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Eine Blut-Spur führt nach Deutschland

Der ehemalige Radprofi Tyler Hamilton hat ein Buch geschrieben, das mehrere schwere, bislang kaum beachtete Doping-Beschuldigungen enthält. Darin klagt er auch eine Gruppe von Mitwissern und Helfershelfern an, deren Rolle im Hintergrund bislang kaum beachtet wurde: Teamärzte.

Von Jürgen Kalwa | 19.11.2012
    Für Tyler Hamilton begann der entscheidende Schritt mit einer SMS. Sie kam von Jeff Novitzky, dem Ermittler, der im so genannten BALCO-Skandal dafür gesorgt hatte, dass US-Sprintstar Marion Jones wegen Meineides ins Gefängnis musste. Novitzky hatte – im Frühjahr 2010 – einen neuen Dopingring im Visier. Und wollte nun von Hamilton wissen, ob er bereit sei, endlich auszupacken. Der hatte einst als Domestike im amerikanischen US Postal Team Lance Armstrong unterstützt und war später zweimal beim Dopen erwischt worden. Die Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft in Los Angeles dauerte sieben Stunden.

    ""Die ersten fünf Minuten war es hart, die Wahrheit zu sagen. Aber danach war es, als ob ein Damm bricht. Alles lief aus mir heraus. Von 1997 bis 2004. Alle Geheimnisse. Alle Lügen.”"

    Das Geständnis unter Eid machte Hamilton zu einem Kronzeugen für den systematischen Einsatz von Dopingmitteln im Radsport. Es trug dazu bei, den Mythos des vom Krebs geheilten, angeblich nie gedopten Super-Fahrers Lance Armstrong zu zertrümmern. Denn Tyler berichtete, was er alles im Team des Texaners gesehen und erlebt hatte. Die Bluttransfusionen, der Einsatz von EPO, die Arbeit des italienischen Dopingarztes Michele Ferrari, die aktive Mitwirkung von detailbesessenen Manipulatoren wie dem sportlichen Direktor Johan Bruyneel.

    Seit kurzem kann man die vielen, vielen Details in einem Buch nachlesen. Das hat Hamilton zusammen mit dem Journalisten Daniel Coyle verfasst. Vor einer Woche erschien die deutsche Ausgabe. "Die Radsportmafia und ihre schmutzigen Geschäfte” lautet der Titel. Das Buch benennt auf mehr als 300 Seiten nicht nur das konspirative Tun der Genannten. Es klagt auch eine Gruppe von Mitwissern und Helfershelfern an, deren Rolle im Hintergrund bislang kaum beachtet wurde. Es sind die Teamärzte. Sie sollen willige Handlanger gewesen sein. Etwa, wenn es darum ging, die Dopingregeln beim Einsatz von Kortison auszuhebeln. Sie stellten falsche Diagnosen und erwirkten fingierte Ausnahmegenehmigungen:

    ""Jede Mannschaft, in der ich war, hat das ausgenutzt. Wir haben die Zertifikate für Verletzungen bekommen, die wir nicht hatten. Ich glaube, jeder Arzt im Peloton wusste, was für ein Spiel da gespielt wurde. Unsere Ärzte wussten, was im Radsport los war.”"

    Anders als die Profisportler, die nach und nach erzählen, wie das System funktionierte, streiten die Mediziner alles ab. Die prominenten wie der Italiener Michele Ferrari, der Spanier Eufemiano Fuentes, gegen den in seiner Heimat Anfang 2013 – mit 35 geladenen Zeugen – der Prozess eröffnet wird. Oder sein Landsmann Luis Garcia del Moral Betzen, den US Postal-Doktor, der Hamilton mal verriet, dass die Radsportler beim Dopingmissbrauch im Vergleich zu Fußballern geradezu Engel seien.

    Es gilt auch für jenen Arzt aus Deutschland, der Tyler Hamilton bei der Tour de France 2004 im Hotel am Ruhetag beim Eigenblutdoping geholfen haben soll. Eine Andeutung gibt der ehemalige Phonak-Kapitän in seinem Buch auf Seite 260. Im Interview beschreibt Hamilton die Szene etwas genauer:

    ""Ich wünschte, es wäre nicht passiert. Ein Phonak-Teamarzt hat assistiert. Das Blut kam von Fuentes. Warum auch immer, in der Eile hat mir – ein einziges Mal – ein Teamarzt geholfen.”"

    Der Name des Doktors steht übrigens nicht im Buch. Doch wer es gewesen sein soll, das ist dem Deutschlandfunk inzwischen bekannt. Hamilton hat ihn identifiziert.

    Der fragliche Arzt, der auch heute noch im Profiradsport tätig ist, kennt die Passage im Buch, wie er in einem Gespräch sagte. Die dort geschilderten Abläufe jedoch, sie seien für ihn "vollkommen neu”. Auf eine schriftliche Nachfrage, ob er Tyler Hamilton 2004 eine Bluttransfusion angelegt habe, reagierte er nicht mehr, sondern sein Anwalt. Der vermied allerdings in seinem Brief, eine klare Antwort zu geben. Seine Kernaussage ist eher taktischer Natur. Es sei nicht "zweckdienlich, die Angelegenheit in einem spekulativen Stadium über die Öffentlichkeit auszutragen”, schrieb er.

    Es steht also – bis auf weiteres – Aussage gegen Aussage.