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Ron Leshem: "Als wir schön waren"
Ein Scharfschütze im Dschungel der Erinnerung

Arabische Terroristen erschießen Daniels Mutter. Beim Surfen gewinnt der Junge den Lebensmut zurück. Als israelischer Soldat bekämpft er sein Trauma durch Rache. Ron Leshems Roman "Als wir schön waren" ist Hochdruckprosa in der Gewaltspirale.

Von Eberhard Falcke |
    Ron Leshem: "Als wir schön waren"
    In "Als wir schön waren" bricht Ron Leshem den israelisch-palästinensischen Konflik recht brachial auf eine private Handlung herunter, in der Gewalt nur weitere Gewalt erzeugt. (Foto: © Rachel Tine, Buchcover: Rowohlt Verlag)
    In der Generation der israelischen Schriftsteller Amos Oz, David Grossman oder Abraham B. Jehoshua war Frieden und Versöhnung mit den Palästinensern noch ein wichtiges Thema. Ron Leshem dagegen, dessen politische Sozialisation vor allem vom Scheitern des Oslo-Friedensprozesses und der ersten und zweiten Intifada geprägt wurde, lässt in seinen Romanen für Versöhnungshoffnungen wenig Raum. So war es in seinem erzählerischen Debüt "Wenn es ein Paradies gibt" und so ist es in seinem jüngsten Roman "Als wir schön waren".
    Im Visier des Terrors
    Im Falle von Daniel, der hier in der Ich-Form seine Geschichte erzählt, ist das kein Wunder: Als Jugendlicher musste er miterleben, wie seine Mutter bei einer Alltagsbesorgung von arabischen Terroristen ermordet wurde.
    "Ich sah die Männer näher kommen und vor unserem Wagen in Stellung gehen, sah sie uns in die Augen schauen, sah sie zielen und schießen, um zu töten. Das bisschen Erinnerung, das in mir ist, das sind die Momente, in denen Mama neben mir liegt, verwundet, um ihr Leben kämpft und verliert."
    Leshems Roman hat zwei parallel erzählte Handlungsstränge. Zum einen erinnert sich Daniel an die Jahre seines Erwachsenwerdens in einer jüdischen Siedlung im Gaza-Streifen. Anschließend folgen packende Schilderungen seiner zahlreichen Einsätze als Scharfschütze beim israelischen Militär. Eingelagert sind diese Rückblenden in einen ganz anderen Plot, der den Horizont des Romans sowohl geographisch wie thematisch kühn, aber auch ziemlich halsbrecherisch erweitert. Denn nach seiner Armeezeit geht Daniel auf große Tour nach Lateinamerika.
    Liebestaumel im Amazonasdschungel
    Dort lernt er die geheimnisvolle Nora kennen. Er verliebt sich Hals über Kopf, wodurch sich der Autor zu einer stilistisch wenig überzeugenden Hochdruckprosa verleiten lässt.
    "Wie ein brünstiges Adlerpärchen überkam es uns, auf umgefallenen Bäumen, auf den Holzplanken des Bootes und im Wasser. Ich streichelte sie mit einer Kondorfeder und wäre am liebsten in ihr gestorben."
    Doch die Amour fou, die so fulminant beginnt, findet ein schnelles Ende, als Nora im Amazonasgebiet plötzlich zu Tode kommt, wahrscheinlich auf gewaltsame Weise. Denn sie ist an einem bahnbrechenden Projekt beteiligt: Dabei handelt es sich um die Entwicklung eines riesigen digitalen Archivs, in dem nach und nach die Erinnerungen aller Menschen abgespeichert werden sollen. Wen sie sich damit zum Feind gemacht hat, das erschließt sich aus der ziemlich wirren Plot-Konstruktion nur mühsam.
    Der große Erinnerungsspeicher
    Jedenfalls verwandelt sich an diesem Punkt Daniels exotische Liebes- und Abenteuergeschichte in ein Komplott mit allerlei phantastisch anmutenden Science-Fiction- und Geheimdienstelementen. Für den Roman ist das kein Vorteil. Die Idee eines globalen Erinnerungsarchivs hat zwar beträchtliches gedankliches Anspielungspotential, aber die Handlung, die der Autor auf dieser Basis - man muss leider sagen - zusammenschustert, kann weder im Einzelnen noch insgesamt überzeugen. Das heißt, Leshems Roman zerfällt in zwei sehr ungleiche Teile: Einerseits in ein effekthascherisch formuliertes, inhaltlich verblasenes Science-Fiction-Abenteuer. Andererseits in das durchaus fesselnde Stationendrama eines jungen Mannes in Israel, der an fast allen inneren und äußeren Fronten des Landes bittere Erfahrungen machen muss.
    "Wir hatten Blutrache genommen für Ain-Arik, und das hatte den Schmerz ein bisschen gelindert, hatten Dampf abgelassen. Bis zu dem Tag hatten wir nur Leute getötet, die wir einwandfrei identifizieren konnten. Die Nacht der Rache aber war das erste Mal, dass wir ausdrücklich Befehl hatten, jeden zu töten, der sich dummerweise am Checkpoint aufhielt."
    Die Passagen über Daniels Militäreinsätze in Palästinenserlagern, an Grenzposten und im Gaza-Streifen sind von schonungsloser Präzision und spiegeln ein genaues erzählerisches Bewusstsein über die damit verbundenen psychischen und moralischen Konflikte. Und sie zeigen, genauso wie die aktuellen Stimmungslagen in Israel, dass an Versöhnung derzeit kaum zu denken ist. Diesen Passagen ist es zu verdanken, wenn Ron Leshems Roman "Als wir schön waren" in Erinnerung bleibt.
    Ron Leshem: Als wir schön waren
    Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
    Rowohlt Berlin Verlag, Berlin. 407 Seiten, 25 Euro