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"Ein sehr weltfremdes Verfahren"

Beim NSU-Prozess ist Öffentlichkeit wichtig, um ein solches Verfahren auch zu kontrollieren, ob zum Beispiel der Prozess fair geführt wird, sagt Uwe Kammann vom Adolf-Grimme-Instituts. Durch die Vergabe der Journalistenplätze mittels des Zufalls habe es nicht in allen Fällen die Richtigen getroffen.

Uwe Kammann im Gespräch mit Thielko Grieß | 30.04.2013
    Thielko Grieß: In dieser Debatte um die Presseplätze fällt ein Stichwort besonders häufig, das Stichwort der Öffentlichkeit. Die müsse hergestellt werden, damit das, was im Prozess passiert, transparent wird. Am Telefon ist jetzt Uwe Kammann, Leiter des Adolf-Grimme-Instituts, das sich unter anderem mit Fragen von Publizistik und Öffentlichkeit befasst. Guten Tag, Herr Kammann!

    Uwe Kammann: Hallo Herr Grieß!

    Grieß: Was ist denn nun eigentlich Öffentlichkeit in einem solchen Gerichtsverfahren?

    Kammann: Also Öffentlichkeit ist sicherlich wichtig, um ein solches Verfahren auch kontrollieren zu können, um der Öffentlichkeit, also uns allen, den Bürgern, berichten zu können, wie geht es da zu, ist das ein fairer Prozess, welche Details gibt es, welche Facetten sind mit den einzelnen Aussagen verbunden – also es geht um Transparenz und um die größtmögliche sozusagen Aufmerksamkeit auch mit einer gewissen Sachlichkeit zu verbinden. Das ist, glaube ich, ganz wichtig.

    Grieß: Und wann ist sie hergestellt in einem solchen Prozess?

    Kammann: Ich denke, immer wenn Vertreter der Öffentlichkeit – das ist also eine ideelle Gemeinschaft – vertreten wird, also auf jeden Fall, wenn Pressevertreter da sind, aber auch natürlich, indem normale Bürger an diesem Gerichtsverfahren teilnehmen können, das ist ja in unserer Gerichtsordnung sehr wichtig. Das heißt also, jeder müsste in der Lage sein, bei solchem öffentlichen Prozess dann auch persönlich anwesend sein zu können. Das ist natürlich praktisch nicht möglich, das wären dann ja alle, also insofern ist es dann auch immer eine repräsentative Öffentlichkeit, die darin einbegriffen ist.

    Grieß: Das sind zum Teil sehr unbestimmte Begriffe, von denen wir hier sprechen, die wir versuchen wollen ein wenig genauer zu definieren. Trifft es denn – ganz konkret gesprochen – die Richtigen, wenn man sagt, man bildet bei einem solchen Losverfahren einen Topf für Agenturen, einen für Regionalzeitungen, für ausländische Presse und so weiter, wie es geschehen ist?

    Kammann: Also, das Ergebnis so, wie es jetzt vorliegt, trifft sicherlich nicht in allen Fällen die Richtigen. Das ist natürlich ein Zufallsverfahren, das ist ein Lotteriespiel. Das Gericht hat zwar vorher sich bemüht, gewisse Stufungen herzustellen – es hat ja Kontingente gebildet, in denen dann wieder Untergruppen da sind, von denen das Gericht vermutet, dass sie sozusagen insgesamt einen Fächer darstellen, in dem die wesentlichen Medien zu berücksichtigen sind –, aber ich glaube, es war alles in allem doch ein sehr weltfremdes Verfahren. Man hätte sicherlich noch andere Unterteilungen finden können …

    Grieß: Zum Beispiel?

    Kammann: Das ist natürlich problematisch, das sehe ich auch, weil das Gericht natürlich keine Wertung eigentlich vornehmen darf und sagen, du bist bedeutender als andere oder du hast mehr Reichweite, also es ist wichtiger, sozusagen über dieses große Instrument die Öffentlichkeit herzustellen, das ist schwierig. Insofern denke ich, dass das erste Verfahren eigentlich nicht so schlecht war, das auf die Priorität bei den Anmeldungen setzte. Interessanterweise übrigens haben sich damals 129 Presseorgane bemüht um einen Platz, jetzt waren es 324, also ein wesentlich gesteigertes Interesse, was dann sicherlich auch damit zu tun hatte, dass dieser Prozess nun eine ganz andere Dimension auch in diesem Streit um Öffentlichkeit bekommen hat und sicherlich auch eine Art von Prestige, mit dabei zu sein.

    Grieß: Und vermutlich liegt es auch daran, dass wir, die Medien, seit Wochen darüber sprechen.

    Kammann: Ja, ich denke, die Medien selber sind natürlich auch ein Teil dieses Verfahrens, das – wenn man den Kalauer verwenden darf – insgesamt jetzt sehr verfahren wirkt, sehr weltfremd, auch mit Starrsinn verbunden und mit Trotz, denn das Gericht hätte ja die Möglichkeit gehabt, auf diese ganz kleine Brücke zu gehen, wie das Bundesverfassungsgericht ja schon vorgebaut hatte, indem man sagt, ich erweitere es einfach um die türkischen Vertreter. Das war der Hauptgrund zunächst, dass es angegriffen worden war im Ergebnis, weil sozusagen die Hauptbetroffenen an der Stelle nicht durch eigene Pressevertreter mit nationalem Interesse vertreten sind. Also das wäre eine einfache Möglichkeit gewesen, und insofern nehme ich an, in diesem zweiten Verfahren steckt auch eine Art von Beleidigtsein des Gerichtes, das es nicht so anerkannt worden war, wie es das vorgeplant hatte, und insofern ist das jetzt Aktion und Reaktion. Und das Ergebnis ist äußerst unglücklich, denn es ist natürlich wirklich für uns eine Posse, wenn die großen, überregionalen Tageszeitungen auch mit einem natürlich großen Sachverstand dahinter und auch mit einem historischen Interesse an diesen Begebenheiten nicht jetzt vertreten sind.

    Grieß: Also die fehlen Ihnen, Herr Kammann …

    Kammann: Die fehlen mir, ja …

    Grieß: … die "Frankfurter Allgemeine", die "Zeit", die "Süddeutsche"?

    Kammann: Ja. Aber ich sehe auch allerdings eine Möglichkeit, sozusagen das Hindernis des Ausschlusses zu umgehen, denn das Gericht hat ausdrücklich auch festgestellt, es können Plätze im Einvernehmen weitergegeben werden, also es könnte sozusagen ein "Käseblatt", in Anführungszeichen, sozusagen einen Vertreter an einen anderen vermitteln, nimm doch meinen Platz ein. Das ist ja sicherlich in größerem öffentlichen Interesse, wenn man das jetzt noch mal abstufen darf.

    Grieß: Was die dpa zum Beispiel angekündigt hat jetzt vor Kurzem, ihren Platz für ihren englischen Dienst weiterzugeben an ausländische Agenturen.
    Herr Kammann, wir wollen nicht verschweigen, dass auch wir, der Deutschlandfunk, dort einen Platz bekommen haben – ist das gerechtfertigt?

    Kammann: Ja, auf jeden Fall, denke ich. Das ist ja nun ein Qualitätsmedium mit nationaler Reichweite und eigentlich auch darüber hinaus. Also es ist ja sicher eine Mischung von seriösen und sehr tiefgründigen Berichterstattungsorganen da, im Vergleich auch mit anderen, die dann eher der bunteren Ecke zuzuordnen sind, aber wie gesagt, das wäre auch falsch sicher, das heute jetzt gegeneinander auszuspielen. Wichtig wäre nur, dass dort, wo dann besonders viel Sachverstand da ist, wo es natürlich ein Transportmittel gegenüber den ausländischen Medien ist, wenn eine "FAZ" darüber berichtet, ist es natürlich klar, das wird als eine sehr gewichtige Stimme wahrgenommen – das müsste möglich sein. Und ich denke, wenn jetzt auch auf der Medienseite ein größerer Pragmatismus einsetzen würde, dann würde man vielleicht diesen symbolischen Streit, der sicher auch damit verbunden ist, in Teilen auflösen können, indem ich sage, du kannst meinen Platz haben, ich sehe ein, dass es sozusagen in einem engeren Zusammenhang steht. Zudem wird auch eines einsetzen: Das Interesse wird sicherlich nachlassen, es ist ja ein sehr langer Prozess zu erwarten, und ist natürlich diese Aufgeregtheit, die am Anfang damit verbunden ist, die sicherlich auch dazu beigetragen hat, dass das alles jetzt sehr, sehr überfrachtet ist und in diesen unglücklichen Gesamtzusammenhang gekommen ist.

    Grieß: Sagt Uwe Kammann, der Leiter des Adolf-Grimme-Instituts, zum Streit um die Presseplätze beim NSU-Prozess. Herr Kammann, danke für Ihre Zeit heute Mittag!

    Kammann: Gern geschehen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.