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"Eine willkommene Ablenkung"

Die königliche Geburt in Großbritannien sei "ein ganz wichtiges Gegengewicht" politischer und ökonomischer Probleme, meint Thomas Kielinger. Der Journalist sieht die Anziehungskraft der Monarchie in der ungebrochenen Tradition und den "attraktiven Frauen" der Royals.

Thomas Kielinger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.07.2013
    Tobias Armbrüster: Wochenlang haben Journalisten aus aller Welt vor einem Krankenhaus in der Londoner Innenstadt gewartet. Gestern am späten Nachmittag war es dann so weit: die Herzogin von Cambridge, auch bekannt als Kate, Ehefrau von Prinz William, hat einen Sohn geboren, die neue Nummer drei in der britischen Thronfolge – in gewisser Weise also ein historischer Tag für das Land. – Wir können darüber jetzt mit dem Publizisten Thomas Kielinger sprechen, er ist Buchautor und Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt" und er lebt schon seit Jahren in der britischen Hauptstadt. Schönen guten Morgen, Herr Kielinger.

    Thomas Kielinger: Guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Kielinger, wie wichtig ist dieses Baby für die britische Monarchie?

    Kielinger: Eminent wichtig, weil hier die Stabilität und die Verankerung dieser Institution – die ist immerhin tausend und mehr Jahre alt – bis in die dritte Generation hinein festgelegt wird und garantiert ist. Und darüber hinaus, wie Sie wissen, natürlich nicht nur für Großbritannien, sondern die britische Staatsoberhäuptin, die Königin, das Staatsoberhaupt, ist ja auch Herrscherin in 15 anderen Staaten auf diesem Globus. Sie ist auch Staatsoberhaupt in Kanada, Australien, Neuseeland und so weiter. Man stelle sich vor, Joachim Gauck wäre Präsident nicht nur in Deutschland, sondern auch in 15 anderen Staaten. Das ist eine Aufgabe, das ist eine Institution, die will gesichert sein, und sie ist es besonders durch diese neue Geburt.

    Armbrüster: Wenn wir uns jetzt mal ansehen, was die Monarchie in den letzten, sagen wir mal, 10, 20 Jahren durchgemacht hat, welche Aufs und Abs, kann da so ein Baby möglicherweise neue Hoffnung spenden, ein neues Kapitel auch eröffnen?

    Kielinger: Dieses neue Kapitel ist eigentlich schon eröffnet worden, als der Zweite in der Thronfolge, Prinz William, der Herzog von Cambridge, eine Bürgerliche heiratete, Catherine Middleton aus dem Flecken Bucklebury in Berkshire. Damit ist bewiesen worden, dass die Monarchie sich weiter fest im Bürgertum verankert. Sie frischt die Blutlinie der Aristokratie auf, indem eine andere Familie hineingebracht wird. Catherine Middleton wie auch ihr Mann Prinz William sind nicht so der Etikette und dem Hof verhaftet, wie das früher der Fall war. Dies wird also eine lockere, eine menschenfreundlichere, eine bürgernahe Familie werden, und das ist alles dazu geeignet, die Monarchie weiter in England populär zu halten.

    Armbrüster: Könnte es dann sein, dass dieser Neugeborene, wenn er mal erwachsen ist, möglicherweise einen ganz normalen Beruf hat, außerhalb der üblichen königlichen Sphäre, also außerhalb von Militär, Luftwaffe, solche Sachen, sondern möglicherweise auch ins Geschäftsleben eintritt?

    Kielinger: So weit würde ich nicht gehen. Das ist ein Sprung, das wäre fast ein Quantumssprung, den wir eigentlich noch nicht sehen. Die traditionellen Berufe, in der Tat Militär vor allen Dingen, sind selbstverständlich, aber die Pflichten der Monarchie, wenn er einmal auf dem Thron ist – und das kann lange, lange dauern bei der Langlebigkeit der Queen und der nächsten, die dann kommen, Prinz Charles und seinem Sohn William, bei der Langlebigkeit wie gesagt muss man lange warten, aber die Pflichten der Monarchie bringen es mit sich, dass kaum ein zweiter bürgerlicher Beruf nebenbei existieren kann. Das halte ich für doch vorerst ausgeschlossen.

    Armbrüster: Einfach weil die Zeit zu knapp ist?

    Kielinger: Die Zeit ist zu knapp, und Sie dürfen nicht vergessen: Ich habe ja gesagt, diese 15 Staaten, in denen der britische Monarch auch Staatsoberhaupt ist, verlangen ein ständiges Reisen, ein ständiges präsent sein, eine Pflege der Beziehungen, eine Pflege der Verankerung dieser alten Institutionen. Das ist ein Fulltime-Job, wie man auf neu Hochdeutsch sagen würde, und da ist wohl ein zweiter Beruf nicht möglich. Auch Prinz William – das darf man nicht vergessen – wird seinen Beruf als Rettungsflieger in der Royal Airforce – er ist Hubschrauberpilot – aufgeben müssen. Das kann er machen, solange er noch nicht selber in die Thronfolge gestiegen ist. Aber wenn er einmal Monarch ist, dann wird sich diese Pflicht nicht verbinden lassen mit einem bürgerlichen Beruf.

    Armbrüster: Herr Kielinger, hat dieser Neugeborene auch eine Bedeutung für die britische Politik? Dient er möglicherweise auch als Ablenkung von der wirtschaftlichen Misere?

    Kielinger: Eins ist sicher: ein freudiges Ereignis dieser Art und überhaupt dieser Massenauflauf der Neugier von der ganzen Welt gibt den Briten das Gefühl, dass sie sozusagen ein Mittelpunkt der Soft Power sind, sie strahlen noch etwas aus, sie sind noch jemand, sie sind attraktiv als Land, sie produzieren News, die auf der ganzen Welt konsumiert werden, das Königshaus ist eine Institution, die unabhängig ist von politischen Rangeleien, wie sie etwa entstehen – wir kennen das bei uns -, wenn ein neuer Präsident gewählt werden muss. Das ist also ein ganz wichtiges Gegengewicht zu der Trübsal, die in diesem Lande zurzeit in der Austerity herrscht, sinkender Lebensstandard, schwierige ökonomische Probleme, und da ist dieses natürlich eine willkommene Ablenkung und auch eine Erinnerung daran, dass der Mensch nicht von der verdammten Politik allein lebt, sondern noch andere Qualitäten dort sind, an denen man sich hochranken kann, über die man sich freuen kann.

    Armbrüster: Herr Kielinger, Sie haben jetzt über die Massenaufläufe gesprochen in Großbritannien. Man kann so was Ähnliches ja auch hier bei uns in Deutschland erleben. Das ist ja ein Thema durchaus in sehr vielen Zeitschriften, wir müssen es zugeben, auch jetzt gerade hier bei uns im Deutschlandfunk. Wir berichten auch in den Nachrichten seit gestern von dieser Geburt. Sie haben ja auch ein bisschen den deutschen Blick noch. Warum sind die Deutschen so fixiert auf die britische Königsfamilie? Was fasziniert uns daran so sehr?

    Kielinger: Das sind nicht nur die Deutschen. Dies ist ein Phänomen, nehmen Sie Amerika, viel greifbarer noch dort. Wenn David Cameron, der Premierminister, über die Straßen New Yorks ginge, würde ihn niemand erkennen. Aber die Königsfamilie, vor allen Dingen Kate und William und die Queen erst recht, sind in Amerika absoluter Renner von Publicity. Ich glaube, es hat mit dieser Stabilität zu tun. Hier ist eine tausendjährige Geschichte vor uns. Dieses Baby, was gestern geboren wurde, wird erst die Nummer 43 in der Thronfolge sein seit der Eroberung durch die Normannen im Jahre 1066. Das sind spannende Geschichten. An der englischen Königsfamilie kann man ohnehin Geschichte studieren in nahtloser Form. Während wir als Land in Deutschland lauter Abbrüche, historische Abbrüche, Neuanfänge, Niederlagen erlebt haben, hat die britische Insel eine wunderbare Kontinuität ihrer Geschichte vorzuweisen. Und natürlich immer wieder – das darf man nicht vergessen – attraktive Frauen. Als die Königin jung war, war sie ein Star mit ihrer Schwester Margaret der Seite-eins-Magazine. Schon damals vor 60 Jahren war die Yellow Press gut drauf, wenn ein königliches Bild die Seite eins schmückte. Dann kam die Diana, dieses unvergessene Schmuckstück, und jetzt ist es Kate. Das sind Qualitäten, das sind Attraktivitäten, die machen es ganz natürlich, dass der Mensch da hinschaut. Und wie gesagt das Alter der Monarchie, das sind Faszinationen, denen wir alle irgendwo erlegen sind.

    Armbrüster: Die britische Königsfamilie hat seit gestern Nachwuchs, ein Junge ist geboren. Wir sprachen darüber mit dem in London lebenden Publizisten und Journalisten Thomas Kielinger. Besten Dank für das Gespräch!

    Kielinger: Danke, Herr Armbrüster. Alles Gute!

    Armbrüster: Alles Gute.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.