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"Eine Art Geheimdienstbeauftragter"

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat eine bessere Kontrolle der deutschen Geheimdienste gefordert. Derzeit gebe es eine Reihe von Instrumenten, die teilweise nicht zueinander passten, sagte Schaar. Er plädierte dafür, die Gremien des Bundestages gesetzlich zu einer Zusammenarbeit mit den Datenschutzbehörden zu verpflichten.

Peter Schaar im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.08.2013
    Jasper Barenberg: 100 Prozent Aufklärung hat Ronald Pofalla gerade erst versprochen, und auch das beteuert der Minister, der im Kanzleramt die Arbeit der Geheimdienste steuert, dass der Datenschutz hierzulande zu 100 Prozent eingehalten wird. Kein Tag vergeht aber ohne neue Informationen darüber, wie sehr der Bundesnachrichtendienst in die Datenspionage der US-Geheimdienste verwickelt ist. In großem Umfang und regelmäßig gibt er demnach Daten an die amerikanischen Partner weiter. Das räumt der BND auch ein, betont aber, dass er Daten deutscher Staatsbürger vorher herausfiltert. Die Bundesregierung kann an all dem also nichts Kritikwürdiges finden, so mancher in den Regierungsparteien aber schon, aus den Reihen der Opposition ja ohnehin.
    Am Telefon begrüße ich den Beauftragten des Bundes für Datenschutz. Guten Morgen, Peter Schaar!

    Peter Schaar: Guten Morgen.

    Barenberg: Die Bundesregierung und der BND beteuern, es mag ja die Weitergabe von Daten geben, möglicherweise auch in großem Umfang, aber keine millionenfache Verletzung von Grundrechten. Vertrauen Sie dieser Beteuerung?

    Schaar: Mit dem Vertrauen ist das immer so eine Sache. Jedenfalls macht es mich schon nachdenklich, wenn gesagt wird, es wurden keine Daten von Grundrechtsträgern übermittelt. Wenn man diese sehr begrenzte deutsche Sichtweise nimmt, dann sind möglicherweise die Grundrechtsträger diejenigen, die sich bei uns aufhalten, und die deutschen Staatsbürger, aber nicht Ausländer, die weder bei uns wohnen, noch eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, und diese Differenzierung scheinen ja Nachrichtendienste in aller Welt zu machen. Das heißt, die eigenen Bürger werden verhältnismäßig stark respektiert in ihren Grundrechten. Dass das auch nicht vollständig ist, das wird ja auch immer wieder beklagt – zurecht -, denken Sie an die Speicherung dieser sogenannten Metadaten in den USA, auch bezogen auf die US-Bürger. Aber das wirklich Kritische in meiner Sicht ist, dass hier eine Art Zwei-Klassen-Rechtsträgerschaft geschaffen wird, wir und die anderen, und die anderen sind nicht oder nur sehr geringfügig geschützt.

    Barenberg: Und insgesamt ergibt sich dann das Bild, dass jeder Geheimdienst nach Kräften sammelt, nach Kräften möglicherweise auch die betroffenen eigenen Staatsangehörigen herausfiltert, aber dass man danach die Daten so austauscht, dass jeder alle Daten zur Verfügung hat, und da bleibt dann unterm Strich die Verletzung von Grundrechten übrig?

    Schaar: Das Entscheidende bei dem US-Programm, das jetzt ja doch zumindest in seinen Grundzügen bekannt ist, besteht ja darin, dass man so viel wie möglich Daten sammelt, und zwar auch Rohdaten, um diese Rohdaten dann gegebenenfalls nach unterschiedlichen Kriterien zu durchrastern, auszuwerten, mit anderen Datenbeständen zu verknüpfen. Das ist sozusagen die grundlegende Idee. Und wenn jetzt sich Nachrichtendienste in aller Welt beteiligen – wir wissen das ja auch von dem britischen Geheimdienst -, dann tragen sie auch damit eine Verantwortung für das Gesamtsystem, und genau diesem Zusammenhang, denke ich, muss nachgegangen werden.

    Barenberg: Insofern haben die Politiker der FDP recht, die jetzt sagen, dass der BND so etwas ist wie ein Handlanger der amerikanischen NSA in dieser ganzen Angelegenheit?

    Schaar: Ich würde mir diese Wortwahl nicht zueigen machen, aber es gibt eine enge Kooperation und es gibt ein System, das die amerikanische Seite hier entworfen hat und wo – jedenfalls sieht das im Augenblick so aus – eben auch deutsche Dienste zuliefern. Insofern gibt es eine doch sehr enge Verschränkung dieser Aktivitäten, selbst wenn man formal nach dem Wortlaut des deutschen Rechts handelt.

    Barenberg: Was bedeutet es dann in diesem Zusammenhang, wenn die Bundesregierung sagt, das sei die ganz normale Zusammenarbeit zwischen Partnern, auch was die Geheimdienste angeht, und etwas Kritikwürdiges sei daran nicht zu erkennen?

    Schaar: Der entscheidende Unterschied zwischen der Situation vor 20, 30 Jahren und heute besteht ja darin, dass wir alle einen ganz großen Teil unserer Aktivitäten virtuell, also über das Netz abwickeln und dass diese Informationen abgefischt werden. Das ist nicht die gezielte Spionage, die es früher gab, die es heute gibt, die auch im Einzelfall für die Betroffenen äußerst unangenehm sein kann und die im Übrigen in den Zielländern solcher Spionage im Regelfall auch strafbar ist, sondern es geht um das Alltagsverhalten, das auf diese Art und Weise erforscht wird, registriert wird und wo irgendwelche Schlüsse draus gezogen werden, auf die wir keinen Einfluss haben.

    Barenberg: Nun beruht ja die Tätigkeit des BND auf ganz klaren gesetzlichen Grundlagen. Es gibt ein eigenes Gesetz über den Bundesnachrichtendienst und es gibt auch dieses viel diskutierte G10-Gesetz, was Abhörmaßnahmen ganz genau regelt. Ist das alles noch auf dem Stand der Dinge, angesichts der Entwicklung, die Sie skizziert haben?

    Schaar: Nein. Ich denke, die entscheidende Stellschraube ist ja im Augenblick die Technologie, und die Technologie hat sich sehr weiterentwickelt gegenüber der Zeit, als diese Gesetze formuliert worden sind, und auch gegenüber der Zeit, in der sich das Bundesverfassungsgericht wiederholt mit diesen sogenannten G10-Maßnahmen, also diesen Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen beschäftigt hat. Wenn man jetzt die übrige Rechtssprechung zum Beispiel des Bundesverfassungsgerichts, aber auch anderer Gerichte zugrunde legt, dann habe ich doch ganz arge Zweifel daran, dass eine solche Vorschrift, wie sie seinerzeit als rechtmäßig befunden wurde, heute noch so bewertet werden kann, weil ja damit dann doch letztlich ein sehr, sehr viel weitergehender Grundrechtseingriff – sei das durch die direkte Erhebung der Daten durch die Dienste, sei das durch den Austausch der Daten mit anderen Diensten – erfolgt.

    Barenberg: Wenn also die Gefahr besteht, dass es zur Verletzung von Grundrechten kommt bei diesen Abhörmaßnahmen und bei dieser Datensammelwut, über die wir seit Wochen reden, ist es denn überhaupt – das bezweifeln ja beispielsweise die Grünen – technisch möglich, angesichts solcher riesigen Datenmengen, überhaupt, sagen wir mal, auf Deutsche bezogene Informationen herauszufiltern?

    Schaar: Diese Zweifel an der Schärfe der entsprechenden Auswahlkriterien teile ich, denn man sieht dem Datum ja nicht an, ist das von einem Deutschen, oder ist das von einem deutschen Standort. Es gibt bestimmte Indizien, die dafür sprechen, die werden im Zweifel verwendet. Das ist zum Beispiel die E-Mail-Adresse, die Domain, also dass es die DE-Domain ist, aus der Daten stammen, oder auch die Internetadresse, die IP-Adresse. Aber das sind alles technische Informationen, die eben nicht so ganz trennscharf zwischen den Staaten unterscheiden. Sie können eine DE-Domain in Afghanistan organisieren, Sie können auch auf Umwegen sicherlich als Deutscher eine E-Mail-Adresse im Ausland haben. Das ist ja für einen deutschen Dienst überhaupt nicht wirklich hundertprozentig sicherzustellen, wie für überhaupt niemanden es möglich ist, das hundertprozentig sicherzustellen. Aber ich finde, das ist auch nicht das Entscheidende, diese Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern hundertprozentig zu machen.

    Für mich stellt sich die Frage dieser massenweisen Erhebung von nicht deutschen Grundrechtsträgern und dem Austausch dieser Daten mit anderen Diensten, die dann wiederum nach ihrem Recht korrekt die Daten deutscher Grundrechtsträger erheben und vielleicht genauso austauschen, und genau das ist ja das Dilemma, dass das nationale Recht nur noch sehr begrenzt immer weniger in der Lage ist, den Datenschutz hier zu gewährleisten, und da muss man fragen, wo sind die Lösungen, und da gibt es einerseits das Thema internationale Verträge und Standards. Da muss rangegangen werden. Das hat die Bundesregierung angekündigt, ich finde das auch sehr wichtig, dass man da dran bleibt. Und das Zweite ist technische Sicherheit, wenn, wie ich höre, in den USA sich Telekommunikationsunternehmen verpflichten müssen, ihre Daten nur intern, also auf amerikanischem Territorium, wenn möglich jedenfalls, durchzuleiten und nicht etwa über Server im Ausland. Warum kann man das in Europa nicht auch realisieren.

    Barenberg: Wir haben nicht mehr sehr viel Zeit, Herr Schaar. Trotzdem will ich das noch los werden, einfach weil es ja auch in der Diskussion ist. Wie viel stärkere Kontrollen brauchen wir, wie viel bessere Rechte auf Akteneinsicht beispielsweise brauchen Sie als Datenschutzbeauftragter?

    Schaar: Ich denke, das entscheidende Problem bei der derzeitigen Kontrollstruktur ist, dass wir eine ganze Reihe von teilweise nicht wirklich hundertprozentig zueinanderpassenden Kontrollinstrumenten haben, und hier würde ich mir vorstellen, dass die Gremien des Deutschen Bundestages wesentlich intensiver auch per Gesetz mit den Datenschutzbehörden zusammenarbeiten sollten. Dann würde ja der Bundesdatenschutzbeauftragte vielleicht zu einer Art Geheimdienstbeauftragten, ohne jetzt aber in diesen Geheimbereich insoweit einbezogen zu werden, dass er diese Maßnahmen dann sozusagen nur in diesem sehr, sehr geschützten geheimen Bereich diskutieren kann. Wir haben eine unabhängige Datenschutzstruktur auch in den Bundesländern. Das sozusagen abzustimmen mit der Struktur in den Parlamenten, das fände ich ganz gut.

    Barenberg: Herr Schaar, vielen Dank, Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für Datenschutz, für das Gespräch heute Morgen.


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