Es ist 10 Uhr morgens, beste Arbeitszeit. Doch auf dem Bahnhof von Äthiopiens zweitgrößter Stadt, Dire Dawa, tut sich nichts. Paviane klettern über die eingewachsene Maschinenhalle. Eine Frau hängt nasse Wäsche auf. Lokomotivführer Fantahoun Bekele und seine Arbeitskollegen liegen im Schatten eines großen Chinarindenbaums und dösen. Was sie hier machen?
"Nichts. Wir kommen hierher, setzen uns hin, spielen Karten. Dahinten, das kann ich Dir zeigen, haben wir einen Garten angelegt, wo wir Kohl, Knoblauch und Pfefferschoten anbauen."
Rien ne va plus. Nichts geht mehr auf Äthiopiens ältester und bislang einziger Zugstrecke. Vor zwei Jahren stellte die Regierung den Betrieb zwischen Dire Dawa und Djibouti ein, weil er sich nicht mehr rentierte. Ursprünglich fuhr der Zug sogar einmal bis in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Aber das ist noch viel länger her.
Weil die staatliche Eisenbahngesellschaft das ausgebildete Fachpersonal aber nicht entlassen wollte und besonders auf die Techniker angewiesen ist, um die alten Züge zu warten, behielten Lokführer Bekele und 575 seiner Kollegen ihre Jobs. Sie müssen weiterhin jeden Morgen um sieben zur Arbeit kommen. Sechs Tage die Woche. Bis abends um halb sechs. Der einzige Trost: Sie werden fürs Nichts-Tun bezahlt. Und ab und zu können sie die Loks auch noch bewegen. Immer dann, wenn die italienische Betreiberfirma, die vor der Stadt gerade die alten Gleise erneuert, Ersatzteile braucht.
Doch er würde gerne endlich wieder richtig arbeiten, sagt Lokomotivführer Bekele, und führt durch die alten, französischen Passagierwagons Erster Klasse. Zigarettenstummel auf dem Boden. Brauner Staub auf den Sitzen aus cremeweißem Leder. Im hinteren Teil hängen drei Mechaniker über zwei Sitzreihen und halten ein Schwätzchen.
Früher fuhr der Zug mit 60 Kilometern pro Stunde durch die Wüste. Die Bahn nach Djibouti fuhr so langsam, dass viele Leute auf dem Dach saßen, um sich Abkühlung zu verschaffen. Als er hier 1991 als Lokomotivführer begann, war sein Beruf noch richtig gefährlich, sagt Bekele. Von wegen Kindheitstraum und Wunsch nach Freiheit. Äthiopiens Regierung war damals erst seit Kurzem an der Macht. In vielen Landesteilen hatte sie noch mit Rebellen zu tun.
"Als ich einmal den Zug fuhr, hatte man an einer Stelle drei Minen unter den Gleisen vergraben. Und als wir darüber fuhren, explodierten sie. Der Beifahrer, mein Freund, verlor seinen rechten Fuß. Unser Funker verlor seinen linken Fuß. Gott sei Dank, passierte mir nichts. Der liebe Gott hat mir damals das Leben gerettet."
Vor hundert Jahren kamen die Franzosen aus dem Nachbarland Djibouti, das damals noch französische Kolonie war. Sie bauten in Äthiopien die Strecke nach Addis Abeba und errichteten auch Schulen, weshalb man heute in Dire Dawa noch immer Französisch spricht. Der Zug legte die Grundlage für das Wachstum der Stadt. Sie wurde neben Addis Abeba zum wichtigsten Industriezentrum des Landes. Ohne die Eisenbahnlinie hätten hier Tausende Menschen ihre Jobs verloren, sagt Zugfahrer Bekele.
"Selbst der Dieb hing vom Zugverkehr ab. Denn der Dieb hat ja auch Kinder und ist verheiratet. Ohne Diebstahl, wir er soll er da leben?"
Doch der Stillstand in Dire Dawa sei ja nur vorübergehend, sagt der Sprecher des Verkehrsministeriums, Dereje Tefera, in Addis Abeba. Aus dem Regierungsplan liest er ab, welche fünf Strecken in Äthiopien gerade gebaut werden, vergisst aber eine, nämlich die von Mojo nach Weyto. Aus seinem Bürofenster im fünften Stock ist der stillgelegte Hauptbahnhof der Hauptstadt zu sehen:
"Von Addis nach Dire Dawa, Dewele: 656 Kilometer. Von Awash, Woldiya, Mekele: 556 Kilometer. Von Woldiya, Semera, Galafi: 256 Kilometer Von Addis, Ejaji, Jimma, Bedele: 339 Kilometer. Das macht zusammen 2,359 Kilometer. Und im Zentrum von Addis Abeba bauen wir in den nächsten fünf Jahren ein 43 Kilometer langes Straßenbahnnetz."
Vor allem China unterstützt Äthiopien beim Eisenbahnbau. Die wichtigste Strecke wird die alte Verbindung nach Djibouti sein. Über dessen Hafen führt Äthiopien 90 Prozent seiner Waren ein- und aus. Der Transport über die Schienen ist billiger und weit weniger anfällig als über Äthiopiens verstopfte Straßen, die in der Regenzeit nicht selten unter Wasser stehen.
15.000 neue Jobs erhofft sich die Regierung in Addis Abeba und Hochgeschwindigkeitszüge wie in Europa und Asien. Natürlich sei die Eisenbahn in einem so bergigen Land eine technologische Herausforderung. Doch an der Fertigstellung bis 2015 werde nicht gerüttelt, sagt Sprecher Tefera und gerät ins Schwärmen.
"Äthiopien ändert sich. Und es geht immer weiter. Das Volk, die Regierung, ihre Politik und Strategien funktionieren. Das ist ein Beispiel für die Menschen Äthiopiens, aber nicht nur für die, auch für die Menschen in anderen Ländern, sogar für die Industrieländer."
Ob sie sich nun ein Beispiel an Äthiopien genommen haben oder nicht – auch die anderen Länder Ostafrikas investieren gewaltig in den Bau neuer Eisenbahnstrecken und denken weit über ihre Landesgrenzen hinaus. Kenia erneuert seine alte Strecke vom Seehafen Mombasa nach Nairobi bis in die ugandische Hauptstadt Kampala. Zwischen Uganda und Tansania soll eine neue Strecke entstehen. Äthiopien plant eine Strecke zum neuen kenianischen Seehafen Lamu, die bis in die südsudanesische Hauptstadt Juba reichen soll. Und auch Djibouti arbeitet an einer Linie zwischen sich und Juba und feilt an Projekten mit Ruanda und Uganda.
Ostafrika wächst zusammen und das Rote Meer soll zum Brückenschlag werden: Gedacht wird an die Vernetzung des ostafrikanischen Schienennetzes mit den Eisenbahnlinien auf der arabischen Halbinsel. Das atemberaubende Projekt, das Afrika mit der arabischen Welt verbinden würde, steht und fällt jedoch mit einer Brücke über die Meerenge am Golf von Aden. Von Jemen aus könnte die gesamte arabische Halbinsel verkehrstechnisch neu erschlossen werden. Doch nicht nur der neue Konflikt zwischen Djibouti und seinem schwierigen Nachbarn Eritrea zeigt, wie groß die Hindernisse sind, die diesem Projekt noch im Wege stehen.
"Nichts. Wir kommen hierher, setzen uns hin, spielen Karten. Dahinten, das kann ich Dir zeigen, haben wir einen Garten angelegt, wo wir Kohl, Knoblauch und Pfefferschoten anbauen."
Rien ne va plus. Nichts geht mehr auf Äthiopiens ältester und bislang einziger Zugstrecke. Vor zwei Jahren stellte die Regierung den Betrieb zwischen Dire Dawa und Djibouti ein, weil er sich nicht mehr rentierte. Ursprünglich fuhr der Zug sogar einmal bis in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Aber das ist noch viel länger her.
Weil die staatliche Eisenbahngesellschaft das ausgebildete Fachpersonal aber nicht entlassen wollte und besonders auf die Techniker angewiesen ist, um die alten Züge zu warten, behielten Lokführer Bekele und 575 seiner Kollegen ihre Jobs. Sie müssen weiterhin jeden Morgen um sieben zur Arbeit kommen. Sechs Tage die Woche. Bis abends um halb sechs. Der einzige Trost: Sie werden fürs Nichts-Tun bezahlt. Und ab und zu können sie die Loks auch noch bewegen. Immer dann, wenn die italienische Betreiberfirma, die vor der Stadt gerade die alten Gleise erneuert, Ersatzteile braucht.
Doch er würde gerne endlich wieder richtig arbeiten, sagt Lokomotivführer Bekele, und führt durch die alten, französischen Passagierwagons Erster Klasse. Zigarettenstummel auf dem Boden. Brauner Staub auf den Sitzen aus cremeweißem Leder. Im hinteren Teil hängen drei Mechaniker über zwei Sitzreihen und halten ein Schwätzchen.
Früher fuhr der Zug mit 60 Kilometern pro Stunde durch die Wüste. Die Bahn nach Djibouti fuhr so langsam, dass viele Leute auf dem Dach saßen, um sich Abkühlung zu verschaffen. Als er hier 1991 als Lokomotivführer begann, war sein Beruf noch richtig gefährlich, sagt Bekele. Von wegen Kindheitstraum und Wunsch nach Freiheit. Äthiopiens Regierung war damals erst seit Kurzem an der Macht. In vielen Landesteilen hatte sie noch mit Rebellen zu tun.
"Als ich einmal den Zug fuhr, hatte man an einer Stelle drei Minen unter den Gleisen vergraben. Und als wir darüber fuhren, explodierten sie. Der Beifahrer, mein Freund, verlor seinen rechten Fuß. Unser Funker verlor seinen linken Fuß. Gott sei Dank, passierte mir nichts. Der liebe Gott hat mir damals das Leben gerettet."
Vor hundert Jahren kamen die Franzosen aus dem Nachbarland Djibouti, das damals noch französische Kolonie war. Sie bauten in Äthiopien die Strecke nach Addis Abeba und errichteten auch Schulen, weshalb man heute in Dire Dawa noch immer Französisch spricht. Der Zug legte die Grundlage für das Wachstum der Stadt. Sie wurde neben Addis Abeba zum wichtigsten Industriezentrum des Landes. Ohne die Eisenbahnlinie hätten hier Tausende Menschen ihre Jobs verloren, sagt Zugfahrer Bekele.
"Selbst der Dieb hing vom Zugverkehr ab. Denn der Dieb hat ja auch Kinder und ist verheiratet. Ohne Diebstahl, wir er soll er da leben?"
Doch der Stillstand in Dire Dawa sei ja nur vorübergehend, sagt der Sprecher des Verkehrsministeriums, Dereje Tefera, in Addis Abeba. Aus dem Regierungsplan liest er ab, welche fünf Strecken in Äthiopien gerade gebaut werden, vergisst aber eine, nämlich die von Mojo nach Weyto. Aus seinem Bürofenster im fünften Stock ist der stillgelegte Hauptbahnhof der Hauptstadt zu sehen:
"Von Addis nach Dire Dawa, Dewele: 656 Kilometer. Von Awash, Woldiya, Mekele: 556 Kilometer. Von Woldiya, Semera, Galafi: 256 Kilometer Von Addis, Ejaji, Jimma, Bedele: 339 Kilometer. Das macht zusammen 2,359 Kilometer. Und im Zentrum von Addis Abeba bauen wir in den nächsten fünf Jahren ein 43 Kilometer langes Straßenbahnnetz."
Vor allem China unterstützt Äthiopien beim Eisenbahnbau. Die wichtigste Strecke wird die alte Verbindung nach Djibouti sein. Über dessen Hafen führt Äthiopien 90 Prozent seiner Waren ein- und aus. Der Transport über die Schienen ist billiger und weit weniger anfällig als über Äthiopiens verstopfte Straßen, die in der Regenzeit nicht selten unter Wasser stehen.
15.000 neue Jobs erhofft sich die Regierung in Addis Abeba und Hochgeschwindigkeitszüge wie in Europa und Asien. Natürlich sei die Eisenbahn in einem so bergigen Land eine technologische Herausforderung. Doch an der Fertigstellung bis 2015 werde nicht gerüttelt, sagt Sprecher Tefera und gerät ins Schwärmen.
"Äthiopien ändert sich. Und es geht immer weiter. Das Volk, die Regierung, ihre Politik und Strategien funktionieren. Das ist ein Beispiel für die Menschen Äthiopiens, aber nicht nur für die, auch für die Menschen in anderen Ländern, sogar für die Industrieländer."
Ob sie sich nun ein Beispiel an Äthiopien genommen haben oder nicht – auch die anderen Länder Ostafrikas investieren gewaltig in den Bau neuer Eisenbahnstrecken und denken weit über ihre Landesgrenzen hinaus. Kenia erneuert seine alte Strecke vom Seehafen Mombasa nach Nairobi bis in die ugandische Hauptstadt Kampala. Zwischen Uganda und Tansania soll eine neue Strecke entstehen. Äthiopien plant eine Strecke zum neuen kenianischen Seehafen Lamu, die bis in die südsudanesische Hauptstadt Juba reichen soll. Und auch Djibouti arbeitet an einer Linie zwischen sich und Juba und feilt an Projekten mit Ruanda und Uganda.
Ostafrika wächst zusammen und das Rote Meer soll zum Brückenschlag werden: Gedacht wird an die Vernetzung des ostafrikanischen Schienennetzes mit den Eisenbahnlinien auf der arabischen Halbinsel. Das atemberaubende Projekt, das Afrika mit der arabischen Welt verbinden würde, steht und fällt jedoch mit einer Brücke über die Meerenge am Golf von Aden. Von Jemen aus könnte die gesamte arabische Halbinsel verkehrstechnisch neu erschlossen werden. Doch nicht nur der neue Konflikt zwischen Djibouti und seinem schwierigen Nachbarn Eritrea zeigt, wie groß die Hindernisse sind, die diesem Projekt noch im Wege stehen.