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Ein Jahr Brückenteilzeit-Gesetz
"Teilzeit signalisiert immer noch geringere Leistungsbereitschaft"

Seit dem 1. Januar 2019 ist es in Kraft - das "Gesetz zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts". Bei der Brückenteilzeit gebe es aber momentan noch zu viele Einschränkungen, sagte der Arbeitsmarktexperte Enzo Weber im Dlf. Wünschenswert sei der Ausbau zu einem echten Recht auf Rückkehr in Vollzeit.

Enzo Weber im Gespräch mit Stephanie Gebert | 31.10.2019
Eine Computertastatur, darüber liegt ein Schild mit der Aufschrift "Teilzeit"
Von der Anfang 2019 eingeführten "Brückenteilzeit" sollen Beschäftigte und Unternehmen profitieren - in der Praxis bleiben zahlreiche Hürden (imago / Steinbach)
Stephanie Gebert: Nehmen wir das klassische Muster: Eine Frau arbeitet Vollzeit, geht eine Partnerschaft ein, bekommt ein oder vielleicht sogar mehrere Kinder, wechselt dafür in Teilzeit – und bleibt dort. Die Teilzeitfalle – damit war für viele Betroffene das Modell gut beschrieben, denn eine Rückkehr auf einen adäquaten Posten in Vollzeit war selten drin für diejenigen, die mal Stunden reduziert haben. Das alles soll der Vergangenheit angehören, denn vor einem Jahr entschied die Große Koalition: Fortan wird es die Brückenteilzeit geben. Heißt: Das Rückkehrrecht von einem Teilzeitjob auf Vollzeit. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung habe ich gefragt: Vor allem die Frauen waren bislang betroffen von dieser Teilzeitfalle. Jetzt also seit fast einem Jahr das Rückkehrrecht. Damit ist das Problem aber nicht vom Tisch, sagen Sie. Es bleibt eine Falle?
Enzo Weber: In der Tat, die Teilzeitfalle ist gerade für Frauen heutzutage ein Problem, die ja mittlerweile doch mit einer im Schnitt besseren Qualifikation in den Arbeitsmarkt reingehen als die Männer, und trotzdem entwickeln sie sich häufig über längere Zeiten weniger stark, und das liegt auch daran, dass sie meistens dann in der Kinderphase irgendwann mal aus dem Arbeitsmarkt aussteigen, und danach kommen die meisten in den seltensten Fällen wieder in Vollzeit zurück. Da haben wir einfach noch eine starke Trennung zwischen Teil- und Vollzeit. Also Teilzeit signalisiert häufig heutzutage immer noch eher eine geringere Leistungsbereitschaft, ist mit geringeren Löhnen verbunden, mit weniger Weiterbildung, mit weniger Entwicklung. Da muss man wirklich gegensteuern, da ist das Rückkehrrecht in Vollzeit ein Schritt, aber das reicht noch nicht.
"Gesetz gilt grundsätzlich nur für Betriebe mit über 45 Mitarbeitern"
Gebert: Zumal dieses Rückkehrrecht ja längst nicht für alle Betriebe gilt oder für alle Mitarbeiter in allen Betrieben?
Weber: Also es gibt in diesem Gesetz für das Rückkehrrecht in Vollzeit oder die Brückenteilzeit einige Einschränkungen, von denen nicht alle ganz praktikabel sind. Zum Beispiel gilt das Gesetz grundsätzlich nur für Betriebe mit über 45 Mitarbeitern, und von 46 bis 200, da kann nur ein Fünfzehntel der Belegschaft dieses Recht in Anspruch nehmen. Das ist erstmal aus der Sicht der Betriebe gedacht und auch durchaus vernünftig gedacht, denn Kleinbetriebe haben es schwieriger, sich anzupassen. Auf der anderen Seite ist aber jetzt nicht unbedingt ein Grund ersichtlich, warum Beschäftigte in Kleinbetrieben irgendwie weniger solche Rechte bräuchten als Menschen in großen Betrieben. Am Ende können sogar kleinere Betriebe einen Nachteil davon haben, denn in kleineren Betrieben gibt es nicht diese Arbeitszeitflexibilität, da gilt zum Beispiel auch kein Kündigungsschutz. Also es hat schon auch einen Grund, warum kleinere Betriebe es zum Beispiel bei Personalrekrutierung am Arbeitsmarkt deutlich schwieriger haben als größere.
"Flexibilität heißt noch nicht, dass es auch dem Mitarbeiter zugutekommt"
Gebert: Werden die in Zukunft also, damit sie eben rekrutieren können und nicht ständig mit Fachkräftemangel zu tun haben, also auch flexibler werden müssen?
Weber: Grundsätzlich kann man das schon beobachten, dass die Arbeitswelt flexibler wird und die Arbeitszeitflexibilität auch deutlich gestiegen ist. Über lange Zeiten war das aber so, dass eher die Betriebsseite diese Flexibilität kontrolliert hat. Flexibilität heißt ja noch nicht, dass es auch dem Mitarbeiter zugutekommen muss, sondern es können ja auch Entscheidungen zu seinen Lasten getroffen werden, denen er dann folgen muss. Trotzdem werden mehr und mehr Ansprüche gestellt, auch gerade an Flexibilität über den Lebensverlauf, denn dieses Haushaltsmodell, dass der Mann Vollzeit arbeitet und die Frau zu Hause bleibt, das gibt es heutzutage einfach kaum noch. Deswegen spielt Flexibilität auch eine viel größere Rolle, wenn man Menschen an den Betrieb binden möchte oder sie neu für den Betrieb gewinnen möchte.
Für Männer muss es normaler werden, die Arbeitszeit vorübergehend zu verkürzen
Gebert: Sie haben gerade die Männer angesprochen. Gehen Sie denn davon aus, dass die Brückenteilzeit auch vermehrt Männer dazu bringen wird, ihren Wunsch nach vielleicht mehr Anteil an Familie zu haben, dann auch auszuleben?
Weber: Also es gibt heute schon eine bemerkenswerte Situation, wenn man die Männer direkt fragt, ob sie denn den Wunsch haben, sich mehr der Erziehung der Kinder zum Beispiel zu beteiligen, dann sagen fast alle ein klares Ja. Wenn man dann aber schaut, ob auch konkret eine Anpassung der Arbeitszeit daran erfolgt, dann ist das in den allermeisten Fällen nicht so. Das liegt auch daran, dass viele Väter die Sorge haben, wenn sie in Teilzeit gehen, dass sie dann daraus nicht mehr zurückkommen, dass sie negative Signale setzen für ihre Karriere. Also wenn wir da auch über die Brückenteilzeit zu einem Modell kommen, dass es normaler wird, auch die Arbeitszeit mal vorübergehend zu ändern, dann werden die Frauen auch mehr Unterstützung von den Vätern bekommen können und darüber auch schon dann über kurz oder lang im Arbeitsmarkt sich besser entwickeln können.
Einschränkungen bei der Brückenteilzeit
Gebert: Trotzdem würde ich ganz gerne noch mal bei der Brückenteilzeit bleiben, die ja gefeiert wurde von der Großen Koalition als Erfolg, aber trotzdem auch, wenn es um Flexibilität geht, Probleme mit sich bringt.
Weber: Also es gibt da Einschränkungen, zum Beispiel darf man diese Brückenteilzeit nur zwischen ein und fünf Jahren anmelden. Da fallen zwar die meisten Menschen mit ihren Wünschen, wie lange man verkürzen möchte, durchaus rein, aber es gibt zum Beispiel auch viele, die weniger verkürzen möchten als ein Jahr. Darauf hat man im Moment keinen Anspruch, obwohl es durchaus viele plausible Gründe gibt, warum so etwas vorkommen könnte. Ein anderer Punkt ist auch, wenn dann diese erste Phase der Brückenteilzeit abgelaufen ist, dann ist man erst mal ein Jahr gesperrt, bis denn man die nächste Brückenteilzeit anmelden kann. Wenn Sie sich jetzt überlegen, Sie befinden sich in einer Situation, da kommen die Kinder in der Familie und man meldet erst mal eine Arbeitszeitverkürzung an, da kann doch kein Mensch absehen, wie es danach weitergehen wird. Da muss man doch erst mal schauen, wie es läuft. Also danach ein Jahr Sperre, das ist nicht sonderlich praktikabel.
"Recht auf Brückenteilzeit noch weiter entwickeln"
Gebert: Wenn Sie jetzt den Strich druntermachen und sich anschauen, was die Große Koalition, was die Flexibilität der Arbeitszeit angeht, erreicht hat, was würden Sie sagen, was muss jetzt der nächste Schritt sein von Seiten der Politik?
Weber: Also einmal sollte man dieses Recht auf Brückenteilzeit noch weiter entwickeln in ein echtes Recht auf Rückkehr in Vollzeit. Das heißt, ich verkürze einmal meine Arbeitszeit, und dann mit einer hinreichenden Vorankündigungsfrist für meinen Arbeitgeber kann ich diese Arbeitszeit wieder aufstocken, ohne an irgendwie ein bis fünf Jahre gebunden zu sein oder ohne irgendwelche Sperren und Ähnliches. Dabei sollte man daran denken, dass man auch die Betriebe hinreichend unterstützt, gerade kleinere Betriebe. Also hinreichende Vorankündigungsfristen sind da wirklich essenziell, denn auch die Betriebe müssen ja am Ende irgendwo mit ihrer Arbeitskraft disponieren können. Daneben gibt es aber neben dem Rechtlichen auch noch weitere Gründe. Also wir sehen zum Beispiel, dass relativ häufig es vorkommt, dass Menschen mehr arbeiten als sie eigentlich möchten und das daran liegt, dass sie einfach in einer hohen Verantwortung stehen, dass sie eine bestimmte Karriere machen, dass sie Führungskräfte sind. Also hier muss auch noch ein Wandel eintreten, damit das auch hier normaler wird, nicht immer nur auf 120 Prozent zu arbeiten, sondern auch vorübergehend mal zurücktreten zu können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.