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Ein Imam in Kopenhagen
"Muslim und Däne zu sein, ist kein Widerspruch"

Das "Dansk Islamisk Center" und sein Imam Waseem Hussain setzen sich für eine dänische Form des Islam ein. Alle Veranstaltungen und Gebete werden auf Dänisch gehalten, die Moschee ist offen für alle. Honoriert wird das von der dänischen Gesellschaft nicht, findet Hussain.

Von Jana Sinram | 17.04.2019
Der Imam Waseem Hussain in Kopenhagen
Dänemark sei stolz auf die Freiheit des Individuums, sagt Waseen Hussain - und wünscht sich, dass diese auch Muslimen eingeräumt wird (Deutschlandradio / Jana Sinram)
Eine kleine Moschee im Stadtteil Nørrebro in Kopenhagen. Etwa 80 Männer sitzen auf dem türkisfarbenen Teppich und lauschen dem Adhān, dem islamischen Gebetsruf. In einem Nebenraum haben sich einige Frauen versammelt, das Freitagsgebet wird per Lautsprecher übertragen.
Wir preisen Allah in Anerkennung seiner Größe, beginnt Imam Abdul Wahid Pedersen seine Ansprache, die er, mit Ausnahme der Gebete, komplett auf Dänisch hält. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Moscheen in Dänemark will man hier im "Dansk Islamisk Center" ganz bewusst Muslime ansprechen, die kein Türkisch, Arabisch oder Urdu verstehen, erklärt Waseem Hussain. Auch er ist Imam, 1983 geboren, und leitet die Moschee:
"Wenn wir uns 'Dänisches Islamzentrum' nennen, dann sagen wir damit: Wir sind Dänen. Unser Leben ist hier, wir sind hier geboren und aufgewachsen, hier ist die Gesellschaft, die wir kennen. Wir sind Muslime, die darauf bestehen: Wir sind Dänen."
70 Prozent der Muslime besitzen dänische Staatsbürgerschaft
Dass es gar nicht so einfach ist, beides zusammenzubringen, erlebt Waseem Hussain seit seiner Kindheit. Er wurde in Helsingør als Sohn pakistanischer Einwanderer geboren. Die schwarzen Haare und die braunen Augen verraten seine Herkunft, sein Dänisch mit dem Kopenhagener Dialekt tut es nicht. Nach dem Gymnasium studierte Hussain erst Ingenieurwesen, dann islamische Theologie. Heute arbeitet er neben seinem Job als Moscheevorsitzender auch als Gefängnis-Imam in Kopenhagen – und beteiligt sich immer wieder an der Mediendebatte über Muslime in Dänemark.
"Es wird darüber gesprochen, als sei es ein Widerspruch, Muslim und gleichzeitig Däne zu sein. Also, wenn Du Muslim bist, bist Du nicht Dänisch. Und wenn Du Däne bist, bist Du auf keinen Fall Muslim. Dieses Verständnis gibt es. Obwohl 70,4 Prozent der hier lebenden Muslime die dänische Staatsbürgerschaft haben."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Unter Dänen. Über die Grenzen der Integration".
Das erlebe sogar schon seine sieben Jahre alte Tochter, erzählt der Imam. Mit seiner Frau habe er sich neulich über seine Nichte unterhalten und erzählt, dass die sich als Dänin fühle und nicht als Pakistanerin. Das habe seine Tochter mitbekommen.
Ist sie wirklich Dänin, habe seine Tochter ihn ganz schockiert gefragt.
"Und ich habe geantwortet: Ja, ist sie das nicht? Und sie sagte: Nein, sie ist keine Dänin. Und ich: Klar ist sie Dänin, Du bist auch Dänin, und sie: Nein, ich bin Muslima."
Dass schon eine Siebenjährige diesen Unterschied wahrnehme, zeige, wie sehr Muslime um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen müssten, meint Hussain.
"Vor vielen Jahren haben sie gesagt: Lernt die Sprache, dann seid Ihr Dänisch. Also haben die Leute begonnen, die Sprache zu lernen. Da haben sie gesagt: Nein, Ihr braucht erst Arbeit. Also haben sich die Leute Arbeit gesucht. Dann hieß es: Nein, Ihr braucht auch eine gute Ausbildung. Also jedes Mal, wenn die Leute die Bedingungen erfüllt haben, um Dänisch zu werden, haben sie die Bedingungen geändert."
"Maskierungsverbot - Ihr wisst schon, was wirklich gemeint ist"
Fremdenhass im Allgemeinen und Hass gegen Muslime im Speziellen hätten in den letzten drei Jahrzehnten zugenommen und gehörten inzwischen überall zum Mainstream, sagt Imam Abdul Wahid Pedersen in seiner Ansprache und meint damit nicht nur den tödlichen Anschlag auf zwei Moscheen in Neuseeland im März. Seit dem letzten Sommer gilt in Dänemark ein Verhüllungsverbot. Seitdem darf niemand sein Gesicht mit Burka oder Niqab verschleiern, auch Masken oder künstliche Bärte sind verboten.
Bei Verstößen drohen Geldstrafen. Für Waseem Hussain ist völlig klar, auf wen das Gesetz zielt.
"Die Politiker sagen: Es ist ein Burkagesetz. Wenn es auch ganz offiziell nur darum ginge, wäre das Diskriminierung, also nennt man es Maskierungsverbot und sagt: Ihr wisst schon, was wirklich gemeint ist."
Muslimin im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro
Straßenszene im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro. Das Bild ist von 2015 - sein Gesicht zu verschleiern, ist in Dänemark seit 2018 verboten. (Deutschlandradio / Jana Sinram)
Eine Burka tragen die allerwenigsten muslimischen Frauen in Dänemark, ein Kopftuch dagegen viele. Nach dem Freitagsgebet will eine der Moscheebesucherinnen über ihre Situation in Dänemark sprechen – auf Englisch, da könne sie ihre Gedanken besser ausdrücken, sagt sie. Die junge Frau mit dem senfgelben Kopftuch ist vor ein paar Jahren aus Pakistan nach Dänemark gekommen, hat hier geheiratet, schnell einen Job als Juristin gefunden – und sich erst dann dazu entschlossen, ihr Haar zu verdecken, nachdem sie sich näher mit dem Islam beschäftigt hat.
"Ich mache mir Sorgen, dass sie uns irgendwann sagen werden, dass wir unsere Kopftücher abnehmen müssen. Eine politische Partei hatte Plakate mit dem Satz: Das Kopftuch gehört nicht nach Dänemark, es ist nicht dänisch. Ich frage mich nur: Was ist dänisch?"
"Es ist jetzt so extrem, es geht gar nicht mehr schlimmer"
Für Imam Waseem Hussain jedenfalls ist es kein Widerspruch, Dänin zu sein und Kopftuch zu tragen. Oder – wie er selbst - Personen des anderen Geschlechts nicht die Hand zu geben.
"Uns wird ständig gesagt: In Dänemark machen wir das so und so. Ich bin aber hier aufgewachsen und habe mir ausgesucht, manche Dinge anders zu machen. Das, worauf Dänemark ganz besonders stolz ist, ist die individuelle Freiheit. Und diese Freiheit nehme ich mir als dänische Person."
Gerade könne man in der politischen Debatte kaum noch zwischen Rechts und Links unterscheiden, sagt er dann noch. Es gebe bei den Parteien seit Jahren einen regelrechten Wettbewerb um die extremste Rhetorik.
"Das einzig Gute ist, dass es jetzt so extrem ist, dass es gar nicht mehr schlimmer geht. Ich hoffe wirklich, dass wir an diesem Punkt sind."