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Eintauchen in die Atmosphäre der frühen Bundesrepublik

14 Jahre lang lenkte Konrad Adenauer als Kanzler die Geschicke der Bundesrepublik. Der Fernsehversion seines Lebens hat sich jetzt Werner Biermann angenommen. In seinem Dokudrama "Stunden der Entscheidung" verkörpert der ehemalige Burgschauspieler Joachim Bißmeier den "Alten"- brillant und ohne zu kopieren.

Von Eric Leimann | 31.07.2012
    1876 ist er in Köln geboren - Konrad Adenauer, der in vier politischen Systemen lebte und Politik machte: als Kölner Bürgermeister in Kaiserreich und Weimarer Republik, von den Nazis aus dem Amt getrieben und inhaftiert – schließlich 49 zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Wo also beginnen mit einem so langen Leben?

    Drehbuchautor Werner Biermann, der kommendes Jahr auch eine Adenauer-Biografie bei Rowohlt veröffentlicht, hat sich für einen späten Wendepunkt entschieden – für die Nacht des Berliner Mauerbaus im August 61. Der ehemals starke Kanzler einer entschiedenen Westbindung, mittlerweile 87 Jahre alt, reagiert zum Entsetzen vieler Deutscher und Bündnispartner überhaupt nicht auf die Errichtung des sogenannten Eisernen Vorhangs...

    Spielszene (Adenauer): "Schrecklich, diese jungen Leute in Amerika. Die spielen mit dem Feuer. Das läuft doch auf einen Atomkrieg hinaus und das mitten in unserem Land."

    Joachim Bißmeier, 75-jähriger ehemaliger Wiener Burgschauspieler, spielt Adenauer – dessen Leben von 1933 bis zu seinem Tod 67 begleitet wird. Er tut dies brillant, charismatisch und ohne zu kopieren. Die fast fehlende Maske, eine kluge Entscheidung. Denn wer sieht schon aus wie Adenauer - in seiner Kantigkeit, auch des Wesens, fast selbst schon eine Karikatur. Zur Erinnerung - Konrad Adenauer, nun der echte, über sein geliebtes Bocciaspiel:

    "Manche werden sagen, ich verstehe nicht, warum der Bundeskanzler einer Kugel aus Holz zuliebe da rum läuft. Und sich bückt und sich quält, genau ein anderes Stück Holz zu treffen. Wer so spricht, versteht erstens wenig vom Sport und zweitens insbesondere gar nichts vom Bocciaspiel."

    Typisch für die Zeit existieren wenige dokumentarische Aufnahmen wie diese, in denen Adenauer eher privat spricht. Umso mehr Gewicht kommt den Spielszenen bei. Adenauer, dessen viel jüngere zweite Frau Gussie schon 1948 starb, ging als Witwer mit 73 Jahren ins Kanzleramt. Werner Biermann über das Psychogramm des Regierungschefs:

    "Sagen wir mal – nachdem er sich von dem Schock und der Lebenskrise des Zweiten Weltkrieges, der Verfolgung durch die Nazis und des Todes seiner Ehefrau halbwegs erholt hatte, kam wieder etwas zum Vorschein, was er wahrscheinlich früher auch schon hatte – nämlich – er war witzig."

    Und doch, so Werner Biermann, brachte der knorrige alte Mann auch eine Schwere und Starrheit mit, die irgendwann spät in der Karriere nicht mehr so recht in die Zeit passen wollte. 1961 gewann Adenauer zwar noch einmal die Wahl, doch nur das Versprechen, nicht die gesamte Amtszeit durchzuziehen, brachte ihm gegen viele auch innerparteiliche Widerstände noch einmal die geliebte Kanzlerschaft.

    Spielszene (Adenauer): "Es müssen ja nicht die ganzen vier Jahre sein. Mein Gott, ich wäre dann auch schon fast 90. Aber es kommen schwere Dinge auf uns zu, sehr schwere Dinge – das möchte ich selbst bereinigen ... dazu brauche ich noch Zeit."

    Biermann: "In seinem Inneren war er ein zutiefst ernsthafter und auch, glaub ich, melancholischer und am Ende auch sehr einsamer Mensch. Denn er kam abends nach Hause aus diesem Politikgeschäft nach Rhöndorf und da war in den 50er-Jahren eigentlich niemand mehr – außer dem Personal und abends kam sein Sohn, und an den Sonntagen kamen seine verheirateten Töchter mit ihren kleinen Kindern, und man trank Kaffee und aß ein Stück Kuchen. Darin erschöpfte sich im Grunde sein Privatleben und alles sonst war Politik für ihn."

    "Konrad Adenauer" – der Film mit dem etwas reißerischen Untertitel "Stunden der Entscheidung" ist ein sehr sehenswertes Dokudrama, das einen atmosphärisch tief in die frühe Bundesrepublik eintauchen lässt: Westbindung, Wiederbewaffnung, Spiegelaffäre und die strahlend bunten Rosen vor Adenauers Haus in Rhöndorf. Auch dank der starken Leistung von Adenauer-Darsteller Bißmeier, findet man die damalige Zeit und ihren Protagonisten gar nicht mehr so steif und muffig.

    Spielszene (Adenauer): "Ich wollte, dass endlich einmal in Deutschland Frieden herrscht. Und ich wollte von ganzer Seele, dass das deutsche Volk wieder gesundet. Dass es wieder in die Höhe kommt. Nicht in die materiell Höhe, daran dachte ich gar nicht, sondern in geistige Höhe."

    Sowohl Autor Werner Biermann, Jahrgang 1945, als auch Schauspieler Joachim Bißmeier, bezeichnen sich als frühere politische Gegner des Kanzlers Adenauer. Über die Beschäftigung mit dem Film haben sie ihre Meinung geändert. Die politische Leistung Adenauers, Deutschland mit seiner sehr klaren, lange Zeit unnachgiebigen Politik in schlingernder Zeit auf Westkurs zu bringen, bewundern sie heute.

    Das Dokudrama "Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung" läuft am 31.07.2012 bei ARTE um 20.15 Uhr und am 05.08.2012 um 21.45 Uhr in der ARD.