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"Wir sind in einem Endspiel um den Rechtsstaat"

Der Bundestag würde in der NSA-Affäre unzureichend informiert, kritisiert der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Er fordert, dem Bundesdatenschutzbeauftragten dauerhaft Rechte zur Akteneinsicht bei den deutschen Geheimdiensten zu geben.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Christine Heuer | 05.08.2013
    Interview mit Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender im Innenausschuss des Deutschen Bundestages, zur Forderung nach einem Parlamentsbeauftragten für die Geheimdienste

    Christine Heuer: Am Telefon mitgehört hat Konstantin von Notz, der innen- und netzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Auch Ihnen einen guten Morgen, Herr von Notz.

    Konstantin von Notz: Guten Morgen, Frau Heuer!

    Heuer: Also ein Geheimdienstbeauftragter im Parlament – was halten Sie von der Idee?

    von Notz: Na ja, zunächst mal teile ich die Einschätzung von Herrn Bosbach, dass man von den Umtrieben und Tätigkeiten des Geheimdienstes, der verschiedenen Dienste immer aus der Zeitung erfährt und eigentlich parlamentarisch kaum und adäquat und umfangreich informiert wird. Das ist schlecht und schlimm. Ob das jetzt mit der Erweiterung des Beauftragtenwesens irgendwie abgeschafft werden kann, das steht wirklich infrage. Es geht ja hier – und das muss man sich wirklich klar machen – um Konzepte, bei denen auch unsere Dienste mitwirken, der Totalerfassung und einer dauerhaften totalen Rasterfahndung, und dem kann man eigentlich nur beikommen, wenn man die Aufgaben und Befugnisse enger fasst, und wir brauchen für diesen Bereich auch eine Zuständigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Sonst kommt man gegen diese Missstände überhaupt nicht an.

    Heuer: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz soll Ihrer Meinung nach Akteneinsichts-Rechte bei den Diensten haben?

    von Notz: Das ist eine alte und lange Forderung und es zeigt sich in diesen Tagen, dass die hochgradig berechtigt ist. Wenn Sie jetzt einen Geheimdienstbeauftragten schaffen, der dann auch wie das Parlamentarische Kontrollgremium letztlich über das, was dort besprochen wird, mit niemandem auf der Welt sprechen darf und letztlich eben auch keine Transparenz hergestellt werden kann, dann ist dieses Vertrauen, was jetzt verloren gegangen ist, in den Rechtsstaat und auch in unsere Kontrollgremien für die Geheimdienste nicht wiederherzustellen.

    Heuer: Nun erleben wir gerade an diesem Wochenende, Herr von Notz, eine weltweite Terrorwarnung, die durch das elektronische Ausspähen möglich wurde. Sind Prism und Co. vielleicht doch ein Segen, weil sie unserer Sicherheit – man sieht das ja jetzt an diesem Wochenende – dienen?

    von Notz: Na ja, das wird jetzt behauptet. Man ist ja inzwischen so weit, dass man keine Verschwörungstheorie für zu abwegig hält, und auch das ist eben eine Folge der Aufdeckung durch Edward Snowden, dass man inzwischen hinter allem eine Verschwörungstheorie vermutet. Auch die von Herrn Bosbach eben geschilderten Fälle der verhinderten Anschläge sind alles andere als nachgewiesen. Es kursieren diffuseste Zahlen und auch das, was wir im Augenblick hören, ist diffus. Natürlich gibt es eine Bedrohung durch Terrorismus und das soll man auf gar keinen Fall klein- oder wegreden. Aber das ändert nichts daran, dass wir in einem Rechtsstaat leben, und die Mittel, mit denen wir gegen diesen Terror vorgehen, müssen rechtsstaatlich und verhältnismäßig sein. Sind sie das nicht, dann haben wir den Kampf gegen den Terrorismus verloren, weil wir unseren Rechtsstaat aufgeben, und so darf es nicht kommen.

    Heuer: Aber genau das, Rechtsstaatlichkeit, behauptet der BND, Wolfgang Bosbach hat auch gerade noch mal darauf hingewiesen, es wird unterschieden zwischen deutschen Daten und Daten aus Deutschland. Will heißen, es wurde kein deutscher Bürger ausgespäht und verraten. Und selbst Hans-Christian Ströbele von den Grünen hat ja schon eingeräumt, dass insofern die Weitergabe der Daten rechtens gewesen sein kann. Wieso regen Sie sich dann eigentlich so auf?

    von Notz: Dazu gibt es zwei Aspekte. Der erste ist der Verdacht, der immer konkreter im Raum steht seit Anfang an – und es sind jetzt zwei Monate, die uns das beschäftigt -, dass auch die deutschen Dienste Teil eines internationalen Datenaustauschringes sind, bei dem man immer anderen ausländischen Diensten es überlässt, die Verfassung im eigenen Land zu brechen, um die Daten zu erheben, die man selbst nicht erheben darf. Dann trifft man sich regelmäßig und dann gibt man diese Daten weiter. Das ist der konkrete Verdacht, der im Raum steht, und der wurde bisher überhaupt nicht entkräftet. Ganz im Gegenteil: Er verstärkt sich immer mehr, dass das so ist, ein Datenaustausch-Kartell praktisch, und insofern werden durch diese Systematik die Grundrechtsträger auch in diesem Land hier ganz systematisch und dauerhaft verletzt.

    Der zweite Punkt ist: die behaupteten Filterfunktionen bei den Daten, die man vermeintlich in anderen Ländern erhebt. Wie will man denn feststellen, sicher feststellen, dass kein Grundrechtsträger, also niemand aus Deutschland betroffen ist. Die USA sagen ganz offen, dass eigentlich diese technische Feinstellung, die eigenen Leute da rauszusortieren, dass das technisch kaum oder gar nicht möglich ist, und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass nun ausgerechnet der BND das kann. Insofern steht auch der Verdacht im Raum, dass da in diesen massenhaften, Millionen und Milliarden von Daten, die man weiterreicht, natürlich auch Grundrechtsträger betroffen sind.

    Heuer: Herr von Notz, es ist deutlich geworden: Sie trauen dem Braten nicht. Kurz zum Schluss: Was erwarten Sie jetzt ganz akut von der Bundesregierung?

    von Notz: Sie muss endlich aktiv werden. Seit zwei Monaten nimmt man einfach achselzuckend hin, was da passiert. Man schweigt, es ist die absolute Salamitaktik, was Herr Pofalla macht, und das Bundesinnenministerium steht beim Datenschutz seit vielen Jahren komplett auf der Bremse. Wir müssen – und das ist ja auch eine Sache, die wirklich ärgerlich in der Diskussion ist: man verkürzt das alles und bezieht sich nur auf die USA. Dabei sind in Großbritannien auch riesige Datenabgreifsysteme aktiv. Da kann man europäisch vorgehen mit einem Vertragsverletzungsverfahren. Aber man kann auch durch die Aufkündigung verschiedener Datenschutz-Weitergabeabkommen, wie Safe Harbor, wie SWIFT, wie das PNR-Datenabkommen, mit den USA an einen Tisch kommen. Wir sind in einem Endspiel um den Rechtsstaat und wir müssen den Druck aufbauen, dass diese Praktiken, die hier offenbar geworden sind, gestoppt werden.

    Heuer: Herr von Notz, wir müssen zum Ende kommen. – Konstantin von Notz, der innen- und netzpolitische Sprecher der Grünen, war das. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch.

    von Notz: Ich danke Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.