Nassehi sagte, es sei kein Kulturkampf zwischen den Weltteilen zu erkennen, sondern ein Kulturkampf innerhalb von Gesellschaften. Die Kulturkampfrhetorik von Trump finde viel fruchtbaren Boden in den USA, weil sich viele Bürger "nicht abgeholt" fühlten. Trump sei es gelungen, Leute mit einfachen Sätzen zur Wahl zu motivieren.
Das nun verhängte Einreiseverbot sei Unsinn. "Wenn man etwas gegen Islam machen wollte, sollte man andere Länder nehmen."
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Was passiert da gerade in den USA? Ist das der Anfang einer politischen Katastrophe, oder sitzt da einfach nur ein neuer Präsident im Weißen Haus, der schnell und ohne viel Getöse seine Wahlkampfversprechen einlösen will und der, wenn sie ihm nicht passt, auch mal eben die Justizministerin entlässt, so wie jetzt gerade geschehen? Fest steht: Mit dem Einreiseverbot für Muslime hat Donald Trump viele Menschen in seinem eigenen Land und auf der ganzen Welt vor den Kopf gestoßen, auch viele Verbündete. Kritik kommt aus fast allen Ländern und von den unterschiedlichsten Parteien. Und auf einmal sind wir wieder mitten drin in einer dieser Debatten über unterschiedliche Kulturen und vor allen Dingen über das Misstrauen gegenüber dem Islam und der muslimischen Welt. Wir wollen darüber jetzt sprechen mit dem Soziologen und Publizisten Armin Nassehi. Er lehrt an der Ludwig Maximilians Universität in München. Schönen guten Morgen, Herr Nassehi.
Armin Nassehi: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Nassehi, zunächst einmal die ganz vordergründige Frage: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie am Wochenende gehört haben, Trump macht jetzt ernst mit seiner Wahlkampfankündigung und verhängt einen Einreisestopp für Muslime?
Nassehi: Wir haben ja wahrscheinlich alle ein bisschen im Sinne von wishfull thinking gedacht, dass die, sagen wir mal, Wahlkampfrhetorik zumindest etwas runtergefahren wird, wenn der Mann im Amt ist. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist eine weitere Bestätigung dafür, dass er offensichtlich die Dinge eins zu eins umzusetzen gedenkt und gar kein Land führt, sondern eigentlich wie, man kann sagen, ein Generaldirektor eines Konzerns agiert und tatsächlich von oben nach unten durchregieren will. Das ist ein weiteres Beispiel dafür.
"Dieser Kulturkampf scheint innerhalb von Gesellschaften stattzufinden"
Armbrüster: Woher kommt dieses Misstrauen gegenüber der muslimischen Welt?
Nassehi: Woher kommt das Misstrauen gegenüber der muslimischen Welt? Das ist natürlich ein Konflikt, der durch weltpolitische Konstellationen zurzeit ja ohnehin - man kann fast sagen, daran sind wir fast gewöhnt. Aber ich meine, die Frage ist, ist das wirklich ein neuer Kulturkampf? Ich würde ja sagen, dass es eigentlich kein Kulturkampf zwischen den Weltteilen ist, wie das Fukuyama mal vor vielen Jahren formuliert hat, dass es gewissermaßen große geostrategische Räume gibt, die gegeneinander stehen, sondern dieser Kulturkampf scheint ja zurzeit innerhalb von Gesellschaften stattzufinden. Donald Trump hat die Wahl gewonnen eigentlich mit einer Kulturkampfrhetorik. Wir gegen die anderen heißt gar nicht mal Amerika gegen den Islam, sondern heißt diejenigen, die vielleicht übersichtlichere Welten haben wollen, die das Eigene im ethnischen, kulturellen und nationalen Sinne genauer benennen wollen, die gewissermaßen eigene Interessen vor andere stellen, auf der einen Seite und die anderen, die sich an den universalistischen Rechtsstaat halten, denen so etwas wie eine Idee von Humanität und Menschlichkeit tatsächlich im universalistischen Sinne am Herzen liegt. Ich glaube, dass dieser Kulturkampf durch unsere Gesellschaften zurzeit hindurchgeht, und das macht ihn vielleicht noch viel brisanter als diese geostrategische Idee, von der Fukuyama mal gesprochen hat.
Armbrüster: Aber warum trifft diese Idee dieses Kampfes in den USA, warum findet sie dort so viel fruchtbaren Boden?
Nassehi: Ja, sie findet viel fruchtbaren Boden, weil - und das kann man wahrscheinlich empirisch auch beobachten - viele Trägergruppen in der Gesellschaft sich von den intellektuellen Debatten, die tatsächlich eher an den Küstenregionen stattgefunden haben, nicht abgeholt fühlen. Ich rede jetzt schon wie ein Sozialpädagoge, aber man kann fast gar nicht anders diese Dinge so erklären. Und Trump ist es tatsächlich gelungen, mit sehr, sehr einfachen Sätzen diese Leute tatsächlich zu motivieren. Ich würde mir auch keine Illusion darüber machen, dass es auch bei uns in Europa viele gibt, die sagen würden, na ja, endlich mal jemand, der die Dinge beim Namen nennt, und die Dinge beim Namen zu nennen heißt ja, dass man relativ einfache Sätze sagen muss. Wenn man ein bisschen weiter nachdenkt, dann ist natürlich diese Maßnahme völliger Unsinn. Selbst wenn man, sagen wir mal, etwas gegen den Islam machen wollte in dieser Gänze, dann sollte man vielleicht andere Länder nehmen als die, die Trump ausgewählt hat. Das ist ja ein Hinweis darauf, dass das eigentlich mehr eine rhetorische Frage ist als eine, die mit realer Politik zu tun hat. Aber - und das ist die These - das funktioniert im Moment. Kulturkämpfe sind meistens sehr, sehr, sehr stabile Konfliktsysteme, in denen man sozusagen die eine gegen die andere Seite ausspielt, und das gelingt Trump ja ganz wunderbar.
"Bei Einreisestopps ist die DNA der USA selbst getroffen"
Armbrüster: Gelingt uns das auch in Europa, oder bleiben hier die Populisten mit ihrer Kulturkampfrhetorik eher nicht unbedingt in der Minderheit, aber doch unter der, sagen wir mal, 30 Prozent Hürde?
Nassehi: Das wollen wir hoffen. Aber zumindest haben wir in Europa ja auch die Situation, dass wir tatsächlich über einen Kulturkampf reden. Man soll jetzt nicht die AfD mit dem Wahlsieg von Donald Trump vergleichen, aber die Chiffren, die kommunikativen Chiffren sind ja etwas ganz Ähnliches. Man versucht, immer wieder das Eigene hervorzuheben. Man versucht zu zeigen, dass es eine unübersichtliche Welt gibt, wie sie eigentlich ist, dass es eigene Interessen gibt, dass das Fremde das Fremde ist, und das scheint ja tatsächlich Resonanz zu erzeugen - nicht in dem Maße, wie es das in den USA gemacht hat, aber diese Resonanz ist da. Das Besondere bei den USA ist ja, dass jetzt gerade bei dieser Frage des Einreisestopps eigentlich die DNA der USA ja selbst getroffen wird. Die USA ist das klassische Einwanderungsland schlechthin und dann kommt jemand und kommt eigentlich mit sehr stark, man könnte fast sagen europäischen Chiffren, in denen das Eigene geradezu ethnisch definiert wird. Das ist ja von vielen Kommentatoren auch so formuliert worden, geradezu unamerikanisch. Ich kann mir das tatsächlich als eine Belebungsspritze auch für die europäischen Rechtspopulisten vorstellen, die dann sagen, selbst wenn in so einem multikulturellen Land oder einem Einwanderungsland wie den USA so geredet wird, haben wir hier erst recht die Möglichkeit, das zu tun.
Armbrüster: Wenn wir uns das in den USA ansehen, heißt das möglicherweise auch, dass diese DNA, von der Sie da sprechen, dieses hochleben lassen der unterschiedlichen Kulturen, dass das inzwischen von vielen als völlig veraltet angesehen wird und dass die USA sozusagen in einem Epochenwandel stecken?
"Eine solche Krise ist eine Chance, sich als Wertegemeinschaft neu zu erfinden"
Nassehi: Ja, einerseits Epochenwandel. Auf der anderen Seite muss man ja sagen, reagiert die Gesellschaft natürlich auch so, wie sie reagieren sollte. Es gibt große Proteste, es gibt tatsächlich auch bei den Konservativen übrigens in den USA so etwas wie eine Selbstvergewisserung dessen, was dieses großartige Land tatsächlich ausmacht, nämlich tatsächlich eine Heimstatt für ganz unterschiedliche sein zu können. Es hat natürlich immer Ungleichheiten zwischen den ethnischen Gruppen gegeben, aber was die USA doch immer geschafft haben, das ist, tatsächlich den Universalismus, vor allem den rechtlich formierten Universalismus sehr, sehr stark zu machen, und da formiert sich ja tatsächlich zurzeit eine Gegenbewegung. Wenn man an diese Trump-Administration denkt, muss man ja sagen, hat sie bis jetzt ja nur Dinge durchsetzen können, die man per Dekret durchsetzt. Ich bin sehr gespannt, wie es dann sein wird, wenn die Gewaltenteilung, das heißt, wenn die unterschiedlichen Instanzen bei Gesetzgebungsverfahren dann diese Argumentationen tatsächlich stark machen werden, und dann werden die Dinge natürlich nicht so einfach durchsetzen sein. Als Optimist würde ich sagen, eine solche Krise ist vielleicht auch eine Chance, dass der Westen als Wertegemeinschaft tatsächlich womöglich moderne Chiffren findet, wie er sich neu erfinden kann. Das hat es ja lange nicht gegeben und vielleicht braucht man, dialektisch formuliert, jemanden wie Trump, um sich dessen wieder zu vergewissern. Das geht in den USA ja interessanterweise durch die Parteien hindurch. Auch die Republikaner sind nicht nur aus taktischen Gründen, sondern tatsächlich auch aus politisch-inhaltlichen Gründen wirklich vor den Kopf gestoßen. So kann man die Dinge tatsächlich nicht weiterführen.
"Trump kann diese Dinge nicht einfach durchregieren"
Armbrüster: Allerdings muss man auch festhalten: Donald Trump hat in beiden Häusern des Kongresses eine Mehrheit. Proteste sehen wir vor allem auf den Straßen in vielen amerikanischen Städten. Können Proteste heutzutage in so einem politischen Betrieb noch etwas bewirken?
Nassehi: Ich glaube schon, dass sie etwas bewirken können, und ich denke auch, das amerikanische parlamentarische System funktioniert ein bisschen anders als etwa bei uns in Deutschland. Da sind diese reinen Mehrheiten vielleicht nicht das Entscheidende. Viel entscheidender ist da womöglich tatsächlich so etwas wie eine Konsistenz der eigenen Geschichte. Für die Amerikaner spielt der Konstitutionalismus, die Verfassung, der Rechtsstaat, die rechtliche Konsistenz von Argumenten eine viel, viel größere Rolle, als das bei uns in der öffentlichen Diskussion der Fall ist. Insofern denke ich schon, dass Trump diese Dinge nicht einfach durchregieren kann und nicht einfach so durchsetzen kann. Das heißt nicht, dass jetzt innerhalb der Republikaner Widerstand entsteht, aber die Stimmung im Land ist ja doch extrem und ist ja sehr stark in dem Sinne, dass es gar kein Kampf zwischen zwei politischen Gruppen ist, sondern, um an den Anfang unseres Gespräches zurückzukommen, ein Kulturkampf, der tatsächlich unterschiedliche Denkungsarten stark macht. Und man kann ja nicht sagen, dass auch Konservative automatisch bei diesem Kulturkampf auf der einen Seite stehen. Das ist in Deutschland interessanterweise auch so, dass wir gar nicht so genau sagen können, ob die Dinge nun mehr mit Wohlstand oder weniger Wohlstand, mit rechts und links zu tun haben, sondern mit einer grundlegenden Denkungsart, wie wir uns eigentlich Politik vorstellen. Und das sind neue Konfliktlinien, die sich neu ordnen müssen. Was da genau passiert, das ist natürlich schwer vorherzusagen.
"Es hat schon vor der Trump-Administration einen Paradigmenwechsel gegeben"
Armbrüster: Herr Nassehi, Sie haben kurz die Geschichte angesprochen. Wenn wir in die jüngere US-Geschichte blicken, dann fällt vor allem dieses eine Datum immer noch ins Auge: der 11. September 2001. Ist dieses jüngste Einwanderungsdekret von Donald Trump ein Zeichen dafür, dass die Amerikaner über diesen Tag eigentlich noch nicht hinweg sind?
Nassehi: Das kann man so sagen, dass sie über den Tag womöglich nicht hinweg sind. Die USA kennen so etwas wie einen Angriff auf ihr eigenes Territorium gar nicht. Insofern ist das natürlich eine ganz besondere Zäsur gewesen. Aber ich würde da auch trotzdem eher Symbolpolitik drin sehen. Es ist ja keineswegs so, dass man ernsthafterweise sagen kann, dass ein Einreisestopp, wie er jetzt formuliert ist, das Land tatsächlich sicherer macht. Die USA haben seit 2001 Einreisebestimmungen verschärft, haben mit der Homeland Security eine Organisation ins Leben gerufen, die tatsächlich sehr, sehr stark kontrolliert. Wenn man selbst in die USA einreist, sieht man auch, dass es da einen Paradigmenwechsel tatsächlich gegeben hat, also auch schon vor der Trump-Administration. Insofern würde ich sagen ist das natürlich etwas, was immer noch in den Köpfen drin ist, aber was die USA trotzdem geschafft haben, sich als Rechtsstaat aufzustellen, als konstitutioneller Rechtsstaat aufzustellen, und das wird zurzeit natürlich doch sehr, sehr, sehr stark infrage gestellt.
Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das der Münchener Soziologe und Publizist Armin Nassehi. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
Nassehi: Sehr gerne.
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