn sie war an insgesamt neun Morden beteiligt und an weiteren neun Mordversuchen, die also die RAF umgebracht hat. Deshalb konnte sie auch nicht schon nach 15 Jahren Haft vorzeitig entlassen werden. Weil ihre Schuld nämlich besonders schwer wiegt, wurde bereits entschieden, dass sie nicht vor Verbüßung von 24 Jahren entlassen werden kann. Mancher mag das für zu wenig halten, aber das steht nun mal fest.

    Jetzt wird der Strafsenat des OLG darüber nicht erneut entscheiden. Das Gericht hat jetzt nur zu prüfen, ob der Gefangenen Mohnhaupt jetzt eine günstige Kriminalprognose gestellt werden kann.

    Heckmann: Würden Sie davon ausgehen, dass das so ist?

    Breucker: Ja gut, das Gesetz formuliert es so: Eine Entlassung kann nur erfolgen unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit. Ob das vorliegt weiß ich nicht. Ich bin aber ziemlich sicher, dass von Frau Mohnhaupt keine Gefahr mehr ausgeht.

    Heckmann: Wie hat denn Frau Mohnhaupt auf Sie gewirkt? Sie haben sie ja kennen gelernt. Zwar ist sie verurteilt worden von Ihren Vorgängern am Oberlandesgericht, aber Sie haben sie als Zeugin gehört und Sie haben ihr ja auch ein Gespräch angeboten.

    Breucker: Ja. Frau Mohnhaupt war fanatisch, war rigoros, war völlig unflexibel. Sie lag bis zuletzt, bis ich aus dem Amt geschieden bin, immer auf der Linie der Hardliner und war eine ganz verbissene und fanatische Vertreterin des bewaffneten Kampfes der RAF.

    Heckmann: Und sie hat das Gesprächsangebot, das Sie ihr gegeben hatten, abgelehnt, weil sie sagte, das würde erst interessant werden in 15 Jahren, nämlich wenn es um eine Haftentlassung gehen würde.

    Wie sieht es denn im Fall Christian Klar aus? Beim Bundespräsidenten liegt das Gnadengesuch vor. Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie darüber zu entscheiden hätten?

    Breucker: Christian Klar, das war ja schon immer ein Freund der Action und ein schießwütiger Pistolero. Der hat ja noch mehr Morde auf dem Gewissen als die Frau Mohnhaupt. Deshalb hat man bei ihm ja entschieden, dass er frühestens nach 26 Jahren entlassen werden kann. Diese 26 Jahre sind noch nicht herum, so dass er im gerichtlichen Verfahren jetzt nicht frei kommen könnte. Jetzt hat er deshalb den Gnadenweg gewählt, und über den hat allein der Bundespräsident zu entscheiden. Wie der entscheiden wird, ist allein seine freie Willensentscheidung. Natürlich wird auch der Bundespräsident die Justizministerin hören, den Generalbundesanwalt hören. Er wird auch die Anstaltsleitung hören und möglicherweise einen psychiatrischen Sachverständigen. Ich maße mir nicht an, dem Bundespräsidenten einen Rat zu geben. Dafür hat er kompetente Mitarbeiter und Ratgeber genug.

    Heckmann: Aber inwieweit spielt das Thema Reue eine Rolle? Ist das eine notwendige Bedingung für einen Gnadenakt?

    Breucker: Es ist nicht schädlich für einen Gnadenakt. Formell gibt es da keine Voraussetzungen. Bei der Frau Mohnhaupt zum Beispiel ist es so: man darf nicht denken, ihre Entlassung hinge jetzt ab von Reue. Es kommt bei ihr lediglich auf die Prognose an, also auf den Blick in die Zukunft. Wenn sie eine Gewähr bietet, dass sie künftig keine Straftaten mehr begehen wird, dann wird sie entlassen, ob sie nun bereut oder nicht. Bei Christian Klar könnte das anders aussehen, denn der Bundespräsident ist völlig frei in seiner Entscheidung und der kann auch berücksichtigen, ob er bereut hat oder ob er je ein Wort des Bedauerns ausgesprochen hat, jemals Mitgefühl mit den Opfern oder mit den Angehörigen seiner Opfer geäußert hat. Mir sind solche Äußerungen von Klar nicht bekannt.

    Heckmann: Der "Spiegel" berichtet in seiner jüngsten Ausgabe, dass Klar vor Jahren seine Taten bedauert haben soll in einem Brief an den damaligen Bundespräsidenten Rau. Jetzt ist es so, dass der frühere Präsident des Bundeskriminalamtes Zachert sagt, dass Christian Klar wieder gefährlich werden könnte, wenn er in Freiheit ist. Ist das nicht Panikmache?

    Breucker: Nein, das halte ich nicht für Panikmache. Wer Christian Klar erlebt hat - und ich habe ihn ja wiederholt vernommen und wiederholt erlebt -, der war die Inkarnation von Hass und von Entschlossenheit, den bewaffneten Kampf fortzusetzen.

    Heckmann: Immer wieder ist jetzt von ehemaligen RAF-Terroristen der Verweis darauf zu hören, dass die Massenmörder des Nationalsozialismus nach wenigen Jahren wieder frei gekommen sind, wenn sie überhaupt verurteilt worden sind. Peter-Jürgen Boock hat sich kürzlich hier im Deutschlandfunk dementsprechend geäußert. Er hat gesagt, die Forderung nach Reue bedeute für ihn die Forderung nach einem Kniefall vor der Gesellschaft. Zeigt das nicht eine mangelnde Distanz zu den eigenen Taten?

    Breucker: Das war immer schon der Versuch der RAF-Leute zu vernebeln, dass sie immer behauptet haben, wir sollen hier gezwungen werden zum Kniefall, man will uns das Kreuz brechen, man will uns den aufrechten Gang verbieten. Das ist alles nicht richtig. Bei der vorzeitigen bedingten Entlassung ist das alles Entscheidende die günstige Prognose, also wenn die Freiheitsstrafe verbüßt ist, die Schuld angemessen ist. Dann ist alles nur eine Frage der günstigen Prognose. Das war immer Stimmungsmache, wenn sie gesagt haben, wir können doch nicht zu Kreuze kriechen, wir können doch nicht unsere eigene Geschichte verraten. Das erwartet man von ihnen nicht, aber klare Erklärungen, glaubhafte klare Erklärungen, dass sie künftig keine Straftaten mehr begehen werden. Da kann man bei Christian Klar durchaus Zweifel haben.

    Heckmann: Herr Breucker, inwiefern ist diese Diskussion, die jetzt geführt wird, auch ein Anlass für Sie, über Ihre eigene Rolle nachzudenken, über die Rolle des Staates und die Rolle der Justiz in der damaligen bleiernen Zeit? Haben da Staat und Justiz nicht überreagiert?

    Breucker: Da verstehe ich Ihre Frage eigentlich kaum, und zwar deshalb: Die Straftäter, die RAF-Leute haben damals sich ganz bewusst über die Gesetze hinweggesetzt, weil sie ihr Verständnis von Menschlichkeit für das Maß aller Dinge hielten. Und was haben wir Richter gemacht? Wir haben das Gesetz angewendet, haben angeklagte Taten versucht aufzuklären und wenn wir die Schuld festgestellt haben, haben wir das Gesetz angewendet. Das gab uns gar keinen anderen Spielraum, als für Morde lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen. Da habe ich überhaupt kein Problem und da habe ich auch gar keinen Anlass, über meine Rolle nachzudenken.

    Heckmann: Es geht jetzt weniger um die Urteile als um Themen wie Kontaktsperre, Rasterfahndung, überhaupt die Haftbedingungen.

    Breucker: Kontaktsperre und Rasterfahndung werden oft als Beispiele für ein Unrechtsverhalten des Staates angeführt. Gehen wir mal von der Kontaktsperre aus. Das gab es bis dahin nicht, aber bei der Schleyer-Entführung wurde die Kontaktsperre angeordnet und vom Bundesgerichtshof als vorübergehend rechtmäßig anerkannt. Das Gericht hat dann verlangt, dass dies künftig nur durch ein Gesetz gehen könnte. Dieses Gesetz hat man alsbald verabschiedet und es hat beim Bundesverfassungsgericht Bestand gehabt. Also das ist alles von einer überzeugenden demokratischen Mehrheit im Bundestag beschlossen worden und vom Bundesverfassungsgericht als rechtmäßig abgesegnet worden.

    Heckmann: Herr Breucker, würden Sie abschließend gefragt sagen, dass das Thema RAF, der Terror der Roten Armee Fraktion dabei ist, jetzt abgeschlossen zu werden, in die Geschichtsbücher verwiesen zu werden?

    Breucker: Nein. Das wird weiterhin in der Diskussion bleiben. Eine Fernsehgesellschaft plant ja schon für den nächsten Herbst, wenn sich der so genannte "deutsche Herbst" zum 30. Mal jährt, eine große Dokumentation, eine drei- bis viergliedrige Fernsehsendung. Da wird alles noch mal hochkommen. Ich bin auch vielfach als Vortragsredner über RAF-Themen unterwegs und weiß, wie lebendig das Interesse noch an diesem Thema ist.

    Heckmann: Kurt Breucker war das, ehemaliger Vorsitzender des Staatsschutzsenats beim Oberlandesgericht Stuttgart.