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"Einen Rettungsschirm für die Natur aufstellen"

Das "Netz des Lebens" werde immer dünner, warnt Günter Mitlacher von der Umweltschutzorganisation WWF. Von der UN-Naturschutzkonferenz im indischen Hyderabad erwartet er - analog zur Bankenrettung - klare Geldzusagen für die "Rettung des Naturkapitals".

Günter Mitlacher im Gespräch mit Benjamin Hammer | 08.10.2012
    Benjamin Hammer: Deutschland will trotz der ganzen Schwierigkeiten zum Energiewenden-Musterland werden und damit international ein Zeichen setzen gegen den Klimawandel. Nur noch wenige Wochen, dann startet in Katar die nächste große Klimaverhandlung, die internationale Bühne wird riesengroß sein. Ein anderes großes Projekt der Vereinten Nationen steht aber immer ein wenig im Schatten dieser Klimagipfel: der Naturschutz. Täglich verschwinden weltweit Tier- und Pflanzenarten, weil der Mensch zu sehr in die Natur eingreift. Die Biodiversität, sie nimmt permanent ab. Die Vereinten Nationen wollen den Trend stoppen, bereits in acht Jahren soll die Kehrtwende dafür erreicht werden, und seit heute treffen sich Vertreter aus aller Welt im indischen Hyderabad auf der UN-Artenschutzkonferenz. Vor Ort ist auch Günter Mitlacher, er leitet den Bereich biologische Vielfalt bei der Naturschutzorganisation WWF und mit ihm sind wir jetzt per Telefon verbunden. Guten Tag, Herr Mitlacher.

    Günter Mitlacher: Ja, guten Tag nach Deutschland.

    Hammer: Herr Mitlacher, alle reden vom Klimawandel. Die Diskussion um die Artenvielfalt hat es in der Öffentlichkeit aber ziemlich schwer. Nervt Sie das?

    Mitlacher: Ja, das nervt uns natürlich gerade vom WWF, weil wir eine Naturschutzorganisation sind. Wir sehen das aber so, dass das eigentlich zwei Seiten einer Medaille sind, weil wir merken, die Artenvielfalt reduziert sich auch, weil der Klimawandel immer weiter fortschreitet. Also insofern muss man eigentlich beide Themen parallel bearbeiten und behandeln.

    Hammer: Jetzt könnte man sagen, wenn ein bestimmtes Kraut ausstirbt oder eine bestimmte Affenart, dann ist das zwar traurig, aber es betrifft uns Menschen nur am Rande. Was antworten Sie?

    Mitlacher: Ja das ist natürlich richtig, dass uns das nicht besonders betrifft, wenn irgendwo auf der Welt eine Art ausstirbt. Aber wir müssen sehen, dass dadurch das Netz, das Netz des Lebens – und das ist die Biodiversität – immer dünner wird und immer ausgedünnt wird, und das ist das eigentliche Problem, weil die Arten und ihre Vielfalt natürlich auch viele Dienstleistungen für uns bereithalten. Denken Sie an einen Wald: Der ist ja nicht nur Bäume und der ist ja nicht nur Holz, sondern der hat ja auch eine Regenerationsfunktion, der hat eine Erholungsfunktion, er hat eine Lebensraumfunktion für verschiedene Arten und so weiter. Also es ist nicht nur die einzelne Art, die ausstirbt, sondern auch die Dienstleistungen, die wir sozusagen umsonst von der Natur bekommen,. Die gehen damit auch verloren im Laufe der Zeit.

    Hammer: Jetzt haben die Vereinten Nationen vor zwei Jahren einen ambitionierten Plan festgelegt in Japan. Bis 2020 soll das Artensterben aufgehalten werden und nötig seien dafür 500 Milliarden Euro. Woher soll das Geld kommen?

    Mitlacher: Ja, das ist natürlich die entscheidende Frage. Wir haben diesen Masterplan vor zwei Jahren beschlossen und hier in Hyderabad muss man eigentlich diesen Drive, der damals entstanden ist, fortsetzen. Natürlich sehen viele Staaten in Europa die Finanzierungsfrage sehr kritisch, weil sie natürlich ihr Geld im Moment für die Bankenrettung ausgeben. Aber wir sagen, die Rettung des Naturkapitals, um es einmal so zu sagen, wird uns sehr viel mehr Geld kosten, wenn wir jetzt nicht anfangen zu investieren und Reparaturkosten bereitstellen.

    Hammer: Schauen wir mal auf den Drive oder nicht den Drive, wie Sie sagen, schauen wir auf Deutschland. Vor vier Jahren hat Kanzlerin Merkel beeindruckende Zusagen gemacht, 500 Milliarden Euro werde man die Investitionen aufstocken für den Schutz der Arten bis zum Jahr 2013, und finanzieren wollte man das durch den Handel mit CO2-Zertifikaten. Jetzt ist dieser Handel ja ziemlich ins Stocken geraten. Glauben Sie, dass Deutschland seine Zusagen einhalten kann?

    Mitlacher: Na ja, wir fordern natürlich von Deutschland, dass es seine Zusagen einhält, weil das wurde ja von Kanzlerin Merkel sehr deutlich auf der Konferenz in Bonn vor vier Jahren geäußert. Ich denke mal, wichtig ist, dass wir bei der nächsten Bundestagswahl alle Parteien, die sich da zur Wahl stellen, daran erinnern, dass dieses Versprechen auch in Zukunft eingehalten wird, weil sonst wird es natürlich auch sehr viel schwieriger, andere Staaten davon zu überzeugen, ihren entsprechenden Beitrag zu leisten.

    Hammer: Jetzt gibt es Kritik an der Bundesregierung, aber im Großen und Ganzen gelten Länder wie Deutschland oder Norwegen als Vorreiter beim Artenschutz. Stellt sich die Frage, was das eigentlich bringt. Was bringt es, wenn mein Zugvogel ein schönes Biotop in Deutschland hat, dann in ein anderes Land fliegt, wo absolut nichts getan wird, oder nur sehr wenig für den Artenschutz? Ist dann nicht alles für die Katz?

    Mitlacher: Ja, da haben Sie natürlich Recht. Hier auf dieser Konferenz ist eigentlich das Prinzip der geteilten Verantwortung maßgeblich. Es kann nicht nur sein, dass Deutschland seine Hausaufgaben macht, oder Geld bereitstellt für den globalen Naturschutz. Jedes Land hat ja seine Biodiversität in seinem eigenen Land zu schützen. Deswegen gibt es halt auch die Verpflichtung, dass jedes Land bestimmte Maßnahmen bereitstellt, Gesetze erlässt, oder Subventionen reduziert, oder positive Anreize gibt, um die Biodiversität zu erhalten. Hier hat jeder seine Verantwortung und hier muss jeder seine Verantwortung auch tragen und sein Päckchen sozusagen mitnehmen.

    Hammer: Kurze Einschätzung von Ihnen: Glauben Sie, dass der Gipfel in Indien zum Erfolg wird?

    Mitlacher: Ja, daran arbeitet der WWF natürlich, gemeinsam mit anderen Organisationen, dass er ein Erfolg wird. Der Erfolg wird sich natürlich messen lassen auch an der Frage, wie viel Geld bereitgestellt wird, aber Geld ist nicht alles. Es ist wichtig, dass andere Sektoren wie Landwirtschaft, Fischerei diese Biodiversität auch sozusagen als Ziel mit verfolgen, dass schädliche Subventionen abgebaut werden, denn da ist das Geld, was wir eigentlich brauchen, um die Biodiversität zu retten. Also es gibt Geld, es ist genug Geld da, nur es muss richtig eingesetzt werden. Und wie gesagt: einen Rettungsschirm für Banken haben wir, bezahlen wir, einen Rettungsschirm für die Natur müssen wir noch aufstellen.

    Hammer: Günter Mitlacher, Experte für Biodiversität beim WWF, live von der UN-Artenschutzkonferenz in Indien. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Mitlacher: Danke auch – tschüß nach Deutschland.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.